Was tun? – Wo ist eigentlich Heiko Maas? (IV)
Die Kämpfe in der syrischen Region Idlib haben ein politisches Problem des Westens und ein kriminalpolitisches Problem aller Beteiligten offen gelegt, über das auch das Auswärtige Amt nicht gerne redet: Wer kämpft da eigentlich aus Erdogans Seite und gegen Assad? Al Quaida, deren ehemaliger Chef Osama Bin Laden hiess und die weltweit gegen die USA und den Westen Anschläge verüben. Die Al Nusra Front, die sich seit 2016 „Dschabhat Fath asch-Scham” nennt und sich zeitweise ISIS anschloss, eine internationale Terrororganisation, mit einer Vorliebe für Autobomben und Selbstmordattentäter, die nach Berichten von Flüchtlingen Christen und Alaviten ebenso wie Anhänger der demokratischen Opposition gegen Assad ermordet. Sie wurde seit 2011 vor allen von Katar aber auch anderen Golfstaaten mit etwa 1 Milliarde Dollar finanziert. Außerdem “Hajat Tahrir al-Scham” ein Bündnis verschiedener Splittergruppen und Terroristen, die von den USA und Kanada ebenfalls als Terrororganisation gelistet sind, die von Katar und salafistischen Golfstaaten finanziert werden.
Was tun Weltmächte und regionale Möchtegerne wie Erdogan mit brutalen, unberechenbaren zum Selbstmordattentat entschlossenen Mördern, die man für seine politischen Zwecke angeworben, ausgebildet, ideologisch eingenordet, bewaffnet und trainiert hat? Die an den menschenverachtenden Schwachsinn salafistischer Ideologen glauben und die Frauen, Kindersoldaten und minderjährige Selbstmordattentäter weiter indoktrinieren? Die Situation in Idlib steht stellvertretend für Probleme, die durch den Islamischen Staat, ISIS und andere islamistische Mörderbanden entstanden, die nicht nur jede Menge Menschen vor Ort rekrutierten, sondern von hunderten Konvertiten, Fans und Anhänger*innen auch aus Deutschland unterstützt wurden und werden.
Eine Täterin als Beispiel für Entmenschlichung
Der aktuelle Prozess gegen eine IS-Fanatikerin, die in Nordrhein-Westfalen vor Gericht steht, macht die Problematik klar. Die Frau, die als Minderjährige hier zum Islam konvertierte, ihren Mann verliess, weil er ihr nicht extremistisch genug war, mit 17 nicht nur in den Irak ausreiste und sich dem dem IS anschloss, sondern auch ihre Kinder zu Selbstmordattentätern und Kindersoldaten ausbilden liess, gibt tiefe Einblicke in die menschenverachtenden Sozialsysteme dieser Unmenschen. Als ihr neunjähriger Sohn als Kindersoldat getötet wurde, nahm sie das gleichgültig hin “Inschallah”. Schlimmer die verbleibenden drei Kinder, ausnahmslos traumatisiert, weil sie gezwungen wurden, Hinrichtungen beizuwohnen und Waffen zu benutzen.
Der Mutter droht voraussichtlich eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren in einem rechtsstaatlichen Verfahren – die Kinder haben einen langen Weg der Sozialisierung und Therapie vor sich – Ergebnis offen. Die Sicherheitsbehörden schätzen die Zahl ähnlicher Fälle deutscher Staatsbürger*innen auf mehrere tausend, zum Teil mit mehreren Kindern. Bisher drückt sich die Bundesregierung vor einer Lösung dieses Problems. Wo immer möglich spielt sie auf Zeit, ignoriert, dass zahlreiche ehemalige IS-Kämpfer*innen deutsche Pässe haben und stellt sich dumm. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Problemen ist das nicht. Denn selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass die Täter*innen ihr Schicksal freiwillig gewählt haben, sieht der Rechtsstaat praktisch zu, wie Kindern und Jugendlichen, die zu den Familien der Täter*innen gehören, weiter verrohen, verelenden und traumatisiert werden.
Terrorimus vertuscht und unterschätzt
Mit dieser Ignoranz nimmt man aber auch in Kauf, dass derart gewaltsam sozialisierte Kinder und Jugendliche, die gleichwohl die deutsche Staatsbürgerschaft haben, eines Tages zurückkehren und hier Probleme bekommen. Von persönlichen Integrationsproblemen bis zu gefährlichen Attentätern ist mit allem zu rechnen. Was hier an den gesagten Beispielen ein verdrängtes Problem der bundesdeutschen Außenpolitik erscheint, trifft insgesamt in einer ganz anderen Dimension für die ganze Region zu. Der Krieg in Syrien hat insgesamt vermutlich weit über hunderttausend Terroristen und Freischärler, Selbstmordattentäter und Ausbilder von Kindersoldaten gezüchtet und finanziert. Werden sie nicht entwaffnet, kann es keinen Frieden in Syrien geben. Der Waffenstillstand, den Putin und Erdogan vereinbart haben, sieht diese Entwaffnung aber nicht vor. Die Terrororganisationen haben sogar erklärt, sich nicht an diesen Waffenstillstand halten zu wollen. Werden sie nicht festgenommen, werden sie im Irak, in Libyen oder in Europa weitermachen. Nichtstun könnte sich rächen.
Die weitere Entwicklung ist fatal. Zum einen ist nicht ausgeschlossen, dass nach ein paar Tagen oder Wochen des Waffenstillstands das Gemetzel in Idlib weitergehen wird. Denn die Terroristen müssen nicht nur im Falle der Eroberung Idlibs durch Assad dessen Rache fürchten. Sie sind auch für ihre Hinterleute, Geldgeber und Anstifter ein politisches Problem. Deshalb muss Erdogan weiter versuchen, sie zu beschützen und Assad versuchen, sie zu vernichten. Die Brutalität dieser Kämpfer drückt sich dadurch aus, dass sie sich in Schulhöfen, Krankenhäusern und Kindergärten verkriechen, und dass die ebenso gewissenlose syrische Armee diese Einrichtungen bombardiert. Ein Kreislauf der Gewalt und Brutalität, der nur durch eine UNO-Initiative durchbrochen werden kann. Aber die ist nicht in Sicht.
Initiative im UN-Sicherheitsrat – die einzige Hoffnung
Der Konflikt in Idlib ist damit im Kern ein riesiges kriminalpolitisches Problem: Was tun mit mehreren zehntausend fanatischen Islamisten, die keine Ausbildung, keine Perspektive und keine Zukunft kennen, ausser dem Paradies und 72 Jungfrauen durch den Märtyrertod? Aussenminister Maas verweist gerne auf den Verfassungsprozess für Syrien. In diesem Zusammenhang schimmert immer wieder die These vom “Regime Change” durch, die Assad absetzen will. Jeder würde demokratische Wahlen in Syrien begrüßen. Aber sie könnten erst der übernächste Schritt sein, jetzt geht es um Frieden, der nur durch eine Entwaffnung der Terroristen erreichbar ist. Erdogan ist dabei der falsche Partner. Welches gefährliche Spiel da gespielt werden kann, zeigen der Irak und Libyen. Das sollte für die EU-Außenpolitik erkenntnisleitend sein. Von Heiko Maas ist da bisher nichts zu hören und zu sehen.
Lieber Roland,
Ein sehr guter und sehr wichtiger Beitrag! Habe ihn bei mir und im Grünen Diskussionsforum geteilt.
Beste Grüße, r.