Nein, ich bin kein Anhänger von Christian Lindner mit seinem “lieber nicht regieren, als falsch regieren” geworden. Das war für ihn und für die FDP, wahrscheinlich auch für das Land ein kardinaler Fehler. Ich meine das, was die Österreichischen Grünen in der Koalition vormachen und das sie wahrscheinlich zunächst nicht einmal Stimmen kosten wird, sich letztlich aber für Europa katastrophal auswirken kann: Die Flüchtlingspolitik. Die Koalition, so hatte es Sebastian Kurz ja bereits angekündigt, hat sich nicht auf mühsame Kompromisse in allen Bereichen verständigt, sondern “einander Spielraum gelassen”. Offensichtlich haben die Grünen dabei auf dem Koalitionsschiff ein schönes ökologisches Sonnendeck bekommen, sind aber bei den Menschenrechten und der Flüchtlingspolitik aus dem Maschinenraum und der Kommandobrücke ausgesperrt worden.
Spätestens bei den Verhandlungen in Brüssel über die Fortsetzung der SOFIA-Mission zur Überwachung des Waffenembargos gegenüber Libyen zeigen sich nun die fatalen Folgen. Irgendetwas wie “Wenn wir Flüchtlinge in Europa aufnehmen, betreiben wir das Geschäft der Schlepper und setzen weitere Anreize…” belferte der österreichische Innenminister vergangenen Freitag in Brüssel sinngemäß in die Mikrofone. Trotz einer schwarz-grünen Koalition – entschuldigung – türkisgrünen Koalition scheint sich in Österreich seit der unsäglichen Koalition des “Wunderwuzzi” und ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz mit der rechtsextremen FPÖ nichts geändert zu haben. Ich kenne die Koalitionsvereinbarung von ÖVP und Grünen nicht im Einzelnen, aber eines ist mir am vergangenen Freitag klar geworden: Sie haben den gleichen Fehler gemacht, den die hessischen Grünen in Sachen Innenpolitik. Unter ihrer Koalitionsregierung wurden die Verfassungsschutzakten, aus denen möglicherweise illegale Praktiken in Sachen NSU hervorgehen, für 120 Jahre gesperrt.
Es gibt eine erstaunliche Betriebsblindheit mancher Grüner, die nur zu gerne mitregieren, aber die unangenehmen Seiten dabei ausblenden wollen. Schon bei der ersten Koalition im Bund brachte ein Innenminister Otto Schily die Grünen in Bedrängnis. Seine restriktive Abschiebungspolitik wirkte auf die Stammwählerschaft der Grünen wahrscheinlich verheerender als der Kosovo-Krieg. Beim § 129b und dem “Luftsicherheitsgesetz”, das den kontrollierten Abschuss von Verkehrsmaschinen durch die Luftwaffe unter Inkaufnahme von unschuldigen toten Passagieren vorsah, konnte Schily nur das Bundesverfassungsgericht stoppen – die Grünen hatten zugestimmt.
Weil nun offensichtlich die österreichischen Grünen sich in der Flüchtlingspolitik einen schlanken Fuß gemacht und versagt haben, wird es in der Flüchtlingspolitik auf absehbare Zeit in Europa keine Bewegung geben. Werden sich Österreich als Schlüsselland auf der “Balkanroute”, sowie Tschechien, Polen und Ungarn weiter in den Selbstbetrug flüchten, dass sie die ganze Flüchtlingsfrage nichts angeht. Ein fataler Irrtum, der nicht nur Folgen für die EU-Länder Griechenland und Italien hat, als die Rechte dort weiter Zulauf bekommen wird, weil die EU keine Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen zustande bekommt. Und Europa wird weiter unter Druck geraten, weil weder die Fluchtursachen beseitigt, noch gemeinsam tragbare Lasten übernommen werden. Das Gegenteil von Solidarität, das Gegenteil von Europa, und damit das Gegenteil von dem, wofür die Grünen auch in Österreich im Wahlkampf angetreten sind.
Schlecht koalieren heisst, sich nicht um das Ganze zu kümmern. Zu glauben, dass man dem jeweiligen Koalitionspartner seine Spielwiese ermöglicht und sich daraus verabschiedet. Bei Hartz 4 hat das in der Rot-Grünen Koalition sogar für die Grünen geklappt. Die SPD hat sich darüber gespalten und die Grünen sind bis heute dafür nicht verantwortlich gemacht worden. Dafür hat es die “Linke” stark gemacht. Falsch koalieren heisst, zu glauben, dass es Bereiche gibt, die man dem Partner überlassen kann, ohne Verantwortlich dafür zu sein. Das funktioniert nicht. Koalitionen sind immer als Ganzes verantwortlich. Für alles, alle Politikbereiche. CDU und SPD gleichermaßen für Altersarmut und für die Vernichtung der Arbeitsplätze in der Windkraft- und Solarenergiebranche. Und für eine unerträgliche Verwässerung des Kohleausstiegs. Daraus müssen die Grünen lernen, denn sie könnten die nächste Bundeskanzlerin stellen.
“Tödlich”? Naja, das ist zu viel Dramatik. Wenn eine Partei mir als geeignetes Instrument für das Vorantreiben von Fortschritt verlorengeht, dann ist das zwar bedauerlich und – je nach dem – extrem ärgeriich für mich und die Gesellschaft, in der ich lebe. Aber nicht tödlich. Weder für die Partei noch für mich. Den “Tod” der FDP habe ich mir auch schon seit 1982 gewünscht. Und wir leben beide noch – womit über die Qualität beider Leben noch nichts ausgesagt ist ….