Mögen einige gehofft haben, dass während der Herbstferien “die Sau das Dorf” durchquert habe. Aufwachen, der Traum ist beendet. Denn es geht in der Debatte nicht (nur) um skandalöse Einzelfälle. Das Problem ist durch gerichtliche Schuldsprüche, Abmahnungen und Entlassungen nicht aus der Welt. Denn es wird von Systemstrukturen erzeugt, die in einem jahrzehntelangen Prozess herangewachsen sind. Dazu sind jetzt einige erhellende Diskussionsbeiträge erschienen.
Hektor Haarkötter, heute Professor an der Fachhochschule Rhein-Sieg, war mal “freier” Mitarbeiter des WDR und weiss darüber viel zu erzählen. In weniger prekärer Anstellung ist ein Betroffener freier, als solche, die weiterhin von diesen Abhängigkeiten abhängig sind. Seine Darstellung wird von einem anonymen, nach wie vor abhängigen Autor beim Deutschen Journalistenverband NRW hier bestätigt.
Eine wichtige programmpolitische Kritik publizierte an gleicher Stelle wie Haarkötter, in der Medienkorrespondenz, die in den Ruhestand gewechselte langjährige WDR- und ARTE-Redakteurin Sabine Rollberg. Ich habe sie vor Jahren persönlich kennen gelernt, wir hatten nicht den gleichen TV-Geschmack. Aber beim Thema ihres MK-Textes liegt sie absolut richtig: die faktische Abschaffung der Fachkompetenz in den WDR-Redaktionen hat sich verheerend auf Personal- und Produktionsstruktur, und, was das Schlimmste ist, auf sein Programm ausgewirkt. Dieser Prozess hat die Geschwindigkeit des demografischen Wandels. Er begann in den 80er Jahren, als die Senderhierarchen einer “Rotfunk”-Hetzkampagne der CDU ausgesetzt waren; handelnde Personen u.a. die Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (Niedersachsen, Vater von “Flinten-Uschi”) und Gerhard Stoltenberg (Schleswig-Holstein, beide NDR-Länder). Ihre Drohung den Sender zu zerschlagen, verbunden mit der Privat-TV-Strategie Helmut Kohls und seines Freundes Leo Kirch, ängstigte auch die WDR-Führung so in Mark und Bein, dass sie prioritär darauf bedacht waren, immer eine Politik der friedlichen Koexistenz mit der CDU zu verfolgen, also das Gleiche wie die NRW-SPD. Gemeinsames Interesse: alles was Ärger macht, raus aus dem Programm. Und raus aus der Belegschaft. Innere Emigration von Redakteur*inn*en wurde dabei genau so gerne mitgenommen, wie Wechsel in den Ruhestand. So ist das WDR-Programm so geworden, wie es heute ist.
Heute hat die Parteibuchwirtschaft an Bedeutung verloren. Für die festangestellten Beschäftigten ist das eine Befreiung, andere Stressformen ersetzten den Parteiendruck. Und auch für uns als Publikum ist es eine Entlastung. Das Problem heute ist die gleichförmige Formatierung eines überraschungsfreien Programms. Es gibt kaum noch Stellen, über die sich jemand aufregen oder ärgern muss. Es plätschert perfektioniert dahin. Fast nichts würde einer*einem noch fehlen, wenn es weg wäre.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net