Beueler-Extradienst

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Was muß eigentlich noch passieren, bevor das Recht wieder gilt?

Seit Wochen und Jahren gibt es immer häufiger Berichte in den Medien über Hass im Netz. In der Schweiz tritt eine Grüne Abgeordnete von ihrem Mandat zurück, weil sie den Hass nicht mehr aushält, mit dem sie überzogen wird. Renate Künast kassiert ein Urteil, bei dem jeder vernünftige Mensch nur mit dem Kopf schütteln kann. Millionen Menschen weltweit werden zu Hassern und Beleidigern, weil die natürlichen Reaktionen menschlicher Kommunikation und die ebenso selbstverständliche Folge, für seine Taten zur Verantwortung gezogen zu werden, von geldgierigen Konzernen aus dem Silicon Valley außer Kraft gesetzt worden sind und demokratische Staaten zuschauen, statt Rechtstaatlichkeit durchzusetzen.

Demokratien lassen sich von libertären kalifornischen Spinnern am Nasenring durchs Netz ziehen und die demokratische Öffentlichkeit, die Voraussetzung für diese Demokratie ist, von ihnen zerrütten. Der angebliche Traum von der Freiheit im Internet, nicht von wenigen auch demokratisch gesonnenen und blauäugigen Menschen hier geträumt, hat inzwischen zu Verhältnissen geführt, unter denen Recht und Rechtsdurchsetzung für die schwächeren, friedlicheren, weiblicheren, zurückhaltenderen und vor allem für Minderheiten zur Farce geworden sind. Hetze, Unverschämtheit, Beleidigung, Bedrohung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit bis hin zu Vergewaltigungs- und Mordaufrufen sind inzwischen Gang und Gäbe und an der Tagesordnung. Weil Regierungen in einer sonderlichen Mischung aus missverstandener Freiheit und Einknicken vor den kommerziellen Interessen von Werbekonzernen, Internethändlern und Datendieben, namentlich Facebook, Google, und Amazon zu feige sind, wirksame Gesetze zu beschließen, die die Menschen wirkungsvoll beschützen.

Internet ist kein rechtsfreier Raum

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Wer dort beleidigt, beschimpft, verunglimpft, lügt, macht sich genau so strafbar, wie wenn er mir einen Brief schreibt oder mir dies unter Zeugen an den Kopf wirft oder in die Zeitung setzt. Aber die Politik hat systematisch alle Möglichkeiten verbaut, dass das Recht gegen Internet-Täter auch durchgesetzt werden kann. Anonymes Beleidigen, Hassen, Hetzen wird durch die geltende Rechtsordnung im Internet quasi zum Grund-Unrecht erklärt. Warum wollen die Gesetzgeber nicht Facebook und Co vorschreiben, dass bei ihnen nur noch Kunde sein kann, der sich mit Klarname und Adresse anmeldet, der sich mit Verfahren wie Postident oder anderen ähnlichen Verfahren identifizieren muss? Und warum wird nicht gesetzlich festgelegt, dass jeder Beleidigte oder Angegriffene einen Herausgabeanspruch der Adresse des Täters gegenüber Providern hat – auch wenn er im Ausland sitzt?

Ja, das kostet Geld. Ja, das gibt es in den USA und weltweit nicht. Schön, aber deutsche Neonazis auch nicht! Natürlich würden sie Umgehungslösungen suchen – aber damit würde die Schwelle höher gesetzt, würde nicht mehr jeder Hinz und Kunz zum skrupellosen Beleidiger. Ja, das würde nicht alles verhindern, nicht jeder hätte die Möglichkeit, seine Beleidigung oder Offizialdelikte wie Bedrohung oder Nötigung wirkungsvoll durchzusetzen. Aber wahrscheinlich die meisten oder auch nur viele. Allein das würde schon ausreichen, das ganze feige Pack von Tätern, Neonazis, Frauenfeinden, Salafisten, Minderheitendissern oder einfach nur viele mobbenden Schüler*innen zum Bedenken zwingen, dass sie ja vielleicht doch erwischt und verfolgt und zur Verantwortung gezogen werden könnten, für das, was sie im Internet tun.

Ohne Rechtsstaat keine Demokratie

Die Taten von Halle, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten und der Mob von Chemnitz und Pegida sind die Folge eines seit Jahren gewachsenen Klimas des Hasses und der Hetze auf (a)sozialen Netzwerken, allen voran Facebook. Cambridge Analytica und andere Datenkrimineller, die Manipulation und Volksverhetzung betreiben. Sie werden systematisch durch die bestehenden Gesetze der Rechtlosigkeit der Anständigen im Internet begünstigt und gefördert. Trump ist ein Symptom, wohin das führt. Durchsetzung des Rechtsstaats würde bedeuten, Gesetze zu machen, die es Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden erlauben, die Identität der Täter herauszuverlangen von den legalen elektronischen Dienstebetreibern. Natürlich werden das nicht alle Provider tun. Die, die auf den Cayman-Inseln oder sonstwo sitzen sowieso nicht. Aber Facebook und Google könnten es sich gar nicht leisten, das zu verweigern, nachdem passiert ist, was passiert, und jeden Tag weiter geht.

Denn es ist ein Skandal, dass das sogenannte Gesetz zur Rechtsdurchsetzung im Internet nicht die Rechte der Betroffenen schützt, sondern die von Facebook, Google Co. Denjenigen, die nur löschen wollen, weil das die billigste aller Lösungen ist. Durch Algorithmen, die sowieso vieles nicht finden oder nicht zwischen einer nackten antiken Statue und Kinderpornografie unterscheiden können, oder billige Lösch-Sklaven in Südostasien, die für die Milliarden von Facebook und Google Gewalt, Pornos, Morde und anderen Dreck wegschuften müssen, um nach wenigen Jahren als psychische Wracks ohne psychologische Hilfe zu enden. Die es richten und den Schein von “Sauberkeit” aufrechterhalten müssen, den sich die US-Datenkraken geben. Mit Rechtsstaatlichkeit, nicht einmal dem Versuch einer solchen, hat das noch nie etwas zu tun gehabt. Ist aber von der Groko, namentlich Herrn Maas, als er noch Justizminister war, so beschlossen worden. Höchste Zeit, diesen Holzweg zu verlassen.

Soziale Plattform in öffentlich-rechtlicher Hand statt Datenkrake

Wir brauchen doch ein soziales Netzwerk! Werden viele sagen. Wirklich? Was bitte ist an Facebook und Google, Werbeunternehmen, die Verhaltensmuster, Gewohnheiten, politischen Ansichten, sexuellen Neigungen und Identitäten, Hobbies, sozialen Verbindungen und das Spielverhalten ausspionieren, auswerten und vermarkten – und dafür kostenlos ein paar Milliarden Leute miteinander reden oder etwas im Internet finden lässt, so erhaltenswert? Einem (a)sozialen Netzwerk, dessen Betreiber die User wie weiße Mäuse behandelt, die man beobachtet, mit diesem oder jenem Anreiz füttert oder zu diesem oder jenem Verhalten veranlasst, sie aufeinander hetzt und ihnen vorspiegelt, dies geschehe kostenlos und aus Menschenfreundlichkeit, nur um noch mehr über sie herauszufinden? Das dadurch, dass es durch dieses Wissen um Persönlichkeitsprofile die Werbemilliarden von der einstmals freien Presse abzog, die sich stolz als “vierte Gewalt” in der Demokratie wähnte und die heute bedroht ist, im Sog der Fake News und Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien und Gerüchte auf genau diesem (a)sozialen Netzwerk unterzugehen?

Wieso eigentlich ist ein so gefährliches Massenmedium wie Facebook oder eine Suchmaschine, die soviel über die meisten ihrer Nutzer weiss, überhaupt in den Händen privater Unternehmer?

Weil Rundfunk ein ähnlich gefährliches Medium ist, hat man in Deutschland und Österreich nach der Nazi-Diktatur öffentlich-rechtliche Medien eingeführt – damit diese nie wieder von einzelnen Menschen oder einer Partei missbraucht werden können. Wieso schaffen wir nicht per Gesetz ein öffentlich-rechtliches, wirklich soziales Netzwerk, dessen Algorithmen nicht Menschen gegeneinander aufhetzen, sie für kommerzielle Interessen ausspionieren und Konsumenten- und Persönlichkeitsprofile bilden, die dann für Werbung missbraucht werden? Die Mittel dafür stehen bereit – sie fließen nur derzeit in den Rachen von unersättlichen wie korrupten Organisationen DFL, UEFA oder FIFA. Das müsste man nur beenden. Wann, wenn nicht jetzt? Wieviel Verhetzung, Hass, Morde und Rassismus soll es noch dauern und kosten?

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Marquardt

    Super geschrieben! Du hast völlig Recht, lieber Roland!
    Claudia Marquardt

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