Von Günter Bannas
Jürgen Rausch gehörte einst zu den alltäglichen Stützen der jungen Bundesrepublik, als Bonn noch Regierungssitz war. Kanzler und Minister, Abgeordnete und Journalisten kamen und gingen – Jürgen Rausch aber blieb. Er hatte ein Monopol. Nirgendwo sonst im Regierungsviertel am Rhein wurden Zeitungen und Zeitschriften, Schokolade und Zigaretten, dazu Kaffee und auch noch heiße Bockwurst mit Senf und Brötchen angeboten – und das mittendrin im sogenannten Provisorium.
Der Kiosk von Rausch lag gegenüber dem Eingang zum Bundesrat, ein paar Schritte entfernt von Bundestag und Kanzleramt. Ein Rundbau mit umlaufender Überdachung, ein architektonisches Kleinod: ein Pavillon mit dem Charme der 1950er-Jahre. In der benachbarten Dahlmannstraße, die heute Karl-Carstens-Straße heißt, gab es Büros von großen Zeitungen, von Rundfunk und Fernsehen. Vertretungen von Bundesländern und die altehrwürdige Parlamentarische Gesellschaft lagen dort, lange auch barackenähnliche Flachbauten für FDP-Abgeordnete des sozialliberalen Flügels. Wenn die Kanzler – von Konrad Adenauer (CDU) bis Gerhard Schröder (SPD) – nebst Helfern den Fußweg zwischen Regierungszentrale und Fraktionssitzungen nahmen, kamen sie bei Rausch vorbei. Die Limousinen der Ministerpräsidenten wurden bei Rausch geparkt. Weil er ein leutseliger und zugleich verschwiegener Zeitgenosse war, kannte er viele, und viele kannten ihn. Die Umsätze waren gut bis sehr gut.
Am 20. Juni 1991 um 21.47 Uhr fiel eine Entscheidung, die Rauschs Geschäft in absehbarer Zeit zum Auslaufmodell machte: der Beschluss des Bundestages mit einer 337:320-Mehrheit, die Regierung und das Parlament sollten von Bonn nach Berlin umziehen. Vollzug des Beschlusses dann im Sommer 1999. Der Laden, mittlerweile „Bundesbüdchen“ genannt, wurde zum Zuschussgeschäft. Keine Abgeordneten, keine Kanzler, keine Touristen. Alle weg. Rettung in der Not nahte. Der Pavillon wurde unter Denkmalschutz gestellt – als Zeugnis der Kleinarchitekturgattung und Symbol der „Bonner Republik“. Als vor Ort mit dem Bau eines „World Conference Center“ begonnen wurde, wurde der Kiosk andernorts eingelagert. Ein Förderverein kümmerte sich. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz half. Nächsten Sonntag soll der Pavillon nahe der alten Stelle – einst Görresstraße, heute Platz der Vereinten Nationen – neu aufgestellt werden. In Kürze wird er betriebsbereit sein. Jürgen Rausch ist dabei.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. © DER HAUPTSTADTBRIEF
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