Von Günter Bannas
Den beiden neuen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ist die sogenannte 100-Tage-Schonfrist des journalistischen Milieus nicht vergönnt gewesen. Kaum im Amt, wurden Verrisse geschrieben. Dabei wäre die Schonung ja nun wirklich angebracht gewesen. Erstmals seit ewigen Zeiten stehen zwei Vorsitzende an der Spitze der Partei. Beide sind wirklich „Neue“ in der SPD-Führung. Esken war eine unbekannte Abgeordnete mit dem Thema „Digitalpolitik“ als Arbeitsschwerpunkt. Für Walter-Borjans, ehemaliger Landesfinanzminister aus Nordrhein-Westfalen und davor mehr Beamter als Politiker, ist der Co-Bundesvorsitz das erste SPD-Parteiamt überhaupt. Eines ihrer Probleme: Ein zusammenhaltendes Team bilden sie nicht. Spricht Walter-Borjans, schaut Esken wie ein Habicht drein, der sein Opfer im Blick hat. Redet Esken, guckt Walter-Borjans teilnahmslos in die Luft. Immerhin: Nach nun 100 Tagen sind die Umfragen für die SPD nicht schlechter geworden.

Dass die beiden ein Machtzentrum gegenüber der SPD-Fraktionsspitze und den Bundesministern gebildet haben, kann schwerlich behauptet werden. Sie führen nicht. Sie werden bloß geduldet – mit Süffisanz und ironischem Unterton. Über ein sie tragendes bundespolitisches Netzwerk verfügen Esken und Walter-Borjans bisher nicht. Sie waren Fremde und tun sich noch schwer, heimisch zu werden. In Talkshows treten sie nicht wie Chefs der mitgliederstärksten und ältesten Partei Deutschlands auf, sondern als zweie unter vielen. Nicht über sie, sondern über den SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil werden im Spiegel gefühlige Lobeshymnen geschrieben. Überschrift: „Der Generalvorsitzende“. Laut SPD-Homepage verfügt Klingbeil über eine eigene Pressereferentin. In der FAZ wurde – tiefblickend – vermerkt, dass „wegen interner Sitzungen“ die Öffentlichkeitsarbeit des Parteiapparates „weitgehend“ eingestellt sei. Nun haben die beiden den Auftrag, ein Verfahren zur Nominierung eines SPD-Kanzlerkandidaten vorzuschlagen. Dass sie selbst in Frage kommen, glaubt kaum jemand in der Partei. Sie selbst auch nicht. Kevin Kühnert – Juso-Vorsitzender, ein Stellvertreter und der Königsmacher von Esken und Walter-Borjans – gab schon eine Linie vor: Mit der Nominierung eines Kandidaten dürfe nicht lange gewartet werden. Danach dürfte die Doppelspitze noch weniger Gewicht als heute haben. Oder kommt es anders? Ihre Bewährungsprobe ist noch nicht vorbei.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.

Über Guenter Bannas / Gastautor:

Günter Bannas ist Kolumnist des Hauptstadtbriefs. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seine Beiträge sind Übernahmen aus "Der Hauptstadtbrief", mit freundlicher Genehmigung.