Jürgen Trittin fordert heute mit der erforderlichen Härte die Identifikation und Verfolgung europäischer Interessen im globalen Konkurrenzkampf der diverser werdenden Weltmächte. Das ist strategisch definitiv richtig, und offensichtlich abgestimmt mit der rhetorischen Schärfe, die Robert Habeck in Bezug auf Donald Trump zur Anwendung brachte. Dass Habeck nun von der Trump-Administration im diplomatischen Umgang “herabgestuft” wird, ist deutsch-innenpolitisch mindestens ein so erwünschter Effekt, wie es umgekehrt gewöhnlich Mr. Trump handzuhaben pflegt.
Dramatischer ist eine andere Entwicklung. Ich möchte vorweg bemerken, dass ich die Afrika-Berichterstattung der taz seit Jahrzehnten mit lebhaftem Misstrauen verfolge. Sie ist definitiv nicht rassismusfrei, kann es auch gar nicht sein. Darüber hinaus befolgt sie ausserordentlich kritikarm das Agendasetting europäischer Regierungsdiskurse. Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine solche Ausnahme könnte – der Konjunktiv dient hier der Vorsicht – der heutige Beitrag von Francois Misser sein, der – entsprechend meinem Vorurteil – sich auf eine von EU und deutscher GIZ mitorganisierte Tagung in Niger bezieht. Ich fürchte, was Misser hier inhaltlich zutage fördert, ist nah an den Fakten. Auch wenn die angeführten Anekdoten, die afrikanischen Staatsführern zugeordnet werden, wiederum europäischen Rassismusklischees Futter geben. Die djihadistische Bedrohung ist da, und sie wird zum Alltag.
Die Rezeption dieser Probleme durch Berliner Regierungs- und Mediendiskurse macht das Problem noch schlimmer: sie ist politisch-intellektuell katastrophal ärmlich, weil sie sich fast ausschliesslich um die Frage dreht, ob und wieviel Bundeswehr wohin geschickt werden soll, um nicht “tatenlos zuzusehen”. Egal, wie diese falsch gestellte Frage im Detail beantwortet wird, wäre damit der Sieg des islamistisch inspirierten und saudi-arabisch finanzierten Terrorismus gesichert.
Ich weiss, dass es leichter geschrieben als getan ist: erforderlich wäre die Etablierung einer funktionierenden Ökonomie. Ein Element könnte die bereits existierende Migrationsökonomie sein – die EU versucht sie dagegen unter deutsch-ungarischer Führung zu zertrüümmern: der Transfer von Kleinkapital von Europa-Migrant*inn*en an ihre daheim gebliebenen Clans. Zivilgesellschaftliche Kräfte Europas müssten zivilgesellschaftliche Kräfte im Sahel identifizieren, kennenlernen, unterstützen – gegen Terroristen und korrupte Regimes. Solche Prozesse zu unterstützen und zu stärken wäre eine komplizierte Aufgabe für demokratische, europäische Regierungen und die EU-Kommission. Ebenso wie eine dringend erforderliche Revision der derzeit auf Ausbeutung ausgerichteten Handelsabkommmen mit den noch existierenden afrikanischen Staaten.
Das ist alles extrem schwierig, vielleicht sogar unrealistisch. Wenn dieser Weg nicht eingeschlagen wird, ist etwas anderes extrem realistisch: die Ausbreitung von Djihadismus und gescheiterten Staaten (s. Libyen; s. Somalia). Es wäre eine direkte Anfeuerung von von Verzweiflung angetriebener “illegaler” Migration. Mit Mauerbau in Weltmeeren, und auch mit “Absaufen!”-Geschrei, wird sie nicht aufzuhalten sein.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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