Die Bundeskanzlerin hat einen Amtseid auf das Grundgesetz geleistet. Sie hat die Verfassung und die Gesetze zu achten, sie einzuhalten und zu verteidigen. Wer den Worten der Bundeskanzlierin gestern zugehört hat, den müsste eigentlich blankes Entsetzen packen. Da stellt sich die Regierungschefin hin und kündigt an, per Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImmSchG) einen Sachverhalt, an dem es nichts zu diskutieren gibt, nämlich einen Grenzwert für Stickoxide durch die Interpretation dessen, was verhältnismäßig sei, neu zu interpretieren. Und zwar dergestalt, dass Fahrverbote, die wegen “geringfügiger Überschreitungen” der Grenzwerte drohten, nicht gelten sollten, weil dies eben nicht verhältnismäßig sei. Was hier scheinbar harmlos und einschmeichelnd bei den Dieselbesitzer*innen daherkommt, ist im Kern der massive Versuch der Rechtsbeugung. – Zugunsten der Automobilindustrie.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein Eckpfeiler rechtsstaatlichen Handelns, der ohnehin immer zu beachten ist. Jeder Verwaltungsakt, jedes staatliche Eingreifen, jedes Gerichtsurteil gegenüber Menschen oder Institutionen muss verhältnismäßig erfolgen, darüber wacht die Justiz. Was verhältnismäßig ist, muss immer im Einzelfall geprüft werden. Dies tun die Gerichte, die derzeit über Fahrverbote entscheiden, in jedem Fall. Sie haben dabei zu beurteilen, ob Fahrverbote als letzte Maßnahme unumgänglich sind, und der Zweck nicht auch auf anderem Wege, der nicht so tief in Rechte der Nutzer eingreift, erreicht werden kann. Was also hat Frau Merkel gemeint, wenn sie das BImSchG ändern möchte? Sie will die durch Europäisches Recht verbindlich festgelegten Grenzwerte praktisch durch die Hintertür umgehen, indem sie eine zusätzliche Erforderlichkeitsprüfung erfindet, bei der die eindeutigen Grenzwerte temporär umgedeutet werden. Wie muss man sich das als juristischer Laie vorstellen?
Ein Beispiel: Im Winter geht die Sonne in Berlin bereits gegen 17.30 oder gar 17.00 unter, es herrscht also Dunkelheit. Die Staßenbeleuchtung muss eingeschaltet werden, denn im Gesetz steht, bei einbrechender Dunkelheit ist so zu verfahren. Nehmen wir an, Frau Merkel sei Chefin der Stadtwerke und möchte gerne erst um 19.00 die Lampen anstellen, um Kosten zu sparen. Nun lässt sie das Gesetz, in dem steht, dass bei Dunkelheit Licht einzuschalten ist, damit es hell wird, so interpretieren, dass ein Einschalten vor 19.00 im Winter unnötig sei, denn das Gesetz würde nur bei außerordentlicher Stockdunkelheit gelten, aber in Berlin brennt ja immer irgendwo Licht aus Schaufenstern, Wohnungen, Leuchtreklamen und es sei ja im übrigen ab März wieder damit zu rechnen, dass der Sonnenuntergang dann wieder erst gegen 19.00 und später stattfinden werde. Es seien also Maßnahmen getroffen, dass die Dunkelheit nicht unbeschränkt andauere. Und deshalb sei ein Einschalten der Straßenlaternen vor 19.00 völlig unverhältnismäßig.
Wie stockfinster muss es in der Seele und im Verstand von Verwaltungsbeamten zugehen, die ihr das aufschreiben, und wie verzweifelt muss eine Kanzlerin sein, dass sie einen solchen Taschenspielertrick vor der Hessenwahl aus dem Hut zieht? Wie tief gesunken muss aber auch der Mut einer SPD-Umweltministerin sein, wenn sie hierzu schweigt oder gar mitmacht? Selten müssen sich die Dieselbesitzer*innen dieses Landes, aber auch alle, die sich Sorgen um die Luft in unseren Innenstädten machen, so vergackeiert vorgekommen sein, wie bei dieser billigen Lachnummer eine Woche vor der Hessenwahl.
Noch immer fahre ich einen Euro 5 Diesel. Noch immer liegen die Original-Teile meines Herstellers für diesen Motor und meinen Fahrzeugtyp im Regal, mit denen er es von Euro 5 auf Euro 6 mit Addblue aufrüsten könnte. Schon wieder freut er sich, weil die Politik dabei versagt, ihn zu zwingen, diese Teile endlich auf seine Kosten einzubauen. Die Teile kosten etwa 750 €, drei Arbeitsstunden würde es dauern. Für unter 1.000 € wäre die Nachrüstung möglich. Etwa 240.000 mal wurde dieser Motor mit Euro 5 verbaut – 240 Mio. würde die Nachrüstung meinen Hersteller kosten und nicht 100.000 Arbeitsplätze, wie der VW-Chef sich zusammenlügt. Bei Konzerngewinnen von VW, Daimler und BMW in Milliardenhöhe ein Witz – zumal die Kosten wahrscheinlich noch steuerlich gewinnmindernd veranschlagt würden. Warum kann ich das ausrechnen, nicht aber die zuständigen Beamten der Bundesregierung?
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