Putsch in Sachen elektronischer Patientenakte
Während sich viele – wenn nicht nicht weiterhin sogar die meisten – Ärzte und vor allem Psychotherapeuten weigern, ihre Praxis für Kosten von rund 2000 Euro an die Telematik-Infrastruktur anzuschließen, ändert Minister Spahn schnell mal seinen, vor kurzem im Bundestag bereits in erster Lesung beratenen Gesetzentwurf. Die Blockadehaltung insbesondere seitens der Psychotherapeuten hatte auch Auswirkungen auf das Verhalten der Kassenärztlichen Vereinigung. Denn dort sitzen die gleichen Ärzte, die zwar in ihrer Verbands-Funktion eigentlich den “Spahnsinn” unterstützen sollten, dies aber persönlich ablehnen. In einer Umfrage des Kollegennetzwerk Psychotherapie mit 1.511 Teilnehmern antworteten auf die Frage: Wenn Sie sich jetzt sofort entscheiden müssten, ob Sie sich an die Telematik-Infrastruktur anschließen lassen würden, wie würden Sie sich entscheiden? antworteten nur 110, (also 7,7 Prozent): “Ich würde mich an die Telematik anschließen.” 1.401 (92,7%) lehnten den Anschluß ihrer Praxis an das die Telematik-Infrastruktur weiterhin ab.
Das System kostet Geld und der Hackerangriff auf die privaten Daten zahlreicher Politiker und sonstiger Prominenter verstärken ebenfalls ein grundsätzliches Mißtrauen gegen zentrale Datenspeicherung wie die von Spahn geplante.
Zustimmung wird nicht eingeholt
Weil er befürchtet, dass auch die Versicherten nicht mitspielen, wurde die zunächst vorgesehene Einholung einer Zustimmung zur Datenspeicherung im Telematiksystem der einzelnen Patienten durch die Ärzte oder Krankenkassen, vom Minister wieder aus dem Entwurf entfernt. Die Versicherten sollen – so verstehe ich das jedenfalls – gar nicht mehr gefragt werden, ob sie damit einverstanden sind, dass ihre Daten in der “Infrastruktur” und damit möglicherweise letztlich in einer zentralen Datei gespeichert werden.
Weil es nicht voran geht und bisher nur Geld kostet – angeblich sind schon gut 2 Milliarden Euro aus Mitteln der Versicherten, Ärzten und Krankenkassen verpulvert worden – will Spahn sich zum Alleinherrscher machen. Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit soll 51 % der Anteile an der Gesellschaft für Telematik übernehmen. 51 Prozent sind die Mehrheit und in Spahns Änderungsantrag 27a heißt es: “… unbeschadet zwingender gesetzlicher Mehrheitserfordernisse entscheiden die Gesellschafter mit der einfachen Mehrheit der sich aus den Geschäftsanteilen ergebenden Stimmen”. Zu deutsch: Spahn will alleine entscheiden können. Seinem Antrag zufolge, sollte der Gesundheitsminister 51 % der Gesellschaft für Telematik halten, 24,5 % der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und insgesamt 24,5 % entfielen auf die Kassenärztliche Vereinigung und weitere Verbände.
“Die Akzeptanz wird steigen” – wird die SPD mitmachen?
Spahn begründet diesen Putsch mit dem herrschenden “Stillstand” in Sachen elektronischer Patientenakte und erklärte gegenüber der Rheinischen Post auf deren Frage: “Es müssen ja nicht nur die Kassen mitziehen. Die Ärzte sind auch noch nicht überzeugt…
Spahn: Ich bin sicher: Das wird sich ändern. Die Akzeptanz wird steigen, wenn sich die Behandlung verbessert. Wenn die Ärzte merken, dass sie besser arbeiten können, weil sie in einer elektronischen Akte die komplette Krankheitsgeschichte ihres Patienten finden. Wichtig ist dafür, dass wir beim Aufbau der elektronischen Akte schneller Ergebnisse liefern als bisher, schneller entscheiden. Dafür müssen wir die Strukturen ändern. Vor 15 Jahren hat die Bundesregierung entschieden, der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen den Aufbau der elektronischen Patientenakte quasi alleine zu überlassen. Das war der Kardinalfehler. Den machen wir jetzt rückgängig. Künftig soll das Gesundheitsministerium im zuständigen Entscheidungsgremium für die elektronische Patientenakte die Mehrheit übernehmen und die Möglichkeit erhalten, die Entwicklung der elektronischen Patientenakte zu steuern. Dieses Zukunft-Projekt darf nicht zum Berliner Flughafen des Gesundheitswesens werden.”
Der SPD-Gesundheitsökonom Karl Lauterbach unterstützt den “Spahnsinn”. Innerhalb der SPD wird allerdings noch immer kontrovers darüber diskutiert. Bleibt abzuwarten, wie lange es noch dauert, bis sich auch die Versicherten mit diesem Angriff auf den Schutz ihrer Daten und die Aufrechterhaltung des bisherigen vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis ernsthaft befassen.
zum Weiterlesen:
Detlef Borchers: Bundesgesundheitsminsterium will Mehrheitsgesellschafter der Gematik werden (heise-online 31.1.19)
Helmut Lorscheid: Angriff auf die freie Arztwahl (22.12.18)
Helmut Lorscheid: Big Data mit unseren Krankenakten (4.12.18)
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