Konflikte ums Wasser in Lateinamerika – ein Überblick
Von Diego Andrés Martínez Zambrano
Die Konflikte ums Wasser in Lateinamerika haben in den letzten Jahren eindeutig zugenommen. Außerdem sind sie immer komplexer geworden, mit enormen Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Zunahme der Konflikte hängt mit der neoliberalen Politik und der internationalen Arbeitsteilung zusammen, vor allem aufgrund der steigenden Zahl an extraktivistischen Großprojekten, die eine intensive Nutzung von Naturressourcen mit sich bringen. Ein Zusammenschluss verschiedener Umweltorganisationen (Enviromental Justice Organizations, Liabilities and Trade, EJOLT) hat 2017 über 300 Konflikte ums Wasser in Lateinamerika registriert, die meisten davon in Kolumbien, Brasilien, Ecuador, Argentinien, Peru, Chile und Mexiko.
Etwa ein Viertel der Bevölkerung Lateinamerikas, also über 100 Millionen Menschen, lebt in Gegenden, in denen „Wasser-Stress“ herrscht, wo es also Probleme bei der Versorgung mit sauberem Trinkwasser gibt. Doch die meisten Konflikte ums Wasser finden gar nicht dort statt, wo es wenig Wasservorkommen gibt. Vielmehr handelt es sich in der Region um eine menschgemachte Wasserknappheit, hervorgerufen durch mehrere Faktoren, zum Beispiel schlechte Bewirtschaftung, Kontamination, Monopolisierung des Zugangs, externe Effekte und fehlende Kenntnisse über traditionelle, gemeinschaftliche Nutzungsweisen. Selbst wenn die Konflikte aufgrund einer tatsächlichen Wasserknappheit entstehen, folgen sie nicht allein einer ökologischen Logik, sondern haben außerdem eine politische, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Dimension. Deswegen sind die Forderungen der Organisationen, die das Recht auf Wasser verteidigen, eng mit sozialen Fragen verknüpft, die die gesellschaftliche und politische Ungleichheit widerspiegeln, und gehen über die einfache Frage nach dem Zugang zu Wasser weit hinaus. So konzentrieren sich einige Forderungen auf die Beteiligung an Entscheidungsfindungsprozessen über den Zugang zum Wasser, auf die Anerkennung von Bewirtschaftungsweisen und Kosmovisionen bestimmter sozialer Gruppen, auf die Anerkennung der tatsächlichen Kosten, die nur schwer in die Marktlogik integriert werden können, sowie auf die negativen externen Effekte in wasserreichen Gebieten.
Extreme Polarisierung und ideologisch beeinflusste Wertung – Szenario der Ungleichheit
Im Allgemeinen zeichnen sich die Konflikte ums Wasser durch eine extreme Polarisierung der Positionen aus; meist fehlen Möglichkeiten zum Dialog. Ein starkes Machtungleichgewicht, versteckte Interessen sowie eine latent ideologisch beeinflusste Wertung bestimmen die Konflikte. Insofern helfen die Kämpfe ums Wasser in Lateinamerika und der Karibik, die aktuelle soziale und (Umwelt-)politische Dynamik in der Region zu verstehen, die aufgrund einer ungerechten Verteilung entstanden ist – sowohl der Naturgüter als auch der negativen Auswirkungen von produktiven Unternehmungen, die meistens bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker treffen, nämlich die ärmsten und am stärksten verwundbaren. Obwohl diese Wasserkonflikte als ein Problem angesehen werden, das es zu verhindern beziehungsweise dem es vorzubeugen gilt (da es schließlich auf ein Szenario der Ungleichheit verweist), haben sie dennoch in einigen Fällen auch für wichtige Veränderungsprozesse in der Region gesorgt. In den letzten Jahren haben sie Mobilisierungen der Bevölkerung für ihre Rechte angestoßen, aktuelle Diskurse über das Verhältnis von Mensch und Natur angeregt und neue Akteure bei der Verteidigung der Territorien hervorgebracht.
Doppelt so viel Wasser wie im globalen Durchschnitt
Südamerika ist eine der Regionen mit den größten Wasservorkommen weltweit: Hier befinden sich 26 Prozent der Wasservorkommen des Planeten (bei nur sechs Prozent der weltweiten Bevölkerung). Zum Vergleich: Asien verfügt über 30 Prozent der weltweiten Wasservorkommen, bei 60 Prozent der globalen Bevölkerung. Das Wasservorkommen in Südamerika, das durch die Wassermenge pro bestimmter Oberfläche und Zeiteinheit dargestellt wird, beträgt durchschnittlich 21 Liter pro Sekunde und Quadratkilometer. Oder es kann auch folgendermaßen dargestellt werden: 3100 Kubikmeter Wasser pro Einwohner jährlich, somit doppelt so viel wie der weltweite Durchschnitt.
Es wird geschätzt, dass das Wasservorkommen Südamerikas 13555 Kubikkilometer beträgt. Schließlich fließen durch den Kontinent drei der wasserreichsten Flüsse der Welt: der Amazonas, der Orinoco und der Paraná; allein die Wassermenge des Amazonas macht 16 Prozent der weltweiten Wassermenge aller Flüsse aus. Andere wichtige Flüsse sind der Río de la Plata, der Magdalena, Marañon, San Franciscó und Paranaiba. Aber obwohl die durchschnittliche Niederschlagsmenge 1600 mm beträgt – im Amazonasgebiet sind es sogar etwa 2400 mm – sind auch Dürren ein häufiges Problem in einigen Gegenden der Region.
Die meisten Länder Südamerikas gelten also als wasserreich, bezogen auf die jeweilige Fläche und Bevölkerung. Allerdings ist der Wasserreichtum mitnichten gleichmäßig verteilt, insofern gibt es viele Orte mit mittlerem oder größerem Wasser-Stress. Peru ist zum Beispiel sehr wasserreich, da jedoch die wichtigsten städtischen Ansiedlungen und Produktionsstätten an der Pazifikküste liegen, also im Wüstengebiet, gestaltet sich der Zugang zu Wasser als schwierig und teuer. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt im Westen des Landes, auf der Seite des Pazifiks, wo nur 1,8 Prozent der Wasservorkommen liegen.
Die UNO stellte bereits 2003 fest, dass trotz des Wasserreichtums in Form von Grundwasservorkommen, natürlichen Seen und Stauseen in Südamerika „die hohe Bevölkerungsdichte in einigen Gebieten und die unbehandelten Abwässer Probleme in Form von Wasserverschmutzung verursachen, in anderen Gegenden entstehen ähnliche Probleme aufgrund von verschmutzten Wasserzuflüssen aus Landwirtschaft und Bergbau“. Hinzu kommt, dass Südamerika immer stärker auf seine Grundwasservorkommen zurückgreift: zwischen 40 und 60 Prozent des gesamten Wasserkonsums.
Wasserstress in Mittelamerika
In Zentralamerika und Mexiko beträgt die verfügbare Wassermenge pro Kopf mehr als 3000 Kubikmeter pro Jahr, doch nur 42 Prozent der ländlichen und 87 Prozent der städtischen Bewegung haben Zugang zu Trinkwasser. In Zentralamerika leben zwei Drittel der Bevölkerung auf der Seite des Pazifik, wo jedoch nur 30 Prozent des Flusswassers hinfließen. Das andere Drittel der zentralamerikanischen Bevölkerung lebt an der Karibikküste, wo sich 70 Prozent des Wasservorkommens auf dem Isthmus befinden. Die Region greift verstärkt auf Grundwasservorkommen zurück: So hängen Mexiko und Zentralamerika zu 65 Prozent davon ab.
El Salvador ist eines der am meisten entwaldeten Länder Zentralamerikas und ist mit 333 Personen pro Quadratkilometer sehr dicht bevölkert. Das Land hängt von einer wichtigen Wasserquelle ab, deren Qualität sich aber sehr verschlechtert hat: Der Río Lempa, der durch halb El Salvador, aber auch durch Guatemala und Nicaragua fließt. Die hohe Bodenerosion in Folge von Abholzungen und veränderter Bodennutzung verschlechtern die Wasserqualität und tragen maßgeblich zum Wasser-Stress des Landes bei. Hinzu kommen menschgemachte Probleme wie Übernutzung von Grundwasservorkommen und Kontamination mit verschiedenen Giftstoffen vor dem Hintergrund weitgehender Privatisierungsbestrebungen (siehe auch Artikel zu El Salvador auf S. XX).
Im Norden und Nordosten Mexikos wiederum, wo 77 Prozent der Bevölkerung des Landes lebt, befinden sich nur 31 Prozent der Wasservorkommen des Landes. Schon im Jahr 2012 stellte das „Diagnóstico de Aguas de América“ fest, dass 102 der 653 unterirdischen Wasservorkommen übernutzt sind, also fast ein Sechstel des gesamten Grundwassers. Mit der steigenden Migration vom Land in die Stadt, vor allem nach Mexiko D.F., wo mit über 20 Millionen Einwohner*innen ein Fünftel der Bevölkerung lebt, steigt auch der Wasserbedarf in den urbanen Zentren, der mittels Wasserimport aus anderen Regionen befriedigt wird.
Die Länder der Karibik, die insgesamt eine Landfläche von 269000 Quadratkilometer haben, sind sehr unterschiedlich, was Größe, Bevölkerungsdichte und Wirtschaftsbedingungen angeht. Die Temperaturen liegen zwischen 24 und 31 Grad, die Niederschlagsmenge variiert erheblich: von durchschnittlich 500 mm bis hin zu 7700 mm (zum Beispiel in der Dominikanischen Republik). Wachsende Bevölkerung bringt einen größeren Trinkwasserbedarf mit sich. In der gesamten Region gibt es Probleme mit der Qualität des Wassers aufgrund von giftigen Abwässern aus Industrieproduktion, Agrar- und Bergbauwirtschaft sowie der schlechten Müllentsorgung.
Laut dem Lateinamerikanischen Wassertribunal ist die Wassersituation in Haiti „katastrophal“, ähnlich schlimm wie in einigen subsaharischen Ländern Afrikas, schließlich überlebt die Bevölkerung dort mit täglich drei bis vier Litern pro Kopf. Aber auch die Dominikanische Republik hat Probleme mit der Wasserversorgung aufgrund einer steigenden Bevölkerung, die wenig Ressourcen hat und in Uferlandschaften siedelt. Da wegen der starken Abholzungen Flora und Fauna leiden und die Selbstreinigungskräfte der Gewässer gestört sind, sind die Wasservorkommen des Landes stark verschmutzt.
Je mehr Reichtum umso bessere Versorgung
Schätzungen gehen davon aus, dass in Lateinamerika ein Viertel der Bevölkerung in Gegenden mit Wasser-Stress lebt, vor allem in Mexiko, Argentinien und den Ländern, die auf der Pazifikseite des Kontinents liegen. Lateinamerika und die Karibik verfügen zwar über die feuchtesten Gebiete der Welt, aber auch über die trockensten Wüsten. Tatsächlich sind zwei Drittel der Region arid oder semi-arid, unter anderem weite Teile im Zentrum und Norden Mexikos, der Nordosten Brasiliens, der Nordwesten Argentiniens, der Norden Chiles und Teile von Bolivien und Peru. Hinzu kommt, dass es in der Region einen starken Druck auf die Quellen und Grundwasservorkommen gibt aufgrund des starken Wachstums der Städte und weil sich die Bevölkerung in bestimmten Gegenden konzentriert.
Insgesamt gibt es große Unterschiede zwischen dem Land und der Stadt. Die größten Probleme bei der Grundversorgung haben kleinere Städte und ländliche Gemeinden: Dort ist die Qualität schlechter, die kontinuierliche, flächendeckende Versorgung ist nicht gewährleistet, noch weniger eine gute Abwasserentsorgung. Die öffentliche Politik zur Wasseraufbereitung und Abwasserentsorgung hat sich vor allem auf einkommensstarke Gebiete konzentriert, passend zum Privatisierungsmodell der letzten Jahrzehnte, da größere Städte etwa besser zahlen können als kleine finanzschwache Kommunen. Zwischen Stadt und Land gibt es also große Ungleichheit, sowohl was die Trinkwasserversorgung als auch die Abwasserentsorgung betrifft. Die Länder, in denen dieses Stadt-Land-Ungleichgewicht weniger stark ausgeprägt ist, sind Argentinien, Mexiko und Uruguay.
In Lateinamerika haben etwa 31 Millionen Personen – davon 20 Millionen auf dem Land – keinen Zugang zu öffentlicher oder kollektiver Trinkwasserversorgung. Und sogar 107 Millionen Menschen haben keine vernünftige Abwasserentsorgung; 45 Millionen davon leben auf dem Land, die meisten von ihnen in abgelegenen ländlichen Gemeinden, etwa in Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Peru und Venezuela. So verwundert es nicht, dass es jährlich zu 150000 Todesfällen aufgrund von Krankheiten kommt, die durch Wasserverschmutzung hervorgerufen werden; 85 Prozent dieser Todesopfer sind Kinder unter fünf Jahren.
Neoliberalismus: Privatisierung, Deregulierung, Inwertsetzung
In den 1990er Jahren sorgten neoliberale Politikansätze dafür, dass die Rolle des Staates eingeschränkt und die Marktlogik bei der Grundversorgung gestärkt wurde. So setzten Prozesse der Privatisierung, Deregulierung und Kommodifizierung (Inwertsetzung) von öffentlichen Dienstleistungen ein, ganz nach den Vorgaben der Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs): Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank und die damals neu gegründete Welthandelsorganisation (WTO). Mit Hilfe des Diskurses der Knappheit und der angeblichen Unterbewertung der Wasserressourcen, einhergehend mit der Kritik an Korruption und Ineffizienz auf staatlicher Seite, sah der neoliberale Ansatz vor, Wasser in eine Ware zu verwandeln, die auch an der Börse gehandelt werden kann.
Das Privatisierungsmodell für Wasser in Lateinamerika zeigt sich in Gestalt der Private Public Partnerships (PPP), also als Abkommen zwischen dem öffentlichen Sektor und der Privatwirtschaft, um Teile der zuvor öffentlichen Grundversorgung von Unternehmen übernehmen zu lassen; die Internationalen Finanzinstitutionen unterstützen dabei mit Krediten. Die Kredite der IFIs sind wiederum daran geknüpft, dass sich private Unternehmen an der Verwaltung beteiligen. Die privaten Unternehmen bestimmten also, wofür die Investitionen prioritär verwendet werden, während die Staaten meistens für die Rückzahlung der Kredite aufkommen. Wenn die privaten Unternehmen einen Teil der Kreditrückzahlung übernehmen, dann werden die Wassertarife so gestaltet, dass sie Kosten deckend sind, also die Rückzahlung des Kredits gewährleisten.
Suez, Vivendi, RWE: dürftige Leistung aber 100% Rendite
Von der Kommodifizierung des Wassers profitieren die Privatunternehmen am meisten. In einem Beitrag der BBC von 2015 wurde festgestellt, dass Wasser ein idealer Sektor für Investitionen sei, da dort Gewinne von bis zu 100 Prozent erwirtschaftet werden könnten. Die drei größten Unternehmen, die in der Wasserversorgung aktiv sind (die französischen Unternehmen Suez und Vivendi sowie die deutsche RWE AG) versorgen mehr als 300 Millionen Menschen in über 100 Ländern. Während des goldenen Zeitalters der Wasserprivatisierung in Südamerika knüpfte die Interamerikanische Entwicklungsbank 66 Prozent ihrer Kreditvergabe im Wasserbereich an die Bedingung, den Privatsektor zu beteiligen. Unter den Unternehmen, die den Zuschlag bekamen, befanden sich „Aguas de Barcelona“ (ein Tochterunternehmen von Suez) und „Proactiva Medio Ambiente“ (heute Veolia), die an über 40 Prozent der Privatisierungsvorhaben bei der Wasserversorgung beteiligt waren. Diese Privatisierungen wurden begründet mit einer angenommenen höheren Effizienz (aufgrund von Wettbewerb): bessere technische Ausstattung, angepasste Tarife sowie ein effizientes und transparentes Management. Doch die neuen Wasserverwalter sollten sich als ineffiziente Monopole herausstellen, mit modernisierungsbedürftiger Technologie, ungenügenden Investitionen, äußerst dürftigen Instandhaltungsmaßnahmen sowie einer bürokratischen und korrupten Verwaltung.
Trotzdem sind in Lateinamerika zwei unterschiedliche Sichtweisen anzutreffen, was die Rolle des Staates bei der Grundversorgung betrifft: In Ländern wie Kolumbien, Chile, Mexiko oder Peru nimmt der Staat eher eine unterstützende Rolle bei der Regulierung des Marktes ein, das heißt, hier werden gesetzgeberische Rahmenbedingungen geschaffen, um die Sicherheit und die Investitionen der internationalen Geldgeber zu garantieren, die Eigentumsrechte zu schützen und die Vertragsabmachungen einzuhalten. So schränken die Regierungen die Möglichkeit für die Gemeinden ein, selbst die Wasserversorgung zu organisieren, und erlauben es anderseits, dass private Unternehmen massiv in den Sektor eindringen. Die zweite Sichtweise, die in Ländern wie Bolivien, Uruguay oder Venezuela vorherrscht, geht davon aus, dass der Staat die Kapazitäten hat, die Grundversorgung zu planen und zu gewährleisten. Die Grundannahme dabei: Die Versorgung mit Trinkwasser steht an erster Stelle, noch vor anderen kommerziellen oder produktiven Nutzungen. Deswegen kann die Versorgung auch nicht Rentabilitätskriterien untergeordnet werden, vielmehr stellt sie ein übergeordnetes soziales Interesse dar. In diesen Ländern werden die öffentlichen Dienstleistungen von Staatsunternehmen gewährleistet.
Mobilisierungen führten zur Tendenz Rekommunalisierung
Im Zuge dieses Privatisierungsprozesses hat es aber auch viele Initiativen und Ansätze gegeben, welche die Rolle des Staates und der selbstorganisierten Gemeinden bei der Wasserversorgung hervorheben und unterstützen. So gibt es weltweit eine nicht zu übersehende Tendenz, die in Richtung „Rekommunalisierung“ geht, das heißt also, die Wasserversorgung wieder in die Verantwortung der Öffentlichen Hand zu bringen. Die negativen Folgen der Privatisierungen sorgten für Kritik und Mobilisierungen von Seiten der Zivilgesellschaft, zunächst in Südamerika (Cochabamba und El Alto in Bolivien, Argentinien und Uruguay), später aber auch im Norden, etwa in Paris, Hamilton (Kanada) oder in Jakarta (Indonesien). So haben seit der Jahrtausendwende mehr als 235 Städte in 37 Ländern die Wasserversorgung wieder ihrer Gemeindeverwaltung übergeben.
Diese weltweite Tendenz zeigt, dass die Wasserprivatisierung rundum gescheitert ist, denn dieses gewinnorientierte Modell hat einen ineffizienten Markt und Unternehmenskonzentrationen beziehungsweise Oligopole geschaffen, die sich über das allgemeine Interesse hinwegsetzten; besonders in den Städten war dieses Modell besonders schädlich, weil es für überteuerte Tarife sorgte und weder Effizienz noch Qualität verbesserte. Die Mobilisierung der kritischen Bevölkerung hat maßgeblich zum Prozess der Rekommunalisierung beigetragen, der gezeigt hat, dass die öffentliche Versorgung transparent sein kann und die Beteiligung der Bevölkerung ermöglicht. Außerdem kann so besser langfristig geplant werden, was vor allem angesichts des Klimawandels und eventuell notwendigen Anpassungsmaßnahmen wichtig ist; auch auf die Ökosysteme wird eher Rücksicht genommen.
Gleichzeitig hat es in der Region schon immer traditionelle Formen der kollektiven Wasserversorgung gegeben, was angesichts fehlender staatlicher Versorgung notwendig war (und ist). Aktuell gibt es in Lateinamerika über 80000 Gemeinde-Organisationen zum Thema Wasser, die für etwa 70 Millionen Menschen in der Region (das sind etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung) Wasserversorgung und Abwasserentsorgung organisieren. Diese Organisationen vertreten den Grundsatz, dass das Wasser ein Gemeingut und Erbe der Bevölkerung ist, da es schließlich von Generation zu Generation weitergegeben wird. Obwohl diese Initiativen so wichtig sind und eine echte Alternative darstellen, sind sie in den meisten Ländern unsichtbar gemacht worden und kämpfen beständig gegen Privatisierungsprozesse an.
Menschenrecht auf Wasser – von schlauen Konzernen schon kooptiert
Obwohl in den letzten Jahren in einigen Ländern Lateinamerikas die Gesetzgebungen zur Wasserversorgung verändert worden sind, gibt es vielerorts eine systemimmanente Schwäche, was die Einhaltung von Umweltschutzrichtlinien betrifft. Dieses Problem ist in einigen Ländern stärker ausgeprägt als in anderen und hängt wiederum mit dem neoliberalen Modell zusammen, das der privatwirtschaftlichen Verwaltung der Gemeingüter den Vorrang gibt, das gemeinsame Erbe ans Ausland verkauft, den Zugang auf einige wenige beschränkt und den staatlichen Einfluss einschränkt. In den meisten Ländern gibt es zwar eine Gesetzgebung, welche die Wasservorkommen verteidigen und schützen soll, doch wie dies im Einzelnen reguliert ist beziehungsweise deren Einhaltung überwacht wird, steht auf einem anderen Blatt.
Deshalb fordern soziale und Umweltorganisationen schon lange, dass das Wasser als Gemeingut anerkannt wird, als Erbe der Bevölkerung, das auf nachhaltige und demokratische Art und Weise verwaltet werden soll. In dem Zusammenhang sei an die Proteste im Cochabamba, Bolivien, im April und Mai 2002 erinnert: Tausende von Bürger*innen kämpften während dieses „Wasserkrieges“ gegen den Verkauf der Wasserversorgung an die Firma Bechtel. Diese Privatisierung führte zu einer Tariferhöhung um 300 Prozent; sogar das Sammeln von Regenwasser wurde untersagt, da es angeblich dem Unternehmen gehörte! Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen löste die bolivianische Regierung den Vertrag mit dem Unternehmen wieder auf. Ein weiterer wichtiger Meilenstein war das Wasser-Plebiszit in Uruguay im Jahr 2004: 64,58 Prozent der Bevölkerung stimmten damals dafür, dass die Trinkwasserversorgung und grundlegende Abwasserentsorgung ausschließlich in den Händen des Staates zu liegen haben. Auch in Kolumbien gab es von 2006 bis 2010 einen wichtigen Prozess mit Auseinandersetzungen und Mobilisierungen zum Grundrecht auf Wasser im Rahmen des Wasser-Referendums. Auch wenn das notwendige Quorum nicht erreicht werden konnte, hatte dies jedoch eine Katalysator-Wirkung für Prozesse und Bewegungen in Kolumbien, die das Wasser verteidigen.
Die ausdrückliche Anerkennung des Rechts auf Wasser ist eine wichtige Errungenschaft dieser Kämpfe gewesen. So wird zum Beispiel in einigen Verfassungen das „Menschenrecht auf Wasser“ festgehalten. Und in den neuen Verfassungen von Ecuador und Bolivien (aus dem Jahr 2008 respektive 2009) bezieht sich das Menschenrecht auf Wasser nicht nur auf den Zugang zu Wasser für den menschlichen oder den Hausgebrauch, sondern wird auch in Zusammenhang gebracht mit der Gesundheitsversorgung, mit kulturellen Nutzungen, der Ernährungssouveränität und den Rechten der Natur.
In anderen Ländern hat das Menschenrecht auf Wasser zwar noch keinen Verfassungsrang, ist aber dennoch Thema, sei es in der Gesetzgebung oder auf Provinzebene oder im Rahmen von aktuellen Verfassungsänderungen. Auf jeden Fall wird mittlerweile breit anerkannt, dass dieses Recht eng mit anderen fundamentalen Rechten für ein würdiges Leben zusammenhängt, zum Beispiel dem Recht auf Ernährung, dem Recht auf eine saubere Umwelt und auf Gesundheit, dem Recht auf der Teilhabe am kulturellen Leben etc.
Die Vereinten Nationen haben als erstes in ihrem Allgemeinen Kommentar Nr. 15 zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten das Menschenrecht auf Wasser anerkannt. Später wurde dies bestärkt in der Resolution 64/292 der UN-Generalversammlung (vom 28. Juli 2010): Die Generalversammlung „erkennt das Recht auf einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung als ein Menschenrecht an, das unverzichtbar für den vollen Genuss des Lebens und aller Menschenrechte ist“.
Allerdings werden aktuell in der Diskussion um das Recht auf Wasser neue Wege eingeschlagen, denn im Kapitalismus wird immer wieder das Vokabular kooptiert und damit den eigentlichen Zielen entgegengelaufen. So haben zum Beispiel transnationale Unternehmen einen weltweiten integrierten Wassermarkt vorgeschlagen, auf dem sie dann dafür garantieren würden, dass das Menschenrecht auf Wasser gewährleistet ist, indem sie das lebensnotwendige Nass vermarkten. Gleichzeitig gefährdet das aktuelle vorherrschende extraktivistische Wirtschaftsmodell die Errungenschaften der Bewegungen bei den Wassergesetzgebungen. Das Menschenrecht auf Wasser bleibt auf jeden Fall umkämpft.
Aus: Amigos de la Tierra América Latina y Caribe (ATALC), „Informe: Estado del Agua en América Latina y el Caribe“, 2017
Übersetzt, gekürzt und bearbeitet von Britt Weyde
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 928, hrsg. von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn, mit ihrer freundlichen Genehmigung.
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