von Günter Bannas
Wie gut, dass Görlitz in Sachsen und nicht in Nordrhein-Westfalen liegt! Erstmals wäre der Bürgermeister einer Stadt in Deutschland von der AfD gestellt worden. Läge Görlitz am Rhein, hätte Angela Merkel unlängst bei ihrem Besuch dort einem AfD-Mann freundlich die Hände zu schütteln gehabt. Warum? Das Wahlgesetz in Sachsen sieht – wie bisher in allen Bundesländern – bei den Bürgermeisterwahlen einen Stichentscheid vor, wenn im ersten Wahlgang kein Bewerber die absolute Mehrheit erhält. Wie im Frühjahr in Görlitz. Im ersten Wahlgang lag der AfD-Kandidat mit 36,4 Prozent auf Platz eins. Der CDU-Kandidat bekam 30,3 Prozent. Die übrigen Kandidaten verzichteten auf den zweiten Wahlgang, der dann vom CDU-Mitglied gewonnen wurde.
In Nordrhein-Westfalen aber schaffte die CDU/FDP-Landtagsmehrheit den Stichentscheid bei Bürgermeisterwahlen ab; heute tritt das Gesetz in Kraft. Wer nach dem ersten Wahlgang vorne liegt, ist gewählt – auch wenn er nur, zum Beispiel, ein Viertel der Stimmen erhielt. Einer Klage von SPD und Grünen beim Landesverfassungsgericht werden nur geringe Aussichten gegeben. Das Kalkül der CDU-geführten Regierung unter Ministerpräsident Armin Laschet war es, die Chancen seiner Partei zu verbessern, weil die CDU zwar nicht für eine absolute Mehrheit, meist aber für Platz eins gut ist. Die Wahl 2014 in der Landeshauptstadt Düsseldorf gilt als Anlass. Nicht der CDU-Kandidat, der im ersten Wahlgang vorne lag, wurde OB, sondern Thomas Geisel (SPD) – im zweiten Durchgang. Die nächsten Bürgermeisterwahlen in NRW stehen im Herbst 2020 an; dann nominiert die Union ihren Kanzlerkandidaten. Schön wäre es für den ambitionierten Laschet, wenn er dann mit Wahlerfolgen daheim für sich werben könnte.
Fußt Laschets Aktion auf einer Fehlkalkulation? Bei der Europawahl lagen in vielen Großstädten die Grünen auf Platz eins: In Köln, Düsseldorf, Dortmund, Münster, Bielefeld, Wuppertal, Bonn – sogar in Aachen, Laschets Heimatstadt. Übrigens: In Saarbrücken wäre kürzlich Charlotte Britz (SPD) wieder Oberbürgermeisterin geworden, wenn es nicht einen zweiten Wahlgang gegeben hätte. Den gewann Uwe Conradt (CDU). Annegret Kramp-Karrenbauer, die aus dem Saarland kommende CDU-Vorsitzende, könnte zu Laschet, ihrem Stellvertreter, sagen: Wie gut, dass Saarbrücken nicht in Nordrhein-Westfalen liegt. Auch die Verteidigungsministerin will ja Kanzlerin werden.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.
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