Es ist alles angerichtet. Doch der Reihe nach. Irgendwo hier am Rheinufer muss Andrea Pawelcik rumlaufen. Sie schreibt in der Jungle World über ihren Kampf mit ihrem Körper. Es ist spannend, es steht Unentschieden. Das Geniale ist: suchmaschinen Sie mal ihren Autorinnennamen und klicken Sie dann auf Bilder. Was sehen Sie als ersten Treffer? Stark gemacht. Und genauso aussagekräftig wie Carola Padtbergs Verteidigung von Mrs. Madonna Louise Veronica Ciccone im Spiegel. Das Gesamtbild, das Sie aus diesen beiden Texten gewinnen können, ist die Magie der Angela Merkel.
Wenn Sie es danach immer nicht verstehen, sind Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mann. Spätestens 2013 konnte es aber jedem klar sein, insbesondere den Haifischen, die sich reihenweise an ihr die Zähne ausgebissen haben, und sich bis dahin für besonders clevere Strategen hielten.
Die Rachsucht der Männer (s. Padtberg) lässt dennoch nicht nach. Die Hormone, sie legen den Verstand still. Nach der Europawahl und recht wahrscheinlich desaströsen Ergebnissen von CDU/CSU und SPD werden die Sägekommandos durch Berlin-Mitte marodieren, auf der Suche nach hingehaltenen Kameras und Mikrofonen. Und das Schöne: wenn nichts hingehalten wird, kann mann das jetzt auch selbst erledigen.
Die Sache mit der Grundrente könnte für beide Seiten funktionieren. Ist keine symbolische Unwichtigkeit, sondern eine Sache, die viele Menschen ernsthaft bewegt. Die CDU zieht es hier nach rechts, die SPD nach links. Die Hauptsache der Protagonisten ist das allerdings nicht. Ihnen geht es nicht um Inhalt und Richtung. Die sind nicht mehr Zweck, sondern nur Instrument. Es geht den Akteuren darum, diese widerspenstigen Weiber endlich loszuwerden. Dann würden sich gleich zahlreiche Fenster der Gelegenheit für das eigene Fortkommen öffnen.
Merkel wird von den Jungs gerne als bald verschwindende “lahme Ente” dargestellt. Ihr Problem mit ihr ist aber, dass Sie nun unabhängig ist. Sie braucht niemanden mehr von denen, die sich als gierige Haifische und politische Waschlappen erweisen. Das ist bei AKK anders. Die hat sich bereits als druckempfindlich erwiesen. Sie wirkt so sichtbar genervt. Mit der würden sie gerne spielen, weil sie es zulassen muss.
Und Andrea Nahles und die SPD? Welche Rolle sie noch spielen können, wissen sie vermutlich selbst nicht, machen es im öffentlichen Diskurs jedenfalls nicht sichtbar. So wird es dann am Sonntag für sie auch ausgehen. Was darauf folgt wird fürs Publikum so unübersichtlich, dass noch weniger auf die Idee kommen werden, sowas zu wählen.
Für dieses Szenario ist Österreich tatsächlich ein unschönes in die Zukunft verschobenes Beispiel. Die Menschen ausserhalb Wiens (wahlweise: von Berlin-Mitte) denken nicht nur, sondern wissen: jetzt drehen sie alle endgültig durch. Für einen Zwergstaat, kleiner als zwei Ruhrgebiete, mag das recht putzig und aus der Ferne amüsant wirken. In einer Grossmacht im Herzen der EU, zwischen Trump, Putin, Mohammed Bin Salman, Ayatollah Khamenei und Benjamin Netanyahu ist das kein Spass mehr.
Zur Erinnerung: worum müssten sich die Herren und die Damen vordringlich kümmern? Wählen Sie zwischen FAZ und telepolis. Und hier ein Bericht aus der Jungen Welt, dass einige Diplomaten noch ihre Arbeit machen.
Und wenn Sie eine Stunde Zeit haben, geniessen Sie das Video des Kollegen Rezo. Ich habe es mir mittlerweile angesehen. Seine politische Wirkung darf mensch nicht überschätzen. Die Alten, die das nicht gucken, sind viele, und gehen viel zahlreicher wählen. Aber es ist ein spektakuläres Medienphänomen. Der Mann, der oberflächlich betrachtet aussieht, als trüge er eine Mülltüte unter der Mütze, hatte mittlerweile doppelt so viele Zuschauer*innen, wie ein Europawahlabend von ARD (Montag) oder ZDF (Dienstag). Der Kerl hat fleissige und gute Arbeit gemacht. Er repräsentiert die vielen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die von Andreas Scheuer, Alexander Dobrindt bis Axel Voss auf die Palme getrieben werden. Natürlich tut das CDU und SPD weh, soll es auch. Besonders hübsch: die Rolle des Ex-Aussenministers Sigmar Gabriel, bekanntlich einer der Marodeure gegen Andrea Nahles (so ca. um Minute 40 herum).

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net