Von Günter Bannas
Mit Norbert Blüm ist einer der Großen der deutschen Nachkriegspolitik gestorben, ein Urgestein der sogenannten Bonner Republik, der Menschlichkeit und Härte, Verantwortungsgefühl und Frohsinn zugleich vorlebte. Blüm gehörte zu der selten gewordenen Spezies eines authentischen Politikers. Den Benachteiligten – auch über die deutschen Grenzen hinaus – zu helfen, war sein Bestreben. Die katholische Soziallehre war sein Fundament. Aus kleinen Verhältnissen war er aufgestiegen. Doch die Aura eines Emporkömmlings verbreitete er nicht. Blüm war selbstbewusst und auch stolz, aber nicht eitel. Angst war ihm fremd. Meist wirkte er fröhlich und freundlich. Doch Blüm war nicht harmlos. Jemand, der so lange Arbeits- und Sozialminister wie Helmut Kohl Bundeskanzler war, musste aus hartem Holz geschnitzt sein. Nur ein Bundesminister gehörte allen Kabinetten Helmut Kohls von 1982 bis 1998 an: Norbert Blüm, CDU. Dass es eine Pflegeversicherung gibt, ist sein Verdienst. Die FDP, damals Koalitionspartner der Unionsparteien, wollte sie verhindern und die Wirtschaftspolitiker der CDU auch. Neoliberales Gedankengut – in Theorie und Praxis – war seine Sache nicht, auch als dieses sich zu Beginn der Ära Merkel in der CDU durchgesetzt hatte. 2003 war er auf einem CDU-Bundesparteitag ausgepfiffen worden, weil er den damaligen Kurs der Vorsitzenden in der Renten- und Gesundheitspolitik nicht mittragen wollte. Zwei Jahre später hatte Merkel den Wink der Wähler verstanden und vollzog eine Wende. Blüm konnte sich bestätigt fühlen.
Blüm, 1935 in Rüsselsheim geboren, schloss die Volksschule ab und machte eine Lehre als Werkzeugmacher bei Opel. Er wurde, was denn sonst, Mitglied der IG Metall. Über den zweiten Bildungsweg machte er 1961 Abitur. Studium der Geschichte, Theologie und Philosophie. Promotion 1967. Das Amt als Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse nutzte er, um 1977 deren Vorsitzender zu werden. Blüm war Sozialpolitiker durch und durch. Einen „Herz-Jesu-Marxisten“ nannten sie ihn deshalb. Kohl hielt an ihm fest, auch als der Verdacht aufgekommen war, Blüm gehöre zu der Gruppe um Heiner Geißler, die Kohl 1989 als Parteivorsitzenden ablösen wollte. Der Arbeitnehmerflügel der CDU war eine Macht und Blüm dessen Verkörperung. Nach dem Ausscheiden aus seinen Ämtern blieb Blüm politisch engagiert – als Kämpfer gegen Unrecht und Machtmissbrauch. Ikone der Südstadt in Bonn war er auch.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. © DER HAUPTSTADTBRIEF
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