Armin Laschet ist vor dem Gipfel ins Stolpern geraten
Das Jahr 2020 sollte Armin Laschets Glücksjahr werden. Das erste Quartal verlief verheißungsvoll. Knapp drei Jahre im Amt als NRW-Ministerpräsident, macht sich seit einiger Zeit die Ansicht breit, er könnte zu noch Höherem taugen, zum CDU-Chef und sogar zum Bundeskanzler. Die Corona-Krise ging er mit großen Elan an. Auf dem Weg zu den politischen Spitzenplätzen ist er nun vor lauter Eifer ins Stolpern geraten.
Die Konservativen zufriedengestellt
Zunächst lief es gut für ihn. Der Beginn der Pandemie war gemeistert, der Lockdown in NRW gelungen. Mit dem Ruf nach Öffnung der Kontaktbeschränkungen und der Distanzierung von Kanzlerin Merkels Vorsichtskurs hatte er die Konservativen in der eigenen Partei zufriedengestellt.
Auch in der Wirtschaft fand er Lob für seinen Kurs. Es scheint, als habe er mit jenem Teil der Partei, der ihm bisher fernstand, einen Deal gemacht: Unterstützung beim Kampf um CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur gegen die Öffnung der Beschränkungen.
Wer will Laschet noch aufhalten? Zu Merz, einem seiner Konkurrenten um die Merkel-Nachfolge, der bisher als Favorit der wirtschaftsnahen Konservativen in der Union galt, hatte er in den Umfragen aufgeschlossen. Den anderen Konkurrenten, Röttgen, hatte er abgehängt, die CDU-Nachwuchshoffnung Spahn eingebunden. Mit der Parteijugend und dem CDU-Wirtschaftsflügel im Rücken, schien seine Wahl zum CDU-Chef sicher.
Anhänger und Wähler irritiert
Als ihm eine Umfrage vor einigen Wochen auch noch beachtliche Erfolge in NRW bescheinigte, rieben sich Politiker und Journalisten, die Laschet lange als kleines Licht abgetan hatten, verdutzt die Augen. Die NRW-CDU war unter seiner Führung seit dem Winter um acht Punkte auf 40 Prozent geklettert, ein Plus von 25 Prozent. Zwei Drittel der Wähler fanden Laschet sympathisch. 70 Prozent waren mit seiner Regierung zufrieden.
Laschet, der oft Unterschätzte, war offensichtlich dabei, sich wieder einmal durchzubeißen. Er hat reichlich Übung in dieser Disziplin. Seit in NRW 2010 die schwarz-gelbe Koalition nach nur einer Legislaturperiode einer rot-grünen Minderheitsregierung weichen musste, hat er sich in der CDU beharrlich voran gearbeitet.
Immer wieder erlitt er Rückschläge. Immer wieder erholte er sich. Schließlich ließ er seine Rivalen Röttgen und Laumann hinter sich. 2017 war es so weit: Er wurde Ministerpräsident. Heute entpuppt sich der Job als Zwischenetappe zu einem noch höheren Ziel: zum CDU-Vorsitz und zur Kanzlerschaft. Doch nun muss Laschet erfahren, dass der Aufstieg auf dem letzten Stück zum Gipfel besonders schwerfällt. Laschet droht die Puste auszugehen. Er irritiert Anhänger und Wähler mit Strategie- und Imagebrüchen.
Zur Kritik freigegeben
Lange galt er als besonnen. Er schien es mit allen gut zu können. Konflikte spielte er gerne herunter. Doch in der Corona-Krise findet er nicht das richtige Maß. Er agiert ungeduldig und gereizt. Er schimpft und rempelt. Er legt sich mit Bayerns CSU-Ministerpräsidenten Söder an. Auch er ist als Kanzlerkandidat im Gespräch. Laschet will mit ihm auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Die jüngste Umfrage zeigt: Es will ihm nicht gelingen, wohl weil er immerzu zeigt, wie sehr er es will.
Bundesweit ist Laschet als Merkels treue Stütze bekannt. Nun kritisiert er sie schroff, erst ihre Europa-Politik, dann in der Pandemie ihren Vorsichtskurs. Ihn durchkreuzte er mit seinem Öffnungskurs. Mit ihm drängte er Merkel aus der Moderatorenrolle, die sie in der Runde der Ministerpräsidenten einnahm. Er demonstrierte seinen Führungsanspruch. Er machte deutlich: Nicht Merkel bestimmt die Richtung in der Corona-Politik, sondern er.
Schnell war der Bogen überspannt. Söder machte sich immer wieder über Laschet lustig. Merkel nahm nicht hin, dass er sich gegen sie profilierte und sie als Auslaufmodell erscheinen ließ. Sie wehrte sich. Ohne ihn beim Namen zu nennen, beanstandete sie seine Öffnungspolitik. Mit diesem für sie ungewöhnlichen Vorgehen gab sie ihn zur Kritik frei.
Auf Distanz gegangen
Auf die Reflexe des Politikbetriebs war Verlass. Laschets Kontrahenten in Politik und Medien reagierten so, wie es zu erwarten war. Sie nutzten Merkels Vorlage ausgiebig. Sie gingen zu ihm auf Distanz. Sie deckten ihn mit Kritik ein. Sie schwoll stark an. Bis heute ist sie nicht abgeschwollen.
Merkel beließ es nicht dabei, sich von Laschet zu distanzieren. Für den Kampf gegen die Pandemie sind die Bundesländer und die Kommunen verantwortlich. Als die Ministerpräsidenten darauf bestanden, die Beschränkungen zu lockern, gab Merkel schließlich nach, nicht ohne zu betonen, sie halte die Öffnung für verfrüht und für riskant.
Während sie die Bürger immer wieder zu Umsicht und Vorsicht mahnt, verbreiteten Journalisten und Politiker die Ansicht, die Ministerpräsidenten hätten ihr die Gefolgschaft verweigert, sie ausgebootet und ihr eine Niederlage zugefügt. Merkels Gegner in Parteien und Medien begründeten ihre Sichtweise auch unter Berufung auf Laschet. Sie verwiesen darauf, dass er die Öffnung gegen Merkels Kurs ins Spiel gebracht und sie lautstark im Spiel gehalten habe.
In Umfragen zurückgefallen
Als Merkel ihren Widerstand gegen den Öffnungskurs aufgab, brachte sie sich vor dessen Risiken aus der Schusslinie, und zwar so, dass es keinem Beobachter verborgen bleiben konnte. Dass sie es darauf anlegt haben könnte, ausgebootet zu werden, erschließt sich vielen Beobachtern nicht. Sie beharrten darauf, ihren Rückzug als Niederlage zu deuten. Dabei hatte sie nichts zu verlieren, wohl aber etwas zu gewinnen: Über ihren Rückzug wurde deutlich, dass nicht sie, sondern die Länderchefs seit jeher die Verantwortung für die Pandemie-Politik tragen.
Beim Lockdown versteckten sie sich hinter Merkel. Diese Deckung haben sie mit ihrem Drängen auf Öffnung und mit Merkels Nachgeben verloren. Die Ministerpräsidenten stehen im Risiko. Kommt es zur zweiten Infektionswelle, muss Merkel nicht mehr hervorheben: Ich habe euch gewarnt. Jeder weiß es. Das Desaster wird wohl, mit Ausnahme von Söder, an den Ministerpräsidenten hängen bleiben, vor allem an dem, der die Öffnung besonders forsch betrieb: an Laschet.
In der Corona-Krise steht auch er vor der Aufgabe, die widerstreitenden Bedürfnisse der Bürger nach Schutz und nach Freiheit auszutarieren. Merkel und Söder stellen den Schutz vor die Freiheit und machen sie von ihm abhängig. Diesem Vorgehen stimmen zwei Drittel der Wähler zu. Kein Wunder, das Merkel und Söder in Umfragen mit deutlichem Abstand an der Spitze liegen. Dagegen betont Laschet mehr die Öffnung als den Schutz. Kein Wunder, dass er in den Umfragen zurückfällt.
Bei der Wirtschaft eingeschmeichelt
Die Vorwürfe gegen ihn und seine Politik stapeln sich. Seine Kritiker halten ihm schwere Versäumnisse im NRW-Corona-Hotspot Heinsberg vor. Seine Schutzmaßnahmen seien halbherzig gewesen. Für den Lockdown habe er das Land schlecht gerüstet, die Rückkehr zur Normalität leichtfertig gestartet und miserabel vorbereitet.
Ihm wird unterstellt, er habe die Öffnung vorangetrieben, weil er sich bei der Wirtschaft einschmeicheln wolle. Er mache sich zu ihrem Diener, um sie für seine Karrierepläne einzuspannen. Mit der raschen Öffnung vernachlässige er den Schutz der Gesundheit. Für die Lockerung fehle ihm ein langfristiges Konzept. Auch habe er keinen Plan, wohin sich das Land mit und nach Corona wirtschaftlich und sozial entwickeln solle. Jüngst hat sein Konkurrent Röttgen ähnliche Vorwürfe erhoben.
Kritik ist zu Laschets Wegbegleiterin geworden. Nach der ersten Welle rollte rasch die nächste über ihn hinweg. Sein Versuch, die Kontaktbeschränkungen als Vorreiter der Regierungschefs und Vorbild für andere Länder rasch zu reduzieren, missriet. Die frühe Öffnung der NRW-Schulen erwies sich als übereilt. Sie wurde zum Organisationsdebakel.
Zum Kontrahenten geworden
Besorgte Eltern, ängstliche Schüler, gestresste Lehrer, geschwächte Lehrerkollegien, widerstrebende Stadtverwaltungen, streitbare Lehrerverbände und eine Schulbürokratie, die von SPD und Grünen geprägt ist und von einer FDP-Ministerin geführt wird, deren Anweisungen die Adressaten überforderten: Unter diesen Bedingungen konnte die Öffnung kein Erfolg werden. Die Kritik fiel breit aus. Sie ging auch über Laschet nieder.
Gerade hatte er begonnen, sich als Macher zu profilieren. Früh hatte er seinen Kollegen ans Herz gelegt, sich Gedanken über die Öffnung zu machen. Diese Aufforderung war darauf angelegt, Nachahmer für sein Krisenmanagement zu finden. Der schöne Plan ging nicht auf. Laschet selbst hatte die Öffnung nicht im Griff. In NRW erschien der Macher eher als Getriebener, im Bund statt als Vorreiter eher als Nachzügler.
Eben noch eine Stütze der Kanzlerin, erscheint er nun als ihr Kontrahent. Sein Vorstoß für eine breite Öffnung findet aber nicht nur Beifall. Die Furcht vor einer zweiten Welle der Pandemie ist groß. Die Schäden würden die der ersten noch übertreffen, warnen Experten. Erfüllt sich die Prophezeiung, dürften Laschets Chancen, CDU-Chef und Kanzlerkandidat zu werden, kräftig schrumpfen.
Schulterschluss halten
Die Umstände machen es ihm nicht leicht, sich über Tatkraft zu definieren. Sein Handlungsspielraum ist begrenzt. Im Gegensatz zu Bayern sind in NRW die Schulden sehr hoch und die verfügbaren Mittel ziemlich begrenzt. Die Infrastruktur an Rhein und Ruhr zerfällt. Viele Städte sind praktisch pleite. Die Pandemie schwächt sie nun zusätzlich.
Dass Laschet früh darauf drang, die Beschränkungen zurückzufahren, ist auch den Problemen in NRW geschuldet. Dank seiner geringen Schulden und seiner Finanzkraft kann Bayern einen Lockdown länger ertragen und dessen Schäden leichter beheben als NRW. Bis zur nächsten NRW-Wahl will Laschet die Mängel im Land sichtbar verringern. Die Pandemie erschwert diesen Plan beträchtlich.
Laschet kann in NRW nur regieren, weil sein Koalitionspartner FDP im Landtag die knappe Mehrheit von nur einer Stimme gewährleistet. Um die Regierung zu sichern, muss Laschet sorgsam darauf achten, den Schulterschluss zur FDP zu halten. Auch dieser Umstand schränkt seinen Handlungsspielraum ein.
Den Koalitionspartner im Nacken
In Zeiten von Corona den Gleichschritt zu wahren, ist mühsam. Die ersten Öffnungsschritte fanden in NRW auf Feldern statt, die in der schwarz-gelben Koalitionsregierung von FDP-Ministern besetzt sind. Sie kommen ins Spiel, wenn es darum geht, in Unternehmen, Schulen und Kindergärten zur Normalität zurückzukehren.
Die FDP hat großen Bedarf, sich zu profilieren. Viele ihrer Stammwähler sind zur CDU abgewandert. Der Trend verstärkt sich, seit Laschet als Anwalt der Wirtschaft wahrgenommen wird. Im Bund steht die FDP kurz vor der fünf Prozent-Hürde. Will die Partei die nächsten Wahlen überstehen, muss sie auf Biegen und Brechen Wähler binden und zurückgewinnen.
Seit Umfragen ausweisen, wie schlecht es um sie steht, drückt sie aufs Tempo. Noch entschiedener als Laschet dringt sie darauf, die Beschränkungen aufzuheben und den Wirtschaftskreislauf wieder in Gang zu bringen. Laschet treiben nicht nur die eigene Überzeugung, der Konkurrenzkampf um die CDU-Spitze und die kritische Lage des Landes, die Beschränkungen schnell zu öffnen. Ihm sitzt auch die FDP in Nacken, die um ihr Dasein kämpft.
Öffentlich zurückgepfiffen
Das Verhältnis zwischen den NRW-Koalitionspartnern wandelt sich. Die Kompagnons werden zunehmend Konkurrenten. Die FDP demonstriert, so oft sie es kann, dass sie die Öffnung will und Laschet treibt. FDP-Schulministerin Gebauer marschierte bei der Öffnung der Schulen so schnell voran, dass ihnen kaum Zeit zur Vorbereitung blieb. Das Chaos nahm Gebauer in Kauf. Das Tempo nutzt der FDP. Das Chaos schadet Laschet und der CDU.
FDP-Kinderminister Stamp verschärft ebenfalls das Tempo. Auch er sorgt dafür, dass es jeder bemerkt. Tage vor der Sitzung der Ministerpräsidenten mit Merkel kündigte er an, die Kitas zu öffnen, ganz gleich, was die Chefrunde beschließen sollte. Laschet hat Mühe, die FDP-Minister zu zügeln. Er sah sich sogar genötigt, die vorpreschende Schulministerin öffentlich zurückzupfeifen, um seine Autorität zu wahren.
Solche Ereignisse hinterlassen Spuren. Selbst CDU-Mitglieder, die es gut mit Laschet meinen, vermissen an ihm jene Souveränität, die sie an CSU-Chef Söder so sehr schätzen. Laschet wird längst nicht mehr an Merz, sondern an Söder gemessen. Der Vergleich fällt selten zu Laschets Gunsten aus. Er wirke oft müde und gereizt, heißt es. Auch begehe er Fehler: Die Schuld an der chaotischen Schulöffnung schob er den Kommunen zu.
Getrübte Kommunikation
Die Städte wiesen den Vorwurf scharf zurück. Sich mit ihnen anzulegen, ist für NRW-Regierungschefs riskant. Laschets SPD-Vorgängerin Kraft kann ein Lied davon singen. Mit ihr ging es bergab, als sie in Berlin 2014 nicht die erwarteten Finanzhilfen für die Städte durchsetzen konnte und aus der Hauptstadt mit leeren Händen zurückkehrte.
Laschets CDU-Vorvorgänger Rüttgers setzten die Kommunen ebenfalls schwer zu. Er hatte 2005 seine Politik unter der FDP-Parole „Privat vor Staat“ eng am liberalen Koalitionspartner ausgerichtet. Als er die wirtschaftlichen Aktivitäten der Städte einschränken wollte, gingen deren Repräsentanten über die Parteigrenzen hinweg auf die Barrikaden. Ihr Unmut trug 2010 zu Rüttgers’ Abwahl bei. Heute scheint es manchen in der CDU, als wiederhole Laschet Rüttgers’ Fehler.
Seine Kommunikation zu den Kommunen ist getrübt. Viele fühlen sich von den FDP-Ministern überfordert. Die FDP ist in den NRW-Kommunen nur schwach verankert. Sie kann mit deren Kritik leben. Laschet eher nicht. Für den 13. September 2020 sind in NRW Kommunalwahlen geplant. Gehen sie schlecht aus für die CDU, wird es für Laschet schwer, Parteichef zu werden.
Noch das beste Blatt in der Hand
Für die FDP gilt es, die Bundestagswahl im Herbst 2021 heil zu überstehen. Sie versucht, Laschets Wirkung auf jene Wählergruppen herunter zu dimmen, von denen sie sich Unterstützung erhofft. Soll es mit Ihr aufwärts gehen, muss sie Laschet einhegen und den Wählern vorführen, dass sie die treibende Kraft in der NRW-Koalition ist. Diese Anstrengungen wird sie wohl noch verstärken. Da kann auf Laschet demnächst noch einiges zukommen.
Auch im CDU-Teil seines Kabinetts läuft nicht alles rund. Kommunalministerin Scharrenbach ist in der Corona-Krise kaum zu erkennen. Dabei öffnet sich gerade ihr ein weites Feld. Es gilt, wankende Städte zu stützen, ihnen Perspektiven zu eröffnen, Verwaltungsverfahren zu verkürzen und den Umgang mit Bürgern und Unternehmen zu verbessern. Doch um Scharrenbach ist es erstaunlich still. Die Pandemie beflügelt sie offenbar nicht. Am Kampf gegen sie scheint die Ministerin kaum beteiligt zu sein.
Politiker, die es nicht schaffen, an Krisen zu wachsen, schrumpfen über sie. Merkel behauptete sich in Krisen immer wieder. Laschets Bewährung steht noch aus. Erste Beobachter sehen seine Chancen schwinden, CDU-Chef und Kanzlerkandidat zu werden. Gelingt es ihm, das Land NRW in der Pandemie stabil zu halten, kann er sein nächstes Ziel, CDU-Chef zu werden, durchaus erreichen. Von den drei Bewerbern um den CDU-Vorsitz hat er immer noch das beste Blatt in der Hand.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog des Autors, mit seiner freundlichen Genehmigung.
Letzte Kommentare