Mein Mitautor Roland Appel und ich waren mit drei klugen und schönen Damen verabredet. Mit dem Abend schiefgehen konnte also nichts. Das von zwei dieser Damen ausgewählte Lokal “Neni”, Teil der laufenden Gentrifizierung des Kölner Friesenviertels im ehemaligen Gerling-Komplex, kannte ich noch nicht. Die Speisekarte weckte meine Neugier. Orientalisch kommt meinen Neigungen entgegen, davon stark beeinflusstes israelisches war mir noch kaum bekannt.
Das Auffinden der Adresse fiel mir nicht schwer, eine Paralellstrasse zur Friesenstrasse. Das Lokal ist nämlich im 25hours-Hotel untergebracht. Nachdem ich das wahrgenommen hatte, musste ich in der Lobby den richtigen Weg durchs Gebäude finden. Die Rezeption war mit einer Warteschlange belagert. Ich lief in eine Richtung, aus der menschlicher Lärm zu hören war. Von dort kam mir ein junger Mann entgegen, der mich als Suchenden identifizierte, und mir den Weg zu den Fahrstühlen und dort Richtung 8. Stock wies. Die innere Anmutung des Gebäudes erinnerte mich an die heutigen Kreuzfahrtschiffe – Einkaufsmalls, die auf dem Wasser durch die Gegend fahrend, zum Konsumieren animieren sollen. Den damit verbundenen hektischen Massenbetrieb, auf den Schiffen dann auch beim unerschöpflichen Buffet, hasse ich wie die Pest, genussfeindlich.
Da sitzt ja Dunya Hayali!
Erstes spektakuläres Gesprächsthema: ein paar Meter weiter sass Dunya Hayali, echt, mit uns unbekannter Damenbegleitung, nicht in verliebtem, aber freundschaftlichem Gespräch. Später glaubten wir am Nachbartisch Cordula Stratmann zu erkennen; die war aber nicht echt. Aber ein Marketingziel des Unternehmens war bereits erreicht: die Gäste fühlen sich szenig. Folgerichtig waren am Freitagabend die Tische nicht nur aus-, sondern durch ein “bedauerliches Versehen” überbucht, die Kürbis-Ingwer-Suppe von der Speisekarte um 18.20 h schon “aufgegessen”. Zur Halbzeit wurden wir an einen anderen Tisch umgesetzt.
War für uns keine Belästigung. Denn wir gruppierten uns sowieso im Abendverlauf immer wieder um, empfanden es mehr als Lust als Last. Denn die bestellten Mahlzeiten kreisten von der Mitte des Tisches auch wild untereinander, damit jede*r alles mal probierte. Es war aber auch ein Zwang dabei: aufgrund der allgemeinen Geräuschkulisse in dem vollen Lokal war es am Tisch nicht wirklich möglich, ein Gespräch zu führen, an dem alle 5 akustisch teilhaben konnten. Für Menschen, die auf Hörgeräte angewiesen sind: die Hölle!
Modernes Kantinendesign
Und ja, je länger ich drüber nachdachte, wurde mir klar: das ist eine gut und angenehm eingerichtete Kantine. Kein Lokal, in dem Vertrauliches oder sehr Persönliches in Ruhe und Gelassenheit besprochen werden kann. Sehr gut dagegen für Sehen und Gesehenwerden.
Zum Essen: ich mag Humus, auch wenn Kichererbsen für meine Verdauung zu einer anstrengenden Aufgabe werden können. Aus guten Zutaten hergestellt, ist das für mich ein grosser Genuss, und war es auch an diesem Ort. Es ist aber auch für die betriebswirtschaftliche Kalkulation von Vorteil. Denn Humus ist eine im Sinne des Wortes wirkungsvolle Sättigungsbeilage, die erlaubt bei Wareneinsatz an anderen Stellen zu sparen, ohne dass es dem Gast missfällt. Nicht dumm, nicht böse, aber schon ein bisschen tricky. Das Abschmecken der diversen Speisen war gut, nicht laff, auch nicht zu scharf, Middle of the Road. Die Komposition der Geschmäcker war angenehm kreativ, nicht experimentell, alles auf einer sicheren Seite des Erfolgs. Als Dessert-Afficionado hat mich “Ilan’s Tiramisu mit Mandelkeks, Madeira und Kakao” am meisten angemacht. Auch die Süsskartoffel-Pommes sollte frau oder mann bei der Menüzusammenstellung nicht auslassen. Das Servicepersonal ist lieb und nett, aber scheinbar noch in der Ausbildung, und zu stark mit Gästemassen belastet, gemessen daran noch netter. Meine Freundin Sibylle, hier um die Ecke aus dem Combahnviertel und im “the protea” im Service arbeitend, ist einerseits älter (auch wenn sie nicht so aussieht), aber weit fehlerloser und professioneller. Aber finden Sie mal gutes Servicepersonal – da müssen Sie beim Lohn und der Qualität des Arbeitsplattzes schon was drauflegen!
Wo ist die journalistische Kritik hin? Stern und brandeins schaffens auch nicht mehr
Beim Recherchieren nach dem schönen Abend stiessen mir einige kritischere Aspekte auf. Neni ist eine Restaurantkette, die von Haya Molcho gegründet wurde und betrieben wird. So weit, so gut. Was ich dagegen nicht gefunden habe, war eine professionelle Gastronomiekritik, die ich selbst hier auch mangels professioneller Fachkenntnis gar nicht leisten kann oder will. Stattdessen ein eher rührseliges PR-dominiertes Familienmärchen, hier im einst journalistischen Stern präsentiert. Dagegen ist die Sendung mit der Maus beinharter Investigativ-Journalismus.
Ähnlich bei der das Restaurant beherbergenden Hotelkette 25hours. Eins der von mir am meisten bevorzugten kritischen Wirtschaftsmagazine brandeins lancierte hier und hier Texte, die die PR-Abteilung von 25hours nicht hübscher hätte schreiben können. Ich habe mich im Freundeskreis schnell belehren lassen. dass Designwissenschaftler*innen, das was von brandeins so überschwenglich als individuell und kreativ gelobt wird, als unterste Schublade ihres Faches ansehen. Ebenso zweifeln Hamburger Freund*inn*e*n die angebliche Günstigkeit der Zimmerpreise an; die sind wie überall und immer extrem saisonabhängig. Bekannt dagegen ist der fette Investor Accor, der 25hours zu 30% besitzt, und bis 2023 komplett übernehmen soll. Die kaufen alles, was Rendite verspricht, und schrecken selbst vor einem Libyen-Kriegsverbrecher wie Nicolas Sarkozy als Führungsfigur nicht zurück. Als zentrale Orientierung gilt: Kapital ist in unbegrenzter Menge (in privater Verfügungsgewalt weniger Mächtiger) vorhanden, und verlangt sowohl nach unbegrenztem Wachstum, als auch nach immer weiter beschleunigter Umwälzgeschwindigkeit. Darum der Trick mit der Design-Dominanz. Was wechselt schneller als hippe Moden?
Konzerne kaufen Journalismus selbst ein – und bauen die Demokratie ab
Was mich aber noch mehr als all diese Feststellungen beunruhigte, ist die Tatsache, dass ich auf mehreren durchgeblätterten Suchmaschinenergebnisseiten keine journalistische Kritik an diesen Unternehmen fand. Grosse, personell hochgerüstete Abteilungen dieser Unternehmen haben nämlich nichts anderes zu tun, als den Nachrichten- und Meinungsstrom in allen möglichen asozialen Medien zu kontrollieren. Schockierenderweise gelingt ihnen das. Während alle journalistischen Arbeitgeber*innen immer weiter abrüsten, machen Unternehmen, Parteien, Grossorganisationen die Medien selbst. Ohne Unabhängigkeit. Das ist Abbau der Demokratie, in seiner Wirkung im Kern verfassungswidrig. Doch wo ist demokratische Politik, die da eingreift und das korrigiert?
Ich habe also hier schon mal damit angefangen. Mit bescheidenen Mitteln.
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