Eine Anregung für das Grüne Grundsatzprogramm
Über Grundsatzprogramme wird gerne gelästert, dass die “keine*r” lese. Stimmt aber nicht. Als ich noch Strassenwahlkampf machte, war das immer der meistgefragte Text (die meisten unterscheiden nicht zwischen “Grundsatz-” und “Wahlprogramm”). Gerne wurden ganze Klassensätze mitgenommen. Noch wichtiger ist ein Grundsatzprogramm für die innere Kommunikation und Selbstverständigung der aktiven Mitglieder. Und von denen bekommen die Grünen derzeit ziemlich viele Neue. Natürlich führt das zu Streit. Aber besser Streit um wichtige politische Fragen, als über Intrigen, Seilschaften und Charaktermängel. Eine Partei, die das leistet, ist danach stärker.
Mein Vorschlag an die gern als “Verbotspartei” gehänselten: Verteidigung der Lust. Denn die ist im heutigen Stadium des Kapitalismus akut gefährdet und wird von allen Seiten angegriffen.
Shoshana Zuboff erklärt der SZ, wie der Datenextraktivismus des heutigen Kapitalismus uns vom Faktor Arbeit zum Produktionsfaktor Rohstoff degradiert. Und sie kalkuliert richtig, dass dagegen sehr lang anhaltende Emanzipationskämpfe nötig sein werden.
Die Datendiebe machen vor privaten persönlichen Beziehungen, Wohnungen, Schlafzimmern und Toiletten nicht halt. Jede Selbstoptimierung wird gesammelt und verwertet. So stehlen sie uns die Lust am Sex und die Freude der Liebe. Schlimm ist nicht, das beides heute oft getrennt zu betrachten ist – wenn es nur unsere individuelle Wahl und Entscheidung wäre. Das wird jedoch alles verdatet und verwertet, ergibt eine Performance, einen Score, ein Traum für die despotischen Staatenlenker. Sie stehlen Individualität, Spass und Lust, verwandeln es in Währung. Der Leiter einer Studie der Bundeszentrale für gesellschaftliche Aufklärung, Peter Brixen hat das in einem FAS-Interview beschrieben, das heute Mittag hinter einer Paywall eingemauert wurde. Hier als schaler Ersatz die Pressemitteilung.
Der gleiche Mechanismus beim Essen und Trinken, dem “Sex des Alters”. Die Investoren teilen die Welt unter sich auf, Afrika und Asien werden erneut ausgeraubt und verwüstet, um auch diesen Markt der Lust zu beherrschen. Es wird rationalisiert, industrialisiert, standardisiert, denn unter globalem Monopol will es keiner mehr belassen. Und diese Zurichtung betrifft nicht nur die Ware, als Pflanzen und Nutztiere, sondern auch uns. Kriege der Zukunft werden auch darum geführt werden, wie schon in Deutschland 1618-48.
Ein dankbares Feld für eine Partei, die sich mal als „Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ verstand. Sie muss unsere Lebensfreude und Lebenslust militant verteidigen. Das kann sie gross und stark machen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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