Von mir hat der Spiegel noch nie eine Mark gesehen. Schon Ende der 70er Jahre lernte ich in der Praxis, dass sich die dort für was Besonderes haltenden Mitarbeiter*innen von – vom Spiegel aus gesehen – mikroskopisch kleinen Jugendorganisationen eine Weltsicht nicht durch Fakten kaputtmachen lassen wollten. Der Trick des Spiegel war und ist eine Präsentation und Schreibe, die das Gefühl vermittelt, der unbarmherzig-kritische Schreiber wisse schon “alles”, natürlich noch viel mehr, als er er hier schreibt. Unübertreffliches Beispiel war seinerzeit dir Formulierung, von wem sich Bundeskanzler Kohl “sein Ei aufschlagen” lasse. Boah, war das informiert …
Erst in Vorgängen, in denen ich selbst involviert war, und es besser wusste, lernte ich, mit welch dünnem Wasser der gerühmte Spiegel seine Suppe kochte. Und wieviele ehrlich recherchierte Werke seiner Mitarbeiter*innen nie das Licht der gedruckten Welt erblickten, weil sie halt zu kritisch waren – mit der Wirtschaft, der Rüstungslobby, SPD oder FDP.
Seitdem lese ich aufmerksam über den Spiegel. Gebessert hat sich demzufolge nichts. Im Schatten der scheinbar glorios-selbstkritisch bearbeiteten Relotius-Affäre entpuppen sich weitere, viel schwerwiegendere Nachwuchakader-Probleme. Eins davon trägt den Namen Rafael Buschmann (37). Ich hatte schon vor einem Jahr ein merkwürdiges Gefühl bei seiner Art, sich und seine Werke zu präsentieren. Die jungen Karrieregäule des Spiegel, unzureichend ausgebildet und angeleitet, stolpern über ihren eigenen Ehrgeiz – auf den sie mehr Energie verwenden, als auf ihr Kunsthandwerk. Dramatisch und katastrophal, wie ich es bisher nur in der verachteten Berufswelt der Politiker*innen beobachtet habe. Jetzt ist es also auch ganz “oben” im deutschen Journalismus angekommen, im Investigativressort des Spiegel.
Lesen Sie hier das ganze Ausmass: Stefan Niggemeier/uebermedien, der es selbst nur kurz beim Spiegel ausgehalten hat, und hier bei Javier Cáceres und Ralf Wiegand/SZ.
Ich könnte es nun schadenfroh als Katastrophe des von mir ungeliebten Spiegel abbuchen. Ich fürchte, dahinter verbirgt sich eine politisch noch viel gewichtigere Sache. Der kriminelle Komplex aus Fußballbusiness und despotischen Politikdarstellern hat hier wahrscheinlich, mustergültig für jede Mafia, durchgespielt, wie er vorwitzige Journalist*inn*en hinter die Fichte führen, und umso ungestörter erheblich gewichtigere kriminelle Manöver unbelästigt weiterfahren kann. In seinem Dilettantismus hätte sich der Spiegel so der fahrlässigen Beihilfe schuldig gemacht. Meine jahrzehntealtes Bild von ihm, da ist es wieder …
Sehen Sie sich vor vor den aufgeblasenen Fanfaren diverser “Investigativressorts”. In der Mehrheit der Fälle handelt es sich um orwellsche Sprechweise, mit der zu verdunkeln versucht wird, dass in Wahrheit an Journalismus gespart wird. Und was dann übrig bleibt, ein umso leichteres Opfer von Durchstechereien aus Konzernen, Lobbyverbänden, Regierungsapparaten und Geheimdiensten, aus all den dort gegeneinander intrigierenden Seilschaften, wird. Ohne auch nur ein Fitzelchen dieses Umstandes transparent zu machen. Es wird immer ärmer, was noch in der Öffentlichkeit landet. Und ja, es gibt positive Ausnahmen. Der ganze Beueler Extradienst ist ein Versuch, auf solche hinzuweisen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net