mit Update
Auf ihrem Weg zur Mitte und darüber hinaus wollen die Grünen jetzt die Frankfurter Allgemeine Zeitung retten. Die ist, wie nur noch wenigen Interessierten bekannt sein dürfte, auch nicht mehr das, was sie mal war: die Stimme der herrschenden Klasse in Deutschland. Seit dem Tod ihres teilweise terroristisch-despotisch regierenden Herausgebers Frank Schirrmacher ist ihr die Macht zum Agendasetting fast komplett verloren gegangen. Andere Leistungsträger, von Günter Bannas bis Andreas Rossmann, sind in Rente.
So entschloss sich der Politische Geschäftsführer der Grünen Michael Kellner, nach eigenem Verständnis ein Linker Grüner, zu einem Gastbeitrag für die Zeitung, den diese sogleich in ihre Paywall einmauerte, um die vermutet gewachsene Zahl grüner Sympathisant*inn*en dazu zu bewegen, die Zeitung zu kaufen, wenigstens digital, oder minimalerweise wenigstens ihre Daten für die FAZ-Vertriebsabteilung herzuschenken. Künstlerpech. Grüne Wähler*innen haben andere Sorgen. Ohne freie Onlinezugänglichkeit bleiben die mutmasslich klugen Gedanken des Herrn Kellner der Öffentlichkeit verborgen. Auf der Internetseite der Grünen sind sie ebenfalls nicht verfügbar: jüngster Eintrag von Kellner ist ein Besinnungsaufsatz vom 20.11. zu Grünen Grundsatzprogrammen.
Das gleiche Eigentor hat das unter Druck stehende Berliner Verleger*inn*ehepaar Friedrich mitsamt seinem Herausgeber Meier geschossen. Sie gaben dem, wie ich von früherem Lesen weiss, kritisch-klugen Medienredakteur der FAS Harald Staun ein langes Interview. Vor Jahren hielt mein sonntägliches Mittagessenlokal mal die gedruckte FAS bereit. Eingespart aus Kostengründen. Seitdem gehe ich dort immer mit meinem Tablet hin. Kann damit dieses Interview aber auch nicht lesen. Nunja, Berliner Zeitung – ist in Beuel wahrlich nicht wichtig.
Zugänglich bleiben die sorgenvollen Gedanken von Mark Siemons zur Lage in Hongkong und China. Nur dafür die Stimme der herrschenden Klasse kaufen? Nee, das ist nicht verhältnismässig. Es gibt sowieso zu viel zu lesen. In der Tasche von der letzten Reise steckt noch ein ungelesenes Heft von Mare und die Novemberausgabe von LeMonde diplomatique (dt.).
Update nachmittags: wie billig das Marketing deutscher Leitmedien geworden ist, erkennen Sie auch daran, dass der Spiegel, ebenfalls hinter Paywall, eine antirussische Intrige aufzudecken meint (und sich dafür für besonders mutig hält). Die Story hat einen mehrere Jahre alten Bart, und besonders an ihr ist nur, dass die erwähnten deutschen Leitmedien sie mehrere Jahre ignorierten (auch der Spiegel). Wer sie nicht ignoriert hat, war Florian Rötzer/telepolis, der hier zutreffend darauf hinweist, die ganze Räuberpistole, in der eine ehemalige Grüne MdB eine unrühmliche Nebenrolle spielt, vor- und nacherzählt – damit Sie sich jetzt nicht deswegen den unnützen Spiegel kaufen.
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