Für Werkvertragsarbeiter hat sich in Deutschland seit 20 Jahren kaum etwas verändert. Ich habe mich erstmals Anfang 2000 mit der Situation von Werkvertragsarbeitern aus Rumänien befasst. Damals im Raum Oldenburg-Osnabrück. In der Ausländersendung des WDR, Babylon, hatte ich einen Film darüber. Die von mir damals befragten rumänischen Arbeiter, von denen einige auch verprügelt worden waren, sagten mir, ihre Situation sei “wie im Lager”. Nach dem Fernsehbeitrag konnte ich rumänische Zeugen zu einer Aussage bei den Ermittlungsbehörden veranlassen. Mir vertrauten sie, mit der Polizei mochten sie aber nicht so gerne reden.
Die Verantwortlichen – der Werkvertragsunternehmer und die Inhaber eines Schlachthofes wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.

In den Knast gebracht

Eine Anekdote am Rande: Jahre später traf ich den inzwischen wieder in Freiheit befindlichen Arbeitskräftebeschaffer als Zuhörer in einem Prozess gegen einen seiner Kollegen, der tausende von Arbeitskräften für Westfleisch beschafft hatte. Herr I. stellte mich seiner Frau vor mit den Worten: “Darf ich vorstellen, das ist Herr Lorscheid, der hat mich in den Knast gebracht.” Für Herrn I. war es eine Wohltat, mich als Zuhörer bei diesem Verfahren gegen Axel H. zu treffen, denn Herr I. hatte mir damals geraten, ich solle mich doch statt mit ihm, mal lieber mit “Westfleisch” befassen. Ich habe dann beides gemacht. Zu Westfleisch ist noch anzumerken, dass es sich dort um eine Genossenschaft von über 2000 Landwirten handelt, die ihren Hauptsitz mittlerweile nach Luxemburg verlegt hat.
Es gab gegen Werkvertragsunternehmer die für Westfleisch tätig waren mindestens vier Prozesse, die teilweise mit Gefängnisstrafen endeten. Ins Gefängnis gingen aber nur die von Westfleisch abhängigen Arbeitskräfte-Beschaffer. Von Westfleisch saß nie jemand auf der Anklagebank.
Über Westfleisch gab es in der vorherigen Woche gute Reportage im Deutschlandfunk Vom Landesjustizminister möchte ich jetzt erfahren, wie es dazu kam. An CDU, FDP und SPD habe ich die Frage gerichtet, ob es Parteispenden von Westfleisch gab.

Nach meinem Film bei Babylon sollte es einen weiteren bei Monitor geben. Doch dazu kam es nicht, weil die Monitor-Redaktion es versäumt hatte, mein Thema in der Magazin-Konferenz der ARD anzumelden. Es gab statt meinem Film bei Monitor einen von Adrian Peters bei Report Mainz. Peters hat mehrere Filme über die Situation der Werkvertragsarbeiter gemacht und ein gutes Buch darüber geschrieben mit dem treffenden Titel: “Fleischmafia.” In diesem Buch befasste er sich auch mit der Situation bei Westfleisch. Die Situation ist also längst bekannt. Auch die Tatsache, dass die Arbeiter aus Osteuropa für alles extra viel bezahlten mußten – den Transport zur Arbeit, ihre Arbeitskleidung, ihre Messer, einfach alles. Gemeinsam mit Johannes Röhrig habe ich darüber damals auch im stern berichtet.

Mein Kollege Udo Böhlefeld schrieb mir in einer Diskussion auf facebook in seiner Rückschau: “Ich habe 2004/2005 an einer Journalistenfahrt der NGG in der Umgebung Bremens teilgenommen. Mit exakt den gleichen Ergebnissen: Niedrige Stücklöhne bei maximalen Unterkunftskosten. Auch da kamen die WV-Nehmer aus Weißrussland, Rumänien, Ukraine usw. Hat sich also nichts geändert seitdem.”

DGB für Faire Mobilität

Dabei hatte der DGB auf Initiative des damaligen Vorstandsmitglieds Annelie Buntenbach, (Grüne, frühere Bundestagsabgeordnete und in der Fraktion zuständig für Arbeit und Soziales) gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung, Genuss Gaststätten (NGG) und einzelnen IG-Metall-Verwaltungsstellen eine Anlaufstelle für Werkvertragsarbeiter – und Arbeiterinnen geschaffen: Faire Mobilität. Buntenbach dazu: “Das Projekt Faire Mobilität hilft, gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchzusetzen…” Die Laufzeit des Projekts wurde bis Dezember 2020 begrenzt. Wenn die “Heils-Versprechungen” des Bundesarbeitsministers wirklich umgesetzt werden, dürfte das reichen – denn ab 1.1.2021 soll es ja dann keine Werkarbeitsverträge mehr geben – weder in der Fleischindustrie noch auf den Spargelhöfen wie in Bornheim. Mal gespannt was wirklich geschieht.
Denn Initiativen gab es schon viele. Immer wenn es einen neuen Skandal in der Fleischindustrie gab, wurden runde oder eckige Tische eingerichtet und die jeweilige Bundes- und Landesarbeitsminister erzählten etwas darüber, was sich künftig alles ändern würde. Wie umfassend und effizient man in Zukunft kontrollieren würde usw. Passiert ist nur etwas auf dem Papier. Die Ausbeutung der Arbeiter blieb, die Mechanismen auch. Niedriger Lohn bei gleichzeitigem Mietwucher.

Mißstände seit Jahren bekannt

Obwohl die Ordnungsämter hätten Bescheid wissen können, denn die Fleischbeschauer – also die Veterinäre waren fast täglich in den Schlachthöfen, die Unterkünfte der Arbeiter sind in allen Orten allgemein bekannt, meist als herunter gekommene ehemalige Hotels oder verlotterte Wohnhäuser. Auch die meist vorhandene Überbelegung war bekannt. Denn so bestätigte mir auf meine Fragen die Stadt Coesfeld, die Werkvertragsarbeiter wurden angemeldet. Da über die Arbeitsbedingungen immer wieder in den Medien berichtet wurde und in den kleinen Orten ohnehin jeder alles vom Nachbarn weiß, dürfte dieses Wissen auch vor den Mitarbeitern der Gemeinde keinen Halt gemacht haben. So auch in Rosendahl bei Coesfeld, wo 8 Menschen in einer Drei-Zimmer-Wohnung angemeldet waren. Spätestens dem Einwohnermeldeamt war die Überbelegung amtlich bekannt. Passiert ist nichts. Ob im Kreis Coesfeld oder in Bornheim – die Behörden kamen erst im Zuge der Corona-Seuchen-Bekämpfung auf die Idee, das zu tun, wozu sie durch Gesetze, wie das Wohnungsaufsichtsgesetz, verpflichtet sind. Im Paragraph 1,1 heißt es: “Die Gemeinden haben 1. die Wohnungsaufsicht wahrzunehmen.” Und in § 2.1.1: “Die Gemeinden haben nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auf die Beseitigung von Missständen an Wohnraum hinzuwirken.”

Mietwucher – Sache für den Staatsanwalt

Dieses Gesetz ist an Klarheit nicht zu überbieten. Hätten zum Beispiel die Behörden im Kreis Coesfeld ihre Amtspflichten nicht verletzt, wäre auch direkt klar geworden, dass wenn eine Ehepaar für ein enges Zimmer pro Person 220 Euro zahlen muß, es sich um Mietwucher handelt. Mietwucher findet sich aber als Straftatbestand im Strafgesetzbuch.
Zu diesem Schluß kommt auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger. Den Weg zu ihm muß ich erklären. Max Straubinger wurde u.a. bei facebook, eine Aussage in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk vorgeworfen, in dem er sagte: “Hier habe ich schon den Eindruck, dass natürlich die Menschen, die hier arbeiten, die aus Ungarn, Polen oder aus Rumänien kommen, nicht unbedingt eine großzügige Wohnung haben wollen. Die wollen in Deutschland Geld verdienen, aber möglicherweise wenig ausgeben und damit natürlich am liebsten in beengten Verhältnissen nur Zimmer anmieten.” Sicherlich eine zutreffende Aussage – sie hat angesichts der häufig verlangten überhöhten Mieten wenig Realitätsbezug. Ich konfrontierte ihn mit dem Beispiel des rumänischen Ehepaars und deren Mietbelastung in Höhe von 440 Euro. Straubinger reagierte sofort und schrieb:
“Der von ihnen dargestellte Fall ist Wucher und ein Fall für den Staatsanwalt. Das hat mit meiner Aussage nichts zu tun. Mir missfällt, dass das Virus Corona, das ja wohl nicht der Fleischindustrie entstammt, herhalten muss um pauschal Werkverträge zu verbieten. In drei großen Betrieben werden vermehrt Fälle bekannt und schon wird eine ganze Branche über den pauschalen Kamm gescholten. Was ist bei Altenheimen, bei Krankenhäusern die geschlossen werden mussten und bei Flüchtlingsheimen. Waren da auch die Betreiber schuld? Hier wird Behördenversagen wegdiskutiert…”
Straubinger hatte auch noch einen Seitenhieb auf die ‘NRW-Behörden parat:

“In NRW bei den 30 größten Schlachthöfen 8752 Verfehlungen aber nur 86 Bußgeldverfahren. 22 gegen Schlachthöfe und 64 gegen Werkvertragsunternehmen. Warum nur so wenig? Und wo ist das Problem des Werkvertrag wenn gegen diese vorgegangen werden kann?”

Straubingers Frage habe ich mir zu eigen gemacht und an die Landesregierung NRW gerichtet – zusammen mit vielen weiteren Fragen.