von Ulrich Horn
Juso-Chef will die ganze Partei steuern
Die monatelange Suche der SPD nach einer neuen Parteispitze ist beendet. Sie bringt die Partei ihrem Ende noch ein Stück weit näher. Die zeitraubende Beschäftigung mit sich selbst sollte sie einen. Stattdessen hat die Suche nach neuem Spitzenpersonal die Risse in der Partei verbreitert. Esken und Walter-Borjans, die knappen Gewinner der Suchprozedur, haben es innerhalb weniger Tage geschafft, die SPD zu polarisieren und zu chaotisieren.
Vom Koalitionsbruch abgerückt
Gerade erst als Vorsitzende nominiert und noch nicht einmal gewählt, helfen sie emsig dabei mit, sich zu demontieren. Die SPD-Umfragewerte nach der Mitgliederbefragung sind noch schlechter als diejenigen vor ihr.
Den beiden künftigen Vorsitzenden droht die Gefahr, ihr Gesicht zu verlieren. Bei der Mitgliederbefragung warben für sich um Stimmen mit dem Plan, die Große Koalition zu beenden. Nun scheinen sie vor dem innerparteilichen Widerstand gegen den Koalitionsbruch einzuknicken und vom Ausstieg aus der Koalition abzurücken.
Was sie wirklich wollen und können, ist schwer auszumachen. Seit ihrer Nominierung sind klare Worte nach dem Muster: Ja, ja, nein, nein“ ihre Sache nicht. Beide sind in den Bereich des Vagen und Unverbindlichen abgeglitten. Offensichtlich scheuen sie davor zurück, die Verantwortung für den Bruch der Koalition zu übernehmen.
Wie beim Brexit-Referendum
Mit solcher Hampelei, die man schon von Trump kennt und die offenbar Mode macht, ziehen sie sich den Verdacht zu, sie hätten die Mitglieder bei der Befragung an der Nase herumgeführt und den Parteivorsitz mit unrealistischen und unhaltbaren Versprechen erschlichen. Unwillkürlich erinnert man sich an das Brexit-Referendum, das die Konservativen mit falschen Aussagen gewannen.
Sollte die Flucht aus der Koalition unterbleiben, wird man den neuen SPD-Chefs vorwerfen, die Mitglieder getäuscht zu haben. Scheitert der Ausstieg aus der Koalition, stehen sie als Rosstäuscher da. Allzu weit von diesem Punkt sind sie nicht mehr entfernt.
Gelingt ihnen der Ausstieg, geraten sie als Regierungs- und Verantwortungsverweigerer in Verruf. In beiden Fällen tragen sie und ihre Partei Schaden davon. So oder so haben sie es in den wenigen Tagen seit ihrer Nominierung fertig gebracht, sich zu kräftig beschädigen.
Unter die Fünf-Prozent-Hürde geraten
Was Feigheit vor der Regierungsverantwortung mit Parteien macht, können die beiden designierten SPD-Chefs an der FDP bestaunen. Seit deren Vorsitzender Lindner die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition platzen ließ, hat seine FDP ein Drittel ihrer Anhänger verloren.
Träfe dieses hässliche Schicksal die SPD, geriete sie in den Umfragen deutlich in den einstelligen Bereich. Die Partei müsste dann sogar befürchten, bei der nächsten Bundestagswahl unter die Fünf-Prozent-Hürde zu geraten.
Der Verdacht, Esken und Walter-Borjans hätten die Mitglieder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen umworben, bezieht sich nicht nur auf das Thema Große Koalition. Auch bei der langen Suche nach neuem Spitzenpersonal konnte von Transparenz keine Rede sein.
Ohne drei Viertel der Partei
Die neuen Chefs spielten in der SPD bisher keine Rolle. Unweigerlich treffen sie daher auf den Vorhalt, es fehle ihnen Kompetenz und Erfahrung. Mit ihrem Wackelkurs zum Ausstieg aus der Großen Koalition bestätigen sie dieses Urteil.
Das neue Führungsduo der SPD ernst zu nehmen, fällt auch deshalb schwer, weil sie Juso-Chef Kühnert als Strohfrau und Strohmann dienen. Ohne ihn und die Hilfe seiner Jusos wären sie wohl bei der Mitgliederbefragung auf der Strecke geblieben. Gut 53 Prozent der Teilnehmer stimmten für das Führungspaar.
53 Prozent klingt nach viel. Dabei votierten nur gut 110.000 Mitglieder für sie, gerade einmal gut ein Viertel aller Menschen mit dem SPD-Parteibuch. Fast die Hälfte der Mitglieder nahmen an der Abstimmung gar nicht teil. Fast die Hälfte der Teilnehmer votierte gegen Esken und Walter-Borjans. Sie können 73 Prozent der Mitglieder, also fast drei Viertel, nicht für sich in Anspruch nehmen.
Als Hasenfuß erwiesen
Hinzu kommt: Unterstützt wurden sie vor allem von den Jusos. Der größte Teil der 70.000 Juso-Mitglieder, die während der Mitgliederbefragung viel Wind machten, wird wohl Esken und Walter-Borjans gewählt haben. Auch in dieser Hinsicht trifft Kühnerts Behauptung, sie hätten die Mehrheit der Mitglieder hinter sich, nicht zu. Es handelt sich allenfalls um die Mehrheit der Jusos. Die Mehrheit der SPD-Basis repräsentiert die neue Spitze nicht.
Mit der Wahl der beiden neuen Chefs schickt sich erstmals die politische Jugendorganisation an, ihre Partei zu übernehmen. Manchem älteren Sozialdemokraten scheint es, als sei die Partei dabei, in die Hände politischer Anfänger zu fallen.
Um die Übernahme der Partei zu kaschieren, hütete sich Kühnert, bei der Mitgliederbefragung für den SPD-Vorsitz anzutreten. Er scheute das Risiko, weil er eine Niederlage befürchtete. Der Juso-Chef, der älteren Genossen gern altklug den Rat gibt, sie mögen doch bitte bei Abstimmungen die Folgen ihrer Entscheidung bedenken, erweist sich als Hasenfuß, der vor dem Karriereknick zurückschreckt.
Sprachrohre und Prellböcke
Kühnert will die SPD nach links rücken. Um den Schwenk durchzusetzen, machte er sich für das langwierige Auswahlverfahren stark. Es bot den agilen Jusos und den SPD-Linken viele Gelegenheiten, Finanzminister Scholz, den Kandidaten des rechten Flügels, zu demontieren und gleichzeitig die No-Names Esken und Walter-Borjans zu protegieren.
Dass beide in der Partei nur schwach verankert sind und über keine eigenen Truppen verfügen, kommt Kühnert durchaus gelegen. Beide brauchen seine Unterstützung. Beide eignen sich für ihn als Sprachrohre und Prellböcke. Mit ihnen an der Spitze und in ihrem Windschatten kann er die Partei aus dem Hintergrund manövrieren.
Aus dieser Absicht macht er keinen Hehl. Man könne die politische Debatte auch beeinflussen, ohne in der ersten Reihe zu stehen, begründete er kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist für die Mitgliederbefragung seinen Verzicht auf die Kandidatur. Fast zeitgleich gaben damals Esken und Walter-Borjans als letzte der Kandidaten ihre Bewerbung bekannt.
Dürftige Bilanz
Inzwischen hat sich herumgesprochen: Als Finanzminister machte Walter-Borjans fleißig Schulden. Viermal brach er die Verfassung und außerdem seine Zusage, die Grunderwerbssteuer nicht zu erhöhen. Er rühmt sich, Steuerbetrüger entlarvt und jede Menge hinterzogene Steuern eingetrieben zu haben.
Dabei ließ er nur wie schon sein Vorgänger gestohlene Steuerdaten kaufen. Im Unterschied zu ihm nutzte er das normale Handeln der Finanz- und Justizbehörden, um sich als Robin Hood zu profilieren. Eskens Bilanz erscheint noch dürftiger. Sie habe als Vize-Chefin den Landeselternbeirat Baden-Württemberg befriedet, sagt sie stolz.
Am Wochenende auf dem Parteitag in Berlin sollen beide an der SPD-Spitze installiert werden. Bisher ging Kühnerts Rechnung auf. Nun will er sich selbst in eine Position bringen, die es ihm ermöglicht, die beiden unerfahrenen Vorsitzenden zu lenken. Kühnert will sich auf dem Parteitag zu einem ihrer Stellvertreter wählen lassen.
Nahe an die Partei Die Linke heranschieben
Er ist nicht der erste SPD-Politiker, der auf eine Kandidatur verzichtet, einem aussichtsreicheren Bewerber den Vortritt lässt und ihn vorschiebt, um ihn für seine Zwecke zu benutzen. Der bekannteste SPD-Politiker, der von hinten regieren wollte, war der frühere SPD-Chef Lafontaine. Man könnte meinen, er zähle zu Kühnerts Beratern.
Bei der Bundestagswahl 1998 überließ der damalige SPD-Chef Lafontaine dem Ministerpräsidenten Schröder die Kanzlerkandidatur. Lafontaine glaubte, er könne Kanzler Schröder dominieren. Die Überlegung erwies sich als Irrtum. Lafontaines Versuch, Schröder in den Schatten zu stellen, ging schief. Der Kanzler drehte den Spieß um. Lafontaine trat zurück.
Dessen Hantieren, das an Kühnerts Agieren erinnert, wirkte sich für die SPD verheerend aus. Erst spaltete Lafontaine die Partei. Dann half er, die Konkurrenzpartei Die Linke zu gründen. Sein Enkel Kühnert will die SPD nach links schieben, dorthin, wo die Partei Die Linke steht. Es scheint, als wolle er die SPD mit der Linken fusionieren.
Auf verlorenem Posten
Die Funktionäre der SPD-Linken haben es nie geschafft, Politiker ihres Lagers als Kanzlerkandidaten aufzubauen. Es fehlte diesem Flügel stets das überzeugende Personal. Der Not gehorchend versuchte die SPD-Linke stets, den Kanzlerkandidaten des rechten Flügels linke Positionen aufzuzwingen.
Aus diesem Bemühen entstanden vor und während der Wahlkämpfe viele Friktionen, die den Wählern vor Augen führten, wie zerstritten die SPD ist. Den meisten Wählern war klar, dass die SPD-Kanzlerkandidaten in ihrer Partei auf verlorenem Posten standen. Den Kanzlerkandidaten selbst war das ebenfalls sonnenklar.
Steinbrück sah sich sogar mitten im Bundestagswahlkampf 2014 gezwungen, vom linken Flügel öffentlich Beinfreiheit zu verlangen. Die SPD vermittelte vor jeder Bundestagswahl den Eindruck, sie lege dem Wähler nahe, sie nicht zu wählen.
Pirouetten fortsetzen
Der erste Kanzlerkandidat, den die Linke selbst in Stellung brachte, war Martin Schulz. Mit ihm spitzten sich die Probleme der SPD weiter zu. Erst wollte er das Kanzleramt erobern, dann in die Opposition zurück, dann wieder die Große Koalition fortführen.
Inzwischen beschwört er die Partei inständig, in der Großen Koalition zu bleiben. Schaut man sich die verqueren Botschaften an, die Kühnert, Esken und Walter-Borjans in den letzten von sich gaben, kommt man zu dem Ergebnis: Sie setzen die seltsamen Pirouetten ihres Vorvorgängers in der SPD-Führung fort.
Seit Schröder 2005 die Wahl gegen Merkel verlor, hadern die Funktionäre der SPD-Linken mit der Großen Koalition. Über diesen Unwillen hat die Partei weit mehr als die Hälfte ihrer Anhänger verloren.
Gegen die meisten SPD-Anhänger agiert
Bei der Wahl 2017 erlitt die SPD mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Seither ist der Missmut ihrer linken Funktionäre über die Große Koalition stark gewachsen. Parallel zu dieser Entwicklung schrumpfte die Zahl der SPD-Anhänger stark. Die Partei verlor in diesen zwei Jahren ein Drittel ihrer verbliebenen Anhängerschaft.
Die Ankündigung der drei neuen SPD-Führungskräfte, aus der Koalition auszusteigen, widerspricht sowohl dem Wunsch der Wählermehrheit als auch dem der meisten SPD-Anhänger. In der Koalitionsfrage gehören Kühnert, Esken und Walter-Borjans zur Minderheit. Mit ihrer Ansage, die Koalition aufzugeben, stehen sie gegen die Mehrheit der Bürger und der SPD-Anhänger.
Nach einer ZDF-Umfrage finden es 68 Prozent aller Befragten gut, wenn die schwarz-rote Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 im Amt bliebe. 81 Prozent der SPD-Anhänger meinen, die schwarz-rote Koalition arbeite gut. 83 Prozent aller SPD-Anhänger halten es sogar für gut, wenn die CDU-Kanzlerin Merkel bis 2021 im Amt bliebe.
Als Traumtänzer entpuppt
Selbst das Wahlergebnis der Mitgliederbefragung entspricht nicht den Mehrheitsverhältnissen unter den SPD-Anhängern. 40 Prozent glauben, das Paar Scholz und Geywitz könne die SPD am besten führen. Nur 23 Prozent halten Esken und Walter-Borjans für besser geeignet. Gut ein Drittel (37 Prozent) sieht sich außerstande, ein Urteil abzugeben.
Alle diese Befunde eignen sich nicht, die Hoffnung zu nähren, es könnte mit der SPD bergauf gehen. Die Funktionäre der Partei pflegen seit Langem die Tradition, sich selbst, ihre Partei und die Wähler in Illusionen zu wiegen. Man denke nur daran, dass Schulz 2017 Kanzler werden wollte, obwohl die Umfragen ganz und gar nicht hergaben, er könnte dieses Ziel erreichen.
Als Traumtänzer entpuppen sich auch die beiden neuen Führungspartner. Sie wollen die SPD-Umfragewerte in einem Jahr verdoppeln und auf 30 Prozent schrauben. In der SPD wird es immer dann fantasievoll, wenn die Lage bedrückend ist. Der frühere SPD-Ministerpräsident Clement kündigte einst an, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren. Als seine Amtszeit als Wirtschafts- und Arbeitsminister endete, war die Zahl stark gestiegen und das Kanzleramt für die SPD verloren – bis heute und womöglich für immer.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von post-von-horn.de, mit freundlicher Genehmigung des Autors. Sehen Sie zum gleichen Thema auch die ganz andere Sicht des ehemaligen SPD-Vorsitzkandidaten Jan Böhmermann. Freude gemacht hätte das ihm hier, über den ich (Martin Böttger) Olaf Scholz in den Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS) kennen lernte (1978-83).
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