Die Datenbasis wackelt und hat Luft. Dennoch finden sich publizistische Ordnungskräfte für die Herdenfreiwilligkeit, selbstverständlich im Namen dessen, was sie für Wissenschaft halten. Etwas wissbegieriger ging die Leistungsträgerin der Freitag-Redaktion Elsa Koester vor. Sie hat bei Wissenschaftler*inne*n aus mehreren Ländern angerufen, um sich die Sache mit dem menschlichen Organ Haut, und was passiert, wenn sie berührt wird, und was passiert, wenn sie nicht berührt wird, näher erklären zu lassen. Mehrere Artikel folgten daraus (Links bei ihr am Textende zu drei weiteren). Ergebnis: der Mensch ist selbst eine Art Ökosystem, das allein nicht existieren kann, sondern nur, wenn es sich beständig mit anderen mischt. Die Redensart, dass sich langlebige Ehepaare immer mehr aneinander angleichen, hat eine wissenschaftlich begründete biologische Basis.
Wenn dieses Mischen untersagt wird, aus Wochen werden Monate, aus Monaten schneller als wir merken ein Jahr (und noch eins?), dann sind wir Objekt eines Experiments mit unserem Mikrobiom.
Wenn es Sie bei diesem Gedanken noch nicht genug gruselt, Sie gerade stabiler Stimmung sind, und ein wohlschmeckendes, bewusstseinserweiterndes Getränk bereitstehen haben, lassen Sie auf die humanistisch wohlmeinende Analyse Koesters Olaf Arndt/telepolis folgen, dessen Hardcore-Polit-Science-Fiction ihnen dann kaum noch fiktiv vorkommen könnte. Ein (un)schöner Satz von ihm, der gut an die Biopolitik bei Koester anschliesst: “Wir laufen Gefahr, auf dem Schleim endloser Mengen widersprüchlicher Information auszugleiten, der unmittelbar in unsere Hosentasche läuft und dessen Konsum uns allen Saft aus dem Mark saugt.”
Was lernen wir draus? Wo ist das Positive?
Da hilft Lauren Balhorn/Jacobin weiter. Er erkennt, wie die Kampagnen von Bernie Sanders und Jeremy Corbyn trotz ihrer Wahlniederlagen, mittel- und langfristig im angloamerikanischen Raum für gesellschaftliche politische Fortschritte gesorgt haben, die nicht geringgeschätzt und auch nicht mutwillig verspielt werden sollten. Ein konstruktiv-wohltuendes Ende einer strapaziösen Tageslektüre.
Wenn Sie etwas mehr Spass brauchen, gehts hier zu Küppis Locker Room.
Dieter Bott erwähnt in seinen Rund-E-Mails immer die gerade aktuellen Jahrestage. Dazu habe ich heute was Trauriges und was Schönes.
Traurig: Maj Sjöwall ist gestern gestorben. Marianne Lienau machte mich einst als Moderatorin des Kritischen Tagebuchs (WDR3), das schon lange verstorben ist, auf ihre und ihres Mannes Per Wahlöö hochpolitischen Kriminalromane aufmerksam – die zwei waren die Grosseltern des Scandinavian Crime, wie wir es heute kennen.
Schön: die Entdecker des schönen Fußballs für Deutschland, Hennes Weisweiler und die von ihm trainierten Hochbegabten des VfL 1900 Borussia Mönchengladbach, wurden heute vor 50 Jahren am vorletzten Spieltag zum ersten Mal deutscher Fußballmeister, durch ein 4:3 (nach 4:0-Führung) auf dem Bökelberg gegen den Hamburger SV. Ich suche eine Atemschutzmaske im Rautendesign!
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