DLF-Kultur brachte gestern dieses Feature von Barbara Zillmann: “Chemo ohne Zuwendung”. Das interessierte mich schon deswegen, weil meine Mutter vor einigen Jahren an Krebs verstorben ist, und erinnert mich an meine nächste Darmspiegelung. Merkwürdig ist für mich nicht, was Zillmann beschreibt, sondern dass es sich seit Jahrzehnten nicht ändert und bessert.
Bei meinen Krankenhausaufenthalten der letzten Jahre war mir bereits aufgefallen, dass ich sofort als hauptberuflicher Mediator hätte anfangen können. Die engagierten und überlasteten Pflegekräfte auf der einen Seite, und meine mehr oder weniger kommunikativ ungelernten, und ebenso überforderten Zimmergenossen auf der anderen Seite. Allein durch Zimmer-Smalltalk und Mithören der Familienbesuche gewann ich Informationen, die den im einen oder anderen Notfall herbeigerufenen Pflege-Schichtarbeiter*inne*n die Arbeit auf wertvolle Weise erleichterten.
Ich bin für die vielgescholtene “Apparate”- und Schulmedizin. Wenn es ihren Fortschritt nicht gäbe, wäre ich schon blind, könnte diesen Blog nicht betreiben und viel meiner Lebensfreude wäre weg. Dass es aber keinen politischen Impuls gab, in den letzten 50 Jahren erkennbare Fortschritte in dem von Frau Zillmann treffend beschriebenen Mangel zu erkämpfen, das muss systemische Ursachen haben.
Selbstverständlich ist es die Profitorientierung, die die Gesundheitswirtschaft nicht von anderen Kapitalismuszweigen unterscheidet. Es ist aber auch die mangelnde Kampf- und Streikbereitschaft, und (noch) viel zu geringe gewerkschaftliche Organisation der Arbeitenden. Wer Menschen helfen will, hat einen inneren Widerstand dagegen zu streiken. Anders gehts aber nicht, um strukturelle Fortschritte zu erreichen.
In den 60er Jahren gab es schon mal Überlegungen, Patient*inn*enorganisationen zu bilden. Sie scheiterten am missionarischen und sektiererischen Gestus ihrer Gründer*innen. Wobei ich zugestehen möchte: je intensiver jemand sich mit den Problemen befasst, umso grösser ist die Gefahr selbst irre zu werden. Ich erinnere mich an ein Bonner ÖTV-Neumitgliederseminar in den 80ern: die zwei Krankenpfleger, die damals dabei waren, hätten mich, wenn ich sie auf dem Krankenbett hätte hören müssen, zum sofortigen Ableben veranlasst. Für den Anfang wäre es ein Fortschritt, wenn wir Versicherten uns bewusster mit den Sozialwahlen bei unserer Krankenversicherung auseinandersetzen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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