Die Schweiz hat wieder abgestimmt. Nach der “No Billag”-Abstimmung hat sie zum zweiten Mal mit deutlicher Mehrheit gegen eine Initiative ihres Milliarden Franken schweren rechten Randes gestimmt. Das zeigt: eine Zusammenarbeit von linken, liberalen und konservativen Demokrat*inn*en ist möglich, daraus kann grosses bürgerschaftliches Engagement entstehen. Zum besseren Verständnis dieser Text von Andreas Zumach, der vor der Abstimmung verfasst wurde.
Schweizer Rechte über alles? – Soll die Schweizer Verfassung über dem Völkerrecht stehen? Auf Betreiben der nationalkonservativen SVP stimmen die Eidgenossen darüber ab.
Soll die nationale Verfassung der Schweiz künftig immer Vorrang haben vor dem Völkerrecht und vor internationalen Verträgen? Über diese brisante Frage entscheiden die wahlberechtigten Eidgenossen am Sonntag in einer Volksabstimmung. Durchgesetzt wurde die Abstimmung durch eine Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“, die die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP) vor zwei Jahren lanciert hatte. Alle anderen Parteien lehnen die Initiative ab, die von der SVP als „Initiative zur Selbstbestimmung der Schweiz“ verkauft wird.
Die SVP verlangt, dass die eidgenössische Bundesverfassung durch Artikel ergänzt wird, in denen festgeschrieben wird, dass sie grundsätzlich vor dem Völkerrecht und vor internationalen Verträgen der Schweiz mit anderen Staaten Vorrang hat. Ausgenommen werden sollen lediglich sogenannte „zwingende Bestimmungen des Völkerrechts“ wie etwa das Verbot des Völkermordes, der Folter und der Sklaverei oder das Recht, nicht zweimal wegen derselben Sache bestraft zu werden.
Die neuen Artikel sollen die Schweizer Gerichte und Verwaltungsbehörden verpflichten, Bestimmungen des Völkerrechts oder einen von der Schweiz unterzeichneten internationalen Vertrag nicht mehr anzuwenden, wenn diese „verfassungswidrig“ sind. Davon ausgenommen werden sollen lediglich Bestimmungen und Verträge, denen nicht nur Regierung und Parlament, sondern auch das Volk in einem Referendum zugestimmt haben.
Im Fall eines festgestellten „Widerspruchs“ muss der Bundesrat dafür sorgen, dass die völkerrechtlichen Verpflichtungen oder die von der Schweiz unterzeichneten internationalen Verträge an die Vorgaben der Bundesverfassung angepasst werden. Gelingt dies in Verhandlungen mit den anderen Vertragsstaaten nicht, so muss der Vertrag „nötigenfalls“ gekündigt werden. Und: Das Prozedere soll auch rückwirkend auf alle seit 1945 bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen und internationalen Verträge der Schweiz angewendet werden müssen.
„Fake News à la Trump und Putin“
Vater der „Selbstbestimmungsinitiative“ ist der milliardenschwere Chemieunternehmer Christoph Blocher. Der frühere Vorsitzende der SVP fungiert nach wie vor als Chefstratege seiner Partei. Und er ist der wesentliche Financier ihrer rechtspopulistischen Kampagnen der letzten Jahrzehnte gegen „Massenimmigration“, Ausländer, Muslime, die EU, die UNO oder andere angebliche Feinde und Bedrohungen der Schweiz.
Ein Ja zu dieser Initiative sei notwendig, um das Schweizer Volk vor der „Abschaffung der direkten Demokratie zu retten“, behauptet Blocher in einem Aufruf, den er in einer von ihm bezahlten und unterschriebenen Anzeigenserie in allen Schweizer Sonntagszeitungen sowie auf Plakatwänden veröffentlichte. Ohne eine Annahme der „Selbstbestimmungsinitiative“ drohten eine „Zwangsaufnahme“ der Schweiz in die EU, das Ende „unserer eigenständigen Frankenwährung“ und eine Bevormundung durch die „fremden Richter“ des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes. Zudem bekämen in der Schweiz lebende Ausländer dann „automatisch das Stimmrecht“, würde die „Staatsverschuldung ins Uferlose“ steigen, und gäbe es künftig eine „freie Zuwanderung für alle“ in die Schweiz.
Die Gegner der Initiative kritisieren Blochers Aufruf als „pure Demagogie“ und als „Fake News und Verdrehungen à la Trump und Putin“. Die am 14. November veröffentlichte letzte Meinungsumfrage vor der Abstimmung am Sonntag ergab eine Mehrheit von 61 Prozent gegen die Initiative.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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