Anforderungen an Grüne Regierungskunst – kann das gutgehen?
Egal, wann die nächste Bundestagswahl terminiert wird, die Wahrscheinlichkeit, dass die Grünen danach regieren müssen, ob sie wollen oder nicht, steigt stetig. Das gilt auch für andere Wahlen – im Westen und in Grossstädten. Der alte Sozialdemokrat Wolfgang Michal/Freitag ist darüber nicht traurig oder nur melancholisch und sieht den Lauf der Geschichte, so meine ich, richtig.
Was er voraussieht, reicht mglw. nur bis zum nächsten Herbst. Was dann weg ist, kommt nicht wieder. Volksparteien, wie wir sie kannten, kommen nicht zurück. Es kommt auch keine neue. Die Grünen, oder wer auch immer, werden keine “Volks-“, sondern, wenn es gut läuft, eine effiziente Dienstleistungspartei. Zeit, sich darauf vorzubereiten, hatten sie nicht, bzw. haben sie sich nicht genommen. Sie wirken eher wie Getriebene sich beschleunigender sozioökonomischer Veränderungen. Eine gute Vorbereitung auf gutes Regieren ist das nicht. Bei mir schürt das eher Befürchtungen, dass schon schwache Lobby- und Medien-Winde die zukünftige Richtung mehr bestimmen können, als die seltenen demokratischen Wahlen.
Übersetzen möchte ich es zum besseren Verständnis auf die Bundesstadt Bonn. Hier regieren die Grünen bereits, seit der Kommunalwahl 2009, also seit jetzt 10 Jahren! In 2011 war der Fukushima-Moment. Damals gelang es die CDU in der Schwarz-Grünen Koalition für einen Masterplan Klimaschutz zu überzeugen, die FDP wurde für die Mehrheit nicht gebraucht, aber SPD und Linke stimmten mit. Kontrollieren Sie selbst, was davon umgesetzt wurde.
Jetzt regiert seit 2014 in unserer Stadt eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP. Die Mehrheit der Grünen-Fraktion wollte das nicht, wurde aber von ihren Parteimtgliedern mit 2/3 Mehrheit dazu genötigt. Jetzt gibt es den kombinierten fridaysforfuture/Europawahlerdrutschergebnis-Effekt: die Jamaika-Koalition fasst gute Vorsätze für eine Verkehrswende in Bonn (1. Teil, 2. Teil, 3. Teil, 4. Teil, 5. Teil). Die SPD lästert rechthaberisch, dass davon kaum was bis zur Kommunalwahl verwirklicht wird – die ist in gut einem Jahr. Keine sehr gewagte Wette, die der SPD sowieso nicht weiterhilft.
Der nächste Kipp-Moment kommt erst, wenn die Grünen die Kommunalwahl 2020 in Bonn gewonnen haben und die OB-Position, also die*den Boss der Verwaltung, stellen (müssen), und dann … keine, gar keine Ausrede mehr haben, warum dieses und jenes wieder nicht geklappt hat. D.h. z.B. auch, dass sie sich personelle Fehlbesetzungen – die es immer gibt und bisher unvermeidlich waren – nicht mehr werden erlauben können. Wird ihnen diese Umstellung gelingen? Ich zweifle, weil ich zu viel weiss, und tröste mich, dass es Wissen aus der Vergangenheit ist.
Wenn es schiefgehen sollte, wird die Abwahl beim nächsten Mal so sicher, wie das schwüle Rheinlandwetter. Es ist nur sicher, was dann nicht kommt: CDU, SPD, FDP. Es wird irgendwas völlig Anderes sein. Wer wie ich Zeit zum Nachdenken hat, wird davon unruhig.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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