Die Wirtschaft leidet unter der internationalen Corona-Krise, die Gesundheitssysteme sind zum Teil zusammengebrochen. Die Fehlentwicklungen des Kapazitätsabbaus an Beatmungsplätzen und Intensivbetten, die eine weltweite Kapitalisierung des Gesundheitssystems nach sich gezogen hat, werden sicher nach der Krise Gegenstand von politischen Entscheidungen sein müssen. Ein ganz anderes politisches Feld staatlichen Versagens tut sich gerade auf: Die absolute Verrottung des Schulsystems in Deutschland und eine geradezu lächerliche Hybris der Kultusbürokratie – und fast aller ihrer Minister*innen.
Hausgemachtes IT-Chaos einer unfähigen Schulverwaltung
Es gibt keine funktionierenden Toiletten in den Schulen, es gibt keine Waschbecken, um die Grundbedürfnisse der Hygienemaßnahmen bei Corona erfüllen zu können. Es gibt keine ausreichend großen Klassenräume, um Abstände zu halten, es gibt nicht genügend Reinigungskräfte, die die Hygiene der Klassen, Treppenläufe, Toiletten sicherstellen, es gibt keine Spender für Desinfektionsmittel, geschweige denn FFP-2 Masken für Lehrer*innen über 50. Es gibt nichtmal genug Klopapier, geschweige denn ausreichende WLAN-Kapazitäten, um den Schülern halbtags beizubringen, wie sie den Rest des Tages Online-Unterricht machen könnten. Die Lehrer sind nach wie vor nicht in der Lage, IT-Unterricht zu gestalten, statt sicherer Server, in die sich die Schüler über VPN-Tunnel von zu Hause einloggen könnten – wie viele kleine Unternehmen in der Krise – behelfen sich findige Lehrer in Notwehr, indem sie Hausaufgaben illegal und gegen alle Datenschutzbestimmungen per Whatsapp verschicken. In NRW etwa ist das Projekt “Logineo” seit zwei Jahren ein IT-technisches Desaster. Jeder IT-Chef eines Mittelständlers wäre darüber in hohem Bogen geflogen. NRW-Schulministerin Gebauer (FDP) gluckt tatenlos und ratlos auf ihrem Stuhl.
Kommunale Schulämter – Corona total verpennt?
Seit vier Wochen wütet die Corona-Krise, seit vier Wochen hatten die Schulämter der Kommunen, die als Schulträger für die Gebäude zuständig sind, Zeit, sich über die Wiedereröffnung der Schulen Gedanken zu machen. Welche Hygienevorschriften zu beachten sind, ist bekannt. Eine Bestandsaufnahme der Schulen, die Entwicklung von Notkonzepten und eine schnelle Vergabe von Aufträgen an Handwerker, um in möglichst vielen Klassenräumen Corona-taugliche Hygienestandards umsetzen zu können, wären die vordringlichsten Aufgaben gewesen. Offensichtlich ist nichts geschehen. Stattdessen scheinen die Verantwortlichen wie Kaninchen auf die nachösterliche Schlange gestarrt zu haben. Selbst wenn man, wie der Verfasser, ein überzeugter Anhänger des Föderalismus ist, muss derartige Unfähigkeit und Arbeitsverweigerung Zweifel am System der Schulträgerschaft wecken. Wie sollen Schüler*innen in solch verrotteten Gebäuden und Sanitäranlagen, in denen es nicht einmal Seife gibt, geschweige denn Papierhandtücher, wie wir sie kennen, nicht zu Opfern eines kollektiven Pandemiebeschleunigers werden – mit allen negativen Auswirkungen für Eltern und Großeltern?
Worauf wartet die Ministerialbürokratie noch?
In Wirtschaft und Politik und im privaten Bereich werden derzeit riesige Schritte in Richtung auf Digitalisierung unternommen, die vorher undenkbar waren. Dabei wäre die Aufgabe des Staates und der Datenschutz-Aufsichtsbehörden, sichere und datenschutzfreundliche Techniken zu garantieren. Stattdessen gibt es Wildwuchs, werden nun in der Not und mangels Geld Datenkraken wie Zoom oder Whatsapp, Skype und andere eingesetzt, die die Voraussetzungen der Datenschutzgrundverordnung nicht erfüllen. Weil die trägen Schulbürokraten und weiterbildungsunwillige Lehrer*innen sich geweigert haben, rechtzeitig auf sichere und datenschutzfreundliche Konzepte einzusteigen. Es ist kein Jahr her, da hat der Bund 5 Milliarden im Digitalpakt – fünftausend Millionen für den IT-Umbau der Schulen bereitgestellt. € 120.000 pro Schule in Deutschland – davon sind laut Berliner Tagesspiegel bis heute nach einem Jahr (!!!) gerade mal 20 Millionen abgerufen. Staatsversagen und Politikversagen erster Güte.
Vernagelter Glaube an Scheingerechtigkeit
Die IT-Ausstattung und -Bildung der Lehrer ist nicht der einzige Skandal, unter dem nun die Schülerinnen und Schüler mit Lernverzicht, Chancenungerechtigkeit und pädagogischer Willkür leiden müssen. Weil die Kultusminister*innen in absurde Träume von angeblicher “Gerechtigkeit” des Zentralabiturs verliebt sind, müssen in der Corona-Krise Jugendliche, die längst, nicht zuletzt durch diese Krise, zumeist eine Reifeprüfung ganz anderer, menschlicher Art durchgemacht haben, nun um jeden Preis durch Zentralabiturprüfungen gejagt werden. In einigen Bundesländern schon in der vorletzten Aprilwoche, in Bayern und anderen erst Mitte Mai. Wenn Bibliotheken, Schulen, selbst Bücherläden geschlossen waren, wo soll da eine “Gerechtigkeit” von Prüfungen zwischen NRW und Bayern überhaupt herstellbar sein? Warum kann eine Kultusbürokratie, die genau weiss, dass ohnehin 3/4 der Leistungen für Abschlüsse im Vorfeld erbracht wurden, nicht einsehen, dass man nicht prüfen kann, was nicht zu prüfen ist, weil es einfach 2020 besondere Umstände des Lernens gegeben hat? Sind etwa die Generationen, die nach dem 2. Weltkrieg “Notabitur” gemacht haben, jemals deswegen kritisiert, stigmatisiert oder mit schlechteren Chancen ausgestattet gewesen? Wer in derartiger Hybris an Scheinprüfungen festhält, hat nicht begriffen, wie irrelevant im Nachhinein das Abitur und seine Noten für den weiteren Lebensweg von 90% der Schüler*innen – und ihnen selbst gewesen – sind.
Schulminister betreiben Konkursverschleppung
Das Schulsystem in Deutschland ist jahrzehntelang kaputtgespart worden. Auch dies wird nun in der Corona-Krise deutlich. Wenn die IT-Infrastruktur funktionieren würde, sodass jede Schüler*in ihren gesicherten Schul-Account, Klassen ihre Chat- und Ausbildungsräume hätten, Hausaufgaben- und Facharbeitenbetreuung online möglich wäre, wie es zur Grundausstattung in vielen anderen Ländern gehört, gäbe es nun keine Probleme, z.B. Schichtunterricht einzuführen, halbtags in der Schule und halbtags zu Hause zu unterrichten, und damit die Corona-Sicherheitsmaßnahmen vieler Unternehmen zu übertragen. Die meisten Kultusminister*innen haben das bisher nicht mit dem nötigen Nachdruck durchgesetzt. Das Schulsystem steht deshalb vor dem technischen und pädagogischen Konkurs. Die Schulminister*innen weigern sich, jetzt, da es gilt, die Öffnung nach Corona vorzubereiten, darüber offen und ehrlich zu sprechen, und sie machen sich damit der politischen Konkursverschleppung schuldig. Das kann und wird nicht gutgehen.
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