Wundersame Bahn XIV
Das alte Bahnhofsgebäude, vollverglast mit Flachdach fand ich als Zitat der deutschen Nachkriegsmoderne gar nicht hässlich. Es verlor an seinem Platz nur seine Funktion, in den ewigen Umbauten der Bahnsteige spielte es keine Rolle, lag irgendwann nicht mehr am Weg der Reisenden, Fahrkartenausgaben wurden als erste aufgegeben. Die Immobilienfirma der Bahn nahm dann noch eine zeitlang mit ihren überhöhten Mietforderungen verzweifelte Kleingewerbetreibende aus. Als deren Existenzen dann auch vernichtet waren, konnte abgerissen werden.
Jetzt steht dort ein voluminöser Rohbau. Wenn Sie als Ortsfremde*r an dem vorbei, bzw. unter dem durch, noch den Zugang zu den Bahnsteigen finden, kann es um Ihre Intelligenz nicht so ganz schlecht stehen. Wegweisende Schilder oder gar lebendige DB-Menschen müssten Sie noch länger suchen als die Bahnsteige. Heute nun war leider mal wieder der Aufzug in die Bahnsteigunterführung defekt. Mit Gleitsichtbrille eine tiefe Treppe mit unvollständiger Geländerführung herunter ist an sich schon spannend. Mit Fahrrad und Gepäcktasche wird es zum Abenteuer am Sonntagmorgen. Heute hatte ich ausreichend Kleingeld für den Fahrkartenautomaten. Beide funktionierten tadellos – das ist, wenn es mal so ist, eine besondere Erwähnung wert.
Zum Bahnsteig rauf schien der Fahrstuhl zu funktionieren. Ich fuhr hoch, oben ging es kaum noch weiter. Akku leer? Knapp kam ich oben an, die Tür öffnete sich. Dort musste ich feststellen: “Zug fällt heute aus”. Entsprechend informierende Displays gibt es in Troisdorf nicht (wohl aber Reklamedisplays an den Bahnsteigaufgängen); Sie kaufen also erst die Fahrkarte und erfahren erst danach, dass der Zug nicht fährt. Das kommt zwischen Troisdorf und Beuel derzeit öfter vor, vorzugsweise an Wochenenden, wegen der Bauarbeiten für die Verlängerung der S13. Derartige Meldungen waren mir diese Woche nicht aufgefallen.
Ich überlegte. Soll ich nachsehen, ob zufällig die Buslinie 551 nach Bonn fährt? Die hätte mich bis zur Bonner Nordbrücke gebracht. Aber dann hätte ich die Treppe mit dem defekten Fahrstuhl wieder hochgemusst. Eine Alternative wäre, mit der S-Bahn nach Siegburg und dort in die 66. Nun war aber der Aufzug an meinem Bahnsteig unten und kam auch auf Tastendruck nicht mehr hoch. Ein Bahnsteigwechsel mit Fahrrad (oder Rollstuhl o. ähnl.) also nicht mehr möglich. Ich war gefangen. Der nächste Zug eine knappe halbe Stunde später kam dann immerhin tatsächlich.
Tot überm Zaun hängen möchte ich in so einem Kaff nicht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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