Na dann übernehm ich mal! Datenschutzrechtlich ist das autonome Fahren ein Tummelplatz für alle arten von Datenhyänen. Aber es gibt wichtige Unterschiede in den Konzepten der europäischen Autobauer und der US-Datenkraken. Seit etwa fünf Jahren laufen die Vorbereitungen für autonomes Fahren in der deutschen Autoindustrie. Ausgangspunkt der Überlegungen waren die Abstandsassistenten der Nutzfahrzeuge. Daimler hatte zunächst einen deutlichen Vorsprung vor den Wettbewerbern und führte schon 2014 in memoriam Bertha Benz eine vollautomatisierte Fahrt von Stuttgart nach Pforzheim durch. Danach erklärten dann die Techniker, dass man schon erheblichen Aufwand hatte treiben müssen: Nicht nur mussten die 22 Kameras, und neun Radargeräte, speziell auf die Kurvenradien und Kreuzungen dieser Strecke ausgerichtet bzw. programmiert werden, die die Fahrt ermöglichten. Sie wurden zusätzlich durch spezielle 3-D Karten unterstützt, die die Entwickler vorher hatten anfertigen lassen.
Es ist nicht trivial, was da entwickelt wird und die deutschen Autobauer gehen strategisch vor, haben einen eigenen Kartendienst gekauft, um nicht von Google und US-Datenstaubsaugern abhängig zu sein. Um alles aktuell zu erhalten, senden zahlreiche Navisysteme alle zwei Sekunden Daten mit Geschwindigkeit und Fahrtrichtung – allerdings völlig anonymisiert – durch das “Vehicle Backend” auf die Server von Tomtom in Deutschland, kontrolliert durch die DSGVO. Seit Jahren werden mit Datenethikern und Menschenrechtlern Dialoge darüber geführt, dass es nicht sein darf, dass der Computer in brenzligen Situationen entscheidet, ob die Insassen mit dem entgegen kommenden Lastwagen kollidieren, oder das Fahrzeug ausweicht und entweder in den links an der Ampel wartenden Ministerpräsidenten rast oder die rechts an der Ampel stehenden vier Kindergartenkinder verletzt. Aber das ist nach wie vor Science-Fiction!
Technik ist nicht alles
Was heute bereits mögllich ist, sind autonom Parklücken findende Fahrzeuge, die sogar von außen gesteuert einparken können. State of the Art sind Abstandsassistenten, die Kollisionen mit den Vorausfahrenden weitgehend verhindern, die sogar Kurven einlenken können und kurzfristig das Mitschwimmen in Staus erleichtern. Aber 100%ig ist das alles nicht und wird es noch lange nicht sein. Ich habe einige solche Systeme und erinnere mich an einen Wolkenbruch auf der A 8 bei Stuttgart-Degerloch, als mein Distronic-Assistent seine Funktion einstellte und mich auf die Betriebsanleitung verwies. Dasselbe beim Schneetreiben im Schwarzwald, egal ob der Radarsensor oder die Kamera in der Windschutzscheibe ausfielen. Das wird auch zukünftig durch noch so viel Elektronik nicht zu vermeiden sein.
Außerdem benötigen solche Systeme sorgfältige Kalibrierung. Nach fünf Jahren entdeckte ich durch einen Bagatellunfall, nach dem die ganzen Kameras (die übrigens nur verpixelte Silhouetten aufnehmen) neu justiert werden mussten, dass sich die Systeme allein durch die Erschütterungen, die der normale Gebrauch des Fahrzeuge mit sich bringt, verstellen und in regelmäßigen Abständen neu kalibiriert werden müssen. Meinem Autohersteller war das offenbar nicht bekannt, (Bananentechnik – reift beim Kunden) entsprechende Routinen sind im Serviceplan nicht vorgesehen. Vorher waren Abstandsradar oder Totwinkelassistent öfter mal ausgefallen – plötzlich funktionierte alles wieder einwandfrei!
Der animalische Faktor
Es wird vermutlich noch lange dauern, ich schätze etwa zehn Jahre, lieber Martin, bevor Du Dich wieder ans Steuer oder besser ins automatisierte Cockpit eines sicher autonomen Fahrzeuges setzen wirst. Bis dahin werden die Europäischen Automobilkonzerne entweder die Zeichen der Zeit erkannt und kleine, leichte und teilautonom fahrende Fahrzeuge mit guten Datenschutzstandards gebaut haben oder untergegangen sein. Dabei wird auch der menschlich-animalische Faktor eine gewisse Rolle spielen. Denn die Befragten zum autonomen Fahren sagen zu 53%, dass sie sehr gern im Stau und in der Stadt autonom fahren würden, aber bei entspannten Verkehrsverhältnissen aufs Selbstfahren nicht verzichten möchten. Das hat Google erst gar nicht vorgesehen.
Natürlich hat Autofahren etwas mit Machtgefühl zu tun – was kann schon das Gefühl ersetzen, wenn ein übergewichtiger, untrainierter Mittfünfziger aufs Gaspedal seines Porsche Carrera tritt und ihn 540 PS in 3,9 Sekunden von null auf hundert bringen? “Aus Freude am Fahren” (BMW)! Wenn Jungmannen Revierkämpfe austragen: “Vorsprung durch Technik” (Audi), die auch schon mal Todesopfer fordern. Und wenn Nachbarn um Status konkurrieren – mein Boot, mein Haus, meine Frau, meine Geliebte…mein 400 PS-Hybrid-SUV “Das Beste oder nichts” (Mercedes).
Ist “die Jugend” etwa rationaler?
Marktanalysen haben festgestellt, dass bei vielen jüngeren KonsumentInnen heute das Statussymbol Auto an Bedeutung verloren hat und weiter verliert. Das neueste Handy oder Tablet spielen inzwischen eine wesentlich wichtigere Rolle zur Statussicherung. Allerdings nicht ohne andere Schwächen. Die jüngere Generation findet (noch) nichts dabei, bei Whatsapp und Facebook ihr Privatleben freiwillig auszubreiten und sich dann gar über das chinesische “Social Rating System” zur Beurteilung der Bürger zu empören. Obwohl sie nichts anderes mit sich machen lassen – freiwillig von kommerziellen US-Datenkraken. Weil sie immer noch glauben, im Internet gebe es irgendwas umsonst. “The Circle” scheinen immer noch nicht genügend Leute gelesen zu haben.
Disruptive Geschäftsmodelle
Die Benutzung von Uber und Amazon unterliegt sogar bei Zeitgenossen – auch solche sind darunter, die sich für durch aus fortschrittlich und Grün oder gar links halten – einer unglaublichen Naivitätszone: So war ich kürzlich erstaunt, als ich erfuhr, dass einer der vehementesten Kritiker Grüner Regierungspolitik in der ersten Rot-Grünen Koalition in NRW – wir hätten uns um der Regierungsmacht willen zu Kompromissen einkaufen lassen, warf er uns damals vor – heute sogar zwei “Alexas” in seinem Haus duldet, weil es so praktisch sei. Dabei ist bekannt, dass dieser Lautsprecher entgegen der Behauptung seines Konzern niemals abschaltet, intimste Gespäche aufzeichnet und mit der NSA auf Du und Du steht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Amazon der Konzern ist, dessen Geschäftsmodell darin besteht, die mittelständische Kaufmannschaft und Händlerwirtschaft weltweit auszurotten und durch Drohnen zu ersetzen. Der Mann fährt Tesla, handelt ökologisch und hilft gleichzeitig dem Datenkapitalismus willfährig zum Durchbruch. Was also heisst Nachhaltigkeit mit allen Konsequenzen im Zeitalter der Allmacht der Daten?
Orwell’s “Großen Bruder” für viel Profit
Google, Uber und Amazon, ihr feuchter Traum hat mehrere Facetten: Sie wollen alles über uns wissen, unsere Vorlieben, Leidenschaften, Gewohnheiten, Abhängigkeiten, Süchte und Schwächen. Sie wollen dadurch den Willen der Konsumenten zu einem berechenbaren, beliebig manipulierbaren Faktor von Resthirn machen, den es so weit wir möglich in Konsum zu betten und seinen freien Willen zu dämpfen gilt. Es geht dabei um nicht weniger als die Ablösung konventioneller wirtschaftlicher Strukturen durch Geschäftsmodelle, die möglichst viele Konsumenten in direkte Abhängigkeit von Daten- und Warenmonopolen bringen. Ob es sich dabei um die weltweite Vernichtung von Existenzen hunderttausender Taxifahrer handelt, die Uber in vielen Ländern hat durchsetzen können, oder um die Umwandlung der Landwirte in weitgehend fremdbestimmte Handlanger von Monsanto/Bayer durch Gentechnik und manipuliertes Saatgut.
Es geht immer um Herrschaft durch Abhängigkeit, Kritiklosigkeit durch Komfort und Gegenaufklärung. Insofern erscheinen die konventionellen Automobilkonzerne bei aller berechtigten Kritik an ihren Praktiken, die zur Dieselkrise führten, als das kleinere Übel. Sie wollen noch Fahrzeuge und nur Mobilität verkaufen. Den US-Giganten und auch ihren chinesischen Pendants geht es um mehr: Sie wollen alles wissen und damit Macht akkumulieren und Willen beeinflussen. Diesen Mechanismus zu erkennen und sich dagegen zur Wehr zu setzen, ist ein Stück Aufklärung und Emanzipation. Das wird in den kommenden Jahren eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe sein. Auf die Politik ist dabei bisher kein Verlass.
Dazu passt diese schöne kulturindustriegeschichtliche Abhandlung des Herrn Wolf Reiser (ob Rio einen Verwandten dieses Namens hatte, oder es ein gut gewähltes Pseudonym ist?) zum Thema “Apple”:
https://www.heise.de/tp/features/Im-Wendekreis-des-Zankapfels-4368479.html
Eine gut geschriebene nett zu lesende Feiertagslektüre eines Altersgenossen.