Jürgen Becker wird Dienstag 60
Gestern nacht bekam er von Wilfried Schmickler, dem WDR und der ARD einen Geburtstagsgruss. Ich habe noch gelernt, dass das vor dem Tag Unglück bringt. Aber die Medienindustrie fängt ja auch im Oktober immer schon mit Jahresrückblicken an. Dafür brauchen sie nur billiges Archivmaterial zusammenschnippeln, und fertig sind die Sendeminuten, Honorare für Autor*inn*en nicht erforderlich. Nur eine Dreiviertelmillion hat zugeguckt. Ich empfehle: holen Sies nach.
Zum ersten Mal auf Jürgen Becker aufmerksam machte mich die – wie Schmickler – Herkunfts-Leverkusenerin Kerstin Müller. Sie war Anfang der 90er Jahre Landesvorsitzende der NRW-Grünen, und wollte mir den Kölner Karneval nahebringen. Vor dem flüchtete ich immer nach Ostfriesland. Es ergab sich, dass die Belegschaft der Grünen-NRW-Landtagsfraktion für die Stunksitzung Kartenpakete angeboten bekam. Und siehe, hat gar nicht wehgetan. Ich empfand das als gelungenes politisches Kabarett, und zwar nie mit Verzweiflung, sondern immer mit Lachen. Lachenlernen heisst Siegenlernen. Dafür war der junge Becker ein würdiger Präsident.

Den öffentlichen Becker haben wir auch Bringmann zu verdanken

Ich verdächtige Rolf Bringmann, dass er als langjähriger WDR-Redakteur mitschuld daran war, dass Becker so eine Karriere hinlegen konnte. In den WDR-Programmen, die damals noch relevanter waren als heute, hatte er nicht nur ein Fundament an bezahlter Arbeit, sondern konnte, weil er gut war, auch berühmt werden, was wiederum sein Einkommen auf dem Markt steigerte. Das Gegenteil des Teufelskreises. Bringmann habe ich zu meiner Rundfunkratszeit mal zu einem längeren Gespräch privat getroffen. Vom Temperament das Gegenteil von Becker, ruhig und nachdenklich, mehr der reflektierte Typ. Ein guter Stratege, aber damals schon der Verbitterung um Prozesse im WDR nahe. Er wusste halt “zuviel”. Bringmann hat aber nicht resigniert, in seiner Zeit viele kreative Karrieren gefördert und damit viele Spuren hinterlassen. Heute würde mir so ein*e Radakteur*in mit Format nicht mehr einfallen (aber alte Namen, CW Koch in Dortmund z.B.).

So schön kann rot-grüne Versiffung sein

Zu Beckers Erfolg gehörte also einerseits solche Protektion. Die hat er sich allerdings auch redlich verdient, weil er rastlos arbeitete, und ihm zu allem und jedem was einfiel – das Rheinland-Gen will es so. Mit ihm sickerte die rot-grüne Versiffung in den Mainstream ein, und alle lachen drüber und finden es gut. Das ist mehr politische Intelligenz, als heute in Parteivorständen anzutreffen ist. Weil Becker nie den Kontakt zur Welt da draussen verliert. Bei den Stunksitzungen war und ist es noch heute so, dass nach der vierstündigen Vorstellung Publikum und Darsteller*innen zusammen am Tresen stehen, und über die komplette Weltlage quatschen. Das ist das Wasser, in dem ein Fisch wie Becker sich wohlfühlt. Der Kerl ist privat auch so nett, wie auf der Bühne. Der spielt das nicht, der ist das. Ein Effekt, der keiner*m Politiker*in mehr gelingt.
Wenn Sie in dem ARD-Beitrag Wilfried Schmickler gut zuhören, werden sie die Stelle bemerken, an der er erklärt, wie verschieden sie beide sind. Stimmt. Und gerade deshalb ist ihnen eine wunderbare jahrzehntelange Zusammenarbeit und Freundschaft gelungen. Auch das ist eine Kunst, die aus der Politik verschwindet: Verschiedenheit als komplementäre Stärke, Teamgeist, die Gemeinsamkeiten identifizieren und Solidarität praktizieren.
Solche Kerle sind es, die das Rheinland so schön machen. Und, ja sicher: ohne die schönen Frauen hätten sie das nie hingekriegt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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