Die Situation auf innerstädtischen Straßen ist von von einer besonderen Art von Aufrüstung geprägt. Gegen Falschparker ziehen zunehmend verkehrsbehinderte Radfahrer oder solche, die sich dazu berufen fühlen, mit entsprechendnen APPs zu Felde. Falschparker fotografiert, Stelle dokumentiert und per Internet an die Bußgeldstelle der Stadt und ggf. auch noch öffentlich an den Pranger als “Verkehrshindernis” auf einer Seite diverser APP-Betreiber wie “Wegeheld” gestellt. Und wie der Name schon sagt, fühlen sich deren Betreiber und ihre Kunden vollumfänglich im Recht. Im Deutschlandfunk ist nachzulesen, welche Interessen dort derzeit zunehmend aufeinander treffen. Dass es dabei zu wachsenden Konflikten kommt, ist Folge einer konzeptionslosen, nicht zuende gedachten Politik. Weil ihre friedensstiftende Funktion versagt hat, gehen die Menschen zunehmend aufeinander los – sei es verbal vor Ort, sei es per Denunziation mittels APP.

Frustriert sind manche Fahrradfahrer, deren Anzeigen ihrer Meinung nach nicht nachdrücklich genug bearbeitet werden, sauer sind aber auch Autofahrer, die sich in ihrer Not, Parkplätze zu finden, einer wachsenden Konkurrenz mit allen möglichen Fahrzeugen gegenüber sehen. Den einen müßte gesagt werden, dass Ordnungswidrigkeitenverfahren aus guten Gründen keine Straftaten sind, die verfolgt werden müssen, und dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt, also nicht für 2 cm Überschreitung der Parklinie hohe Bußgelder fällig werden können. Den anderen wird aber nicht deutlich genug gesagt, dass Parkraum verknappt werden muss, und ihnen wird nicht hinreichend Möglichkeit geboten, Alternativen wahrzunehmen.

Verkehrsteilnehmer*innen aufeinander gejagt

Die Innenstädte vor allem der Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln und München, aber auch kleiner Städte, die sich auf den Weg der Verkehrswende begeben haben, quellen über vor Fahrzeugen jeglicher Art. Noch immer sind etwa 55 Millionen PKW zugelassen, dazu kommen unzählige “Sprinter”, Post-Lieferwagen und andere Kuriere. Neben diesen die Handwerker und Monteure – von ÄrztInnen, Behindertenfahrzeugen und Uber-Taxipiraten ganz zu schweigen. Mit Busspuren, der Umwidmung von Fahrspuren in Fahrradwege, und der Reduzierung von Parkplätzen kämpfen sich die Städte langsam voran. Köln etwa hat auf den Ringen Tempo 30 eingeführt, viele Ein- und Ausfallstraßen von zwei auf eine Spur verschmälert, wo früher “70” möglich war, gilt heute 50. Das hat aber kein einziges Auto aus der Stadt ferngehalten – wie auch: Seit den 80er Jahren pendeln täglich etwa 550.000 Menschen aus beruflichen Gründen morgens hinein und abends heraus aus der Stadt.

Neue Fahrzeuge erhöhen das Risiko

Zu den alten “professionellen” Radfahrern in Köln, die um ihr gefährliches Leben wissen, haben sich in den letzten Jahren mehrere Tausend Nutzer von Leihrädern, Segways und nun neuerdings auch E-Rollern (Scooter) gesellt, einer Glanzidee des Innovationskapitalismus, dessen Ökobilanz katastrophal und ein ebenso schnelles Ende absehbar ist, wie das der Segways – und es soll auch noch Fußgänger geben. Deren Leben wird immer gefährlicher, weil sowohl E-Rollerfahrer wie E-Biker nicht im mindesten ihr Gefährdungspotenzial gegenüber Fußgängern einschätzen können. Und auch mancher militanter Radfahrer, der nachts ohne Licht entgegen der Einbahnstraße oder über rote Fußgängerampeln unterwegs ist, stellt eine Gefahr dar, die es längst notwendig macht, auch für scheinbar “normale” Räder Kennzeichen und Versicherungspflicht einzuführen. Die neuen Gefahren entstehen beiderseitig und alle nehmen für sich allzu gerne das Recht in Anspruch, “die Guten” zu sein. Staatliches Eingreifen mit dem Ziel Konflikte zu befrieden ist auch hier gefragt.

Neue Sanktionen sind der “billige” Weg

In mangelnder Bereitschaft, gegen Lobbyinteressen der Autoindustrie und anderer Wirtschaftszweige Entscheidungen zu treffen, sucht Verkehrsminister Scheuer nun wieder den Weg, mittels Strafen und verschärfter Bußgelder die Einzelnen für die katastrophale Verkehrspolitik der GroKo verantwortlich zu machen. Und leider stoßen auch autoritär gestrickte Grüne wie der Tübinger OB Palmer in dasselbe Horn. Aber selbst eine drastische Erhöhung der Bußgelder wird an der Ursache der Entwicklung nichts ändern. Dafür sind grundsätzliche Änderungen notwendig, die u.U. bis auf die EU-Ebene Rechtsänderungen erfordern – etwa bei den Postdiensten.

Regulieren der Lieferströme

Einfache, auf der Hand liegende Lösungen werden erst gar nicht gedacht, geschweige denn umgesetzt, weil neoliberale Lösungen immer noch Vorrang genießen. Dabei ginge es mit wenigen ordnungspolitischen Entscheidungen schnell besser – etwa so am Beispiel Köln:

Sperrung der Innenstadt innerhalb der Inneren Kanalstraße für alle nicht Behinderten oder aus anderen besonderen Gründen (Handwerksbetriebe) auf ein Auto angewiesenen Personen. Einfahrt nur noch für E-Mobile. Zwanzig Parkhäuser an der Stadtgrenze, von dort aus nur noch wahlweise Straßenbahn morgens und abends im 3-Minutentakt, wers indviduell braucht, Taxi, Elektrosmart oder E-Bike.

Gesetzliche Neuordnung des Zustellwesens unter ökologischen Gesichtspunkten: Begrenzung und Kontrolle der Zahl einfahrtberechtigter Fahrzeuge, ausschließlich E-Zustellfahrzeuge pro Bezirk und Aufhebung der erzwungenen Scheinselbständigkeit vieler Zusteller, indem sie in bestimmten, von der Stadt festzulegenden Bezirken für mehrere Dienste wie DPD, UPS, DHL, Hermes und co. gleichzeitig tätig sein dürfen (müssen), die wiederum ihre Pakete an wenige zentrale Verteilzentren anliefern müssen. Oder wahlweise hohe Mautgebühren für E-Commerce-Pakete, die die Menschen daran erinnern, dass es auch noch Einzelhandel gibt. Das Parken nahezu leerer Lieferwagen dieser Unternehmen in zweiter Reihe und vernebeln die Innenstädte mit Dieselqualm hätte rasch ein Ende.

Ich bin kein Verkehrsexperte – ich habe nur das Gefühl, dass Konzeptionslosigkeit, mangelnde Transparenz,  interessengeleitete Entscheidungen und halbherziges politisches Taktieren die Verkehrswende blockieren. Denunziations-APPs und Rechthaberei mögen dabei einigen als Ausweg erscheinen, ihren Frust abzureagieren. An den Ursachen der Misere ändern sie jedenfalls nichts.

 

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net