von Ulrich Horn
Gescheiterter NRW-Spitzenkandidat will CDU-Chef und Kanzler werden

Norbert Röttgen will Nachfolger der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer werden. Seine Ankündigung kam überraschend. Sie sorgte für ein geteiltes Echo, vor allem in Röttgens CDU-Landesverband NRW: Einem Teil dort verging das Lachen, ein anderer Teil lachte sich schlapp. In einem Punkt sind sich beide Teile einig. Wenn jemand bewiesen hat, dass er die Partei nicht führen und nicht zusammenzuhalten kann, dann ist es Röttgen.

Nicht für Twitter bestimmt

Wer dieses Urteil für übertrieben hält, sollte sich mit Röttgens Aktivitäten zwischen 2010 und 2012 befassen. Er wird dann schnell eines Besseren belehrt. Viele, die erlebt haben, wie er damals in NRW agierte und welche Folgen sein Tun und Lassen hatten, halten Nachsicht mit ihm für unangebracht. Viele, die ihn damals unterstützten, ärgern sich noch heute schwarz.

Röttgen hat seine Bewerbung für den CDU-Vorsitz und für die Kanzlerkandidatur mit einer Methode begründet, die man von ihm in NRW zur Genüge kennt. Er behauptet, er trete an, um sicherzustellen, dass die Nachfolge Kramp-Karrenbauers sauber geregelt werde. Er warf ihr und den Aspiranten Merz, Spahn und Laschet vor, sie wollten den nächsten CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten an den CDU-Mitgliedern vorbei im Hinterzimmer auskungeln.

Röttgens Unterstellung zielt darauf ab, sich Unwissen und Vorurteile des Publikums zunutze zu machen. Sondierungsgespräche, wie sie Kramp-Karrenbauer führt, sind im politischen Geschäft erforderlich. Ohne sie lässt sich Politik nicht betreiben. Kramp-Karrenbauers Gespräche sind nicht geheim, wohl aber vertraulich. Sie gehören hinter verschlossene Türen.

In der Rolle des selbstlosen Idealisten

Röttgen insinuiert, diese Gespräche wären gegen die Interessen der CDU und ihrer Mitglieder gerichtet, als wären sie verschwörerisch und unanständig. Diese Unterstellung bezweckt zweierlei. Er diffamiert die vier Parteifreunde. Sich selbst bringt er in die Rolle des selbstlosen Idealisten und wahren Sachwalters der Partei- und Mitgliederinteressen.

Andere herabsetzen, um sich selbst zu erhöhen: Dieses Wechselspiel beherrscht Röttgen wie Trump. Lange vor ihm hat Röttgen diese Methode erfolgreich praktiziert. Er setzte sie schon 2010 in NRW ein. Er konnte feststellen: Sie funktioniert in der betulichen CDU wunderbar. Sie nützt ihm, und sie macht seine Konkurrenten hilflos.

Damals sondierte Laschet in NRW seine Aussichten auf den CDU-Landesvorsitz. Als seine Gespräche bekannt wurden, baute sich Röttgen umgehend als Gegenpol auf. Er saß weitab von NRW als Bundesumweltminister in Berlin. Er betrieb damals seine Kandidatur für den Landesvorsitz auf die gleiche Weise wie heute für den Bundesvorsitz. Er unterstellte, Laschet wolle den Landesvorsitz im Hinterzimmer auskungeln.

Kritik am Auswahlverfahren

Röttgens Vorgehen ist entlarvend. Niemand kommt auf die Idee, ihn bei der Vergabe von CDU-Spitzenposten ins Spiel zu bringen. Auch findet er niemanden, der ihn ins Spiel bringt. Der Umstand gibt ihm nicht zu denken. Er fühlt sich missachtet. Mangelnde Wertschätzung erträgt er nicht. Da er keinen Mentor hat, übernimmt er selbst diese Rolle. Er bringt sich ins Spiel.

Um die wenig schmeichelhaften Defizite zu verschleiern, die diesem Sachverhalt zugrunde liegen, verknüpft er seine Kandidatur mit Kritik am Auswahlverfahren. Er diffamiert es, rückt seine Konkurrenten in schiefes Licht und verdächtigt sie, die Macht zu erschleichen. Mit diesem Schachzug stellt er sich als selbstloser Bewahrer der CDU-Parteikultur dar. Er weiß, dass die Medien seine Provokation verstärken. Diese Methode hat ihn 2010 ans Ziel gebracht.

Röttgen ist wortgewandt. Er kann Politik plausibel erklären. Seine Vita aber lehrt: Politik exekutieren kann er nicht. Er kann keine Netzwerke schaffen und pflegen. Es gelingt ihm nicht, Loyalität zu stiften und zu entwickeln. Politische Truppen zu rekrutieren und zu formieren, sie in Stellung zu bringen und zu motivieren, sie in Aktion zu setzen und zu manövrieren: All das ist seine Sache nicht.

Ego-Trip eines politischen Autisten

Diese fundamentale Schwäche trat während seines Wirkens in NRW zwischen 2010 und 2012 zutage. Er gewann die Mitgliederbefragung gegen Laschet. Plötzlich war er nicht nur Bundesminister, sondern auch Chef des größten CDU-Landesverbandes NRW. Er sah sich auf dem Weg zu noch höheren Ämtern. Er rückte in die Rolle des Konkurrenten der CDU-Chefin und Kanzlerin Merkel.

Das Hochgefühl währte nicht lange. Bei der NRW-Wahl 2012 stellte sich heraus: Obwohl Röttgen und die NRW-CDU gute Aussichten hatten, die blasse SPD-Ministerpräsidentin Kraft und ihre schwache rot-grüne Minderheitskoalition zu besiegen, versagte der CDU-Landeschef kläglich. Er hatte versäumt, die NRW-CDU finanziell, inhaltlich und organisatorisch auf den Wahlkampf vorzubereiten.

Sein Wahlkampf wurde für die NRW-CDU zur Katastrophe. Er ging in die Lehrbücher ein als Ego-Trip eines politischen Autisten. Röttgen mutete den Wähler alles zu, was sie abschreckt und abstößt. Seine Torheiten gipfelten in der Ankündigung, er werde nur im Falle eines Wahlsiegs von Berlin nach Düsseldorf umziehen. Den Wählern vermittelte sich der Eindruck, er wolle gar nicht gewinnen. Sie ließen die NRW-CDU abstürzen. Die Partei brach um ein Viertel ein. Mit 26,3 Prozent erreichte sie ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis.

Steigbügelhalter für Rot-Grün

Im Wahlkampf hatte Röttgen erklärt, bei der NRW-Wahl werde auch über Merkels EU-Kurs abgestimmt. Seine Behauptung empörte viele CDU-Anhänger. Sie galt als Versuch, Merkel die Schuld für seine absehbare Niederlage bei der NRW-Wahl zuzuschieben. Damals setzte sich der Eindruck fest, Röttgen provoziere die Niederlage in NRW, um Merkel vor der Bundestagswahl 2013 zu schwächen.

Dass Röttgen die NRW-CDU ins Chaos führte, hatte Konsequenzen. Merkel warf ihn aus dem Bundeskabinett. Die Folgen seines Vabanquespiels blieben nicht auf ihn beschränkt. Die Landespartei geriet über Monate aus dem Tritt. Merkel musste den heutigen NRW-Gesundheitsminister Laumann nach Berlin entsorgen, damit in der NRW-CDU Ruhe einkehren konnte.

Weitreichender waren die Folgen von Röttgens Zockerei für das Land NRW. Er wurde zum Steigbügelhalter der rot-grünen Koalition Kraft. Er verschaffte ihr die Mehrheit für eine zweite Amtszeit. Kraft wirtschaftete NRW in vielen Bereichen herunter. Bis heute unvergessen sind ihre Untätigkeit, die verfassungswidrigen Etats ihres Finanzministers, des heutigen SPD-Chefs Walter-Borjans, und die Hilflosigkeit des SPD-Innenministers Jäger.

Nur ein halber Politiker

Vor der NRW-Wahl 2012 konnte Röttgen den Wählern nicht erklären, wohin er NRW führen wollte. Wer weiß heute, welche Vorstellungen er von der Zukunft Deutschlands und Europas hat? Die Union hat noch nicht geklärt, wie sie sich für die Zeit nach Merkel ausrichten will. Dennoch glaubt Röttgen, er könne das künftige CDU-Profil repräsentieren, unabhängig davon, für welches sich die Partei entscheiden wird.

Die Funktionäre kennen Röttgen. Er weiß, dass er keine Chance hat, wenn über den CDU-Vorsitz jene Funktionäre entscheiden, die Delegierte des Parteitags sind. Deshalb fordert Röttgen eine Mitgliederbefragung. Er glaubt, er könne der Mehrheit de Mitglieder weismachen, die Rolle des Außenseiters, telegenes Auftreten und Beredsamkeit wären hinreichende Qualifikationen für politische Führungsaufgaben. Die Medien helfen ihm. Sie sagen ihm nach, er bewerbe sich mit politischen Inhalten. Wer hinschaut, stößt auf Floskeln, die der Zeitgeist tränkte.

Röttgen hält sich für brillant. Er demonstriert es gerne. Es drängt ihn, Dinge zurechtzurücken. Es kann fünf nicht gerade sein lassen. Er neigt dazu, andere zu belehren. Vielen Parteifreunden erscheint er als Schlaumeier und Streber. Er hätte einen tüchtigen Dozenten abgegeben. Stattdessen kam er nicht darüber hinaus, nur ein halber Politiker zu sein.

Die letzte Chance

Seine Bewerbung droht den Plan zu vereiteln, alle Kräfte in der CDU zu bündeln, um die Krise der Union unter Kontrolle zu bekommen. Röttgen stellt die Partei vor die Wahl, ihm als Anführer zu folgen oder sich auf einen harten, öffentlich ausgetragenen Konkurrenzkampf um die Führungsspitze einzustellen. Große Teile der Partei sorgen sich, die Egozentrik und der Narzissmus ihrer prominenten Parteifreunde könnten die Union ähnlich tief stürzen lassen wie die SPD.

Röttgen scheint zu wurmen, dass der joviale Laschet, dem er sich überlegen fühlt, es weiter gebracht hat als er. Röttgen hat in der Politik bisher kaum etwas Konstruktives zustande gebracht. Er hat die NRW-Wahl 2012 verloren und den CDU-Landesvorsitz verspielt. Nun greift der kläglich Gescheiterte nach den Sternen.

Merkels Abgang ist für Röttgen wohl die letzte Chance, seine ausgeprägte Selbstwertschätzung über sich hinaus zu verwirklichen und in der Politik eine wichtige Rolle zu spielen. Er scheint fest entschlossen. Er weiß: Klappt es diesmal wieder nicht, wird er auf immer unbedeutend bleiben.

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