Die Lehre aus der Coronakrise ist für Slavoj Žižek nur eine neue Form von Kommunismus
Zeit zum Nachdenken, Chance für die Entschleunigung, bewusster leben. Während der Coronakrise verging kaum ein Tag, an dem nicht die Chancen für einen anderen Lebensstil beschworen wurden, den das Coronavirus – neben den Schrecklichkeiten – doch biete.
Für derlei Ideen hat Slavoj Žižek wenig übrig. Am Schluss seiner jüngsten, gerade in den USA erschienenen Streitschrift verfällt der slowenische Philosoph in den Duktus eines Achtziger-Jahre-Altlinken, der die aufkommende Seuche der „Selbsterfahrung“ als Ablenkung von der harten Pflicht des Klassenkampfs geißelt.
„Wir sollten“, dekretiert das Maschinengewehr der Philosophie, „keine Zeit mit spirituellen New-Age-Meditationen darüber verschwenden, dass uns die Krise dazu befähigen wird, uns darauf zu konzentrieren, um was es im Leben wirklich geht. Der wahre Kampf geht um die Frage, welche soziale Form die liberal-kapitalistische Welt-Ordnung ersetzen wird.“ Puh.
Mit der geharnischten Rhetorik nimmt Žižek, Jahrgang 1949 und immer noch Philosophie-Professor in Ljubljana und London, die argumentative Shock-and Awe-Strategie auf, mit denen er schon in seinen bisherigen Streitschriften zur (politischen) Lage gern sein Publikum gruselte.
In seinem vor zwei Jahren erschienenen Rundumschlag, „Der Mut der Hoffnungslosigkeit“, geißelte er den halbherzigen Reformismus der Linken, forderte den „deutlichen Bruch“ mit dem Kapitalismus und stritt dermaßen vehement für die Wiedererfindung des „bürokratischen Sozialismus“, dass man schon fürchten musste, er wolle den Genossen Breschnew mittels künstlicher Beatmung wieder zum Leben erwecken.
Schwer zu sagen, ob es die Angst vor einer Krise ist, die nicht nur abstrakt oder, wie 2008, fernab an der Wallstreet droht, sondern selbst einem so unverwundbaren Denker wie Žižek gefährlich nahe auf den Leib rücken kann, dass aus dem schweren Geschütz Systemwechsel in seinem neuen Band eine Art Schreckschusspistole geworden ist.
Zwar spricht sich Žižek darin – horribile dictu – für einen „neuen Kommunismus“ aus. Die Vokabel kommt in dem schmalen Band ungefähr so häufig vor wie das Wort Pandemie, von dem es seinen Titel hat. Er fällt aber hinter seine Forderung von 2018 zurück, dass die explosive Weltlage nur zu entschärfen sei, wenn es gelänge, „eine radikale Veränderung herbeizuführen, die über eine vage Vorstellung von gesellschaftlicher Solidarität weit hinausgeht“.
Denn der Kommunismus, auf den er diesmal hinauswill, ist nicht viel mehr als eine „neue Form der Globalisierung, die wechselseitige Abhängigkeit und den Primat der evidenzbasierten, kollektiven Aktion“ anerkennt.
Die etwas abgehungerte Definition stammt nicht einmal von Žižek selbst. Der sonst vor Konzepten nur so sprühende Großdenker hat sie dem britischen Ökonomen Will Hutton von der London School of Economics geklaut. Sie könnte aber auch von der Bertelsmann-Stiftung stammen.
Nicht, dass das, was Žižek vorschlägt, obsolet wäre. Zumal die von ihm beschworene Gefahr des „Barbarismus“ gleichsam an jeder Hausecke lauert. Aber dieses Konzept ist etwas wenig für die „Neuerfindung“ einer großen Idee, für die sich Karl Marx immerhin die Mühe des „Kommunistischen Manifests“ gemacht hat.
Hätte der SPD-Vorsitzende Norbert-Walter Borjans die Idee ventiliert, hätte es sofort geheißen: Typisch, die Sozialdemokratie traut sich keine Revolution mehr zu. Nun tritt „der gefährlichste Philosoph des Westens“ (The New Review) in ihre Fußstapfen.
Natürlich birgt die Krise die Keime einer Art erzwungener Vergesellschaftung. Žižek sieht sie in Boris Johnsons Idee der Nationalisierung der British Railways, in Donald Trumps Blankoschecks an die US-Arbeitslosen und Benjamin Netanjahus Angebot an die Palästinenser, Corona zusammen zu bekämpfen.
Žižeks Buch ist ein geistreicher Schnellschuss
Doch folgt man Žižeks Definition, dieser „Kriegs-Kommunismus“ (wie ihn die Sowjetunion 1918 unter widrigen Umständen improvisieren musste), der mittels einer „globalen Organisation, die die Wirtschaft ebenso regulieren und kontrollieren kann wie die Souveränität der Nationalstaaten“ durchzusetzen, mutiert eine soziale Umwälzung zum etatistischen Kraftakt: Die WHO als Ersatz für das irgendwie verschwundene Proletariat. Die Gewerkschaften werden sich freuen.
Žižeks Buch ist kein großer Wurf, sondern ein geistreicher Schnellschuss. In elf knappen Kapitelchen assoziiert er sich in Windeseile durch alle Weltprobleme, von der Bedrohung Europas durch die neue Herrschaftsform „Putogan“ bis zur „Wissenschaft als transkultureller Universalität“.
Bösartig gesprochen ließe sich eine strukturelle Analogie zwischen Žižek und dem Virus behaupten. Der Philosoph beweist, dass er die Zeitläufte so schnell kommentieren kann wie das Virus sein Erbgut vermehrt: Parasit der Zeitläufte der eine, des Stoffwechsels der andere.
Aber wegen Binsenweisheiten wie der, dass Corona das „Fundament unseres Lebens erschüttert“ oder wir „alle in einem Boot“ sitzen, greifen wir nicht zu einem Denker, der, an Hegel, Lenin und Lacan geschult, wie kein anderer berufen wäre, den Weltgeist in einem einzigartigen Moment beim hermeneutischen Schopf zu fassen.
Lesevergnügen bereitet natürlich trotzdem seine paradoxe Wort- und Gedankenakrobatik: Die MAD, die „Mutual Assured Destruction“ des Kalten Krieges beispielsweise tauft er in die „Mutual Assured Distance“ um.
Das Beste an dem flinken Text ist, dass er den Krisenmoment nicht zu einem scholastischen Glasperlenspiel nutzt oder ihn zur barocken Dystopie aufbauscht. Philosophisch gesehen bläst Žižek nämlich zur Entwarnung. Das Virus, schärft er uns ein, habe „keine höhere Bedeutung“ wie etwa die, die Menschheit für ihren schlechten Umgang mit der Erde zu strafen. Man könne diesen Fall biologischer Kontingenz in Gestalt einer durchgedrehten Kopiermaschine namens Covid höchstens als die Bestätigung von Friedrich Schellings „nie aufhebbaren Rest“ bei der Organisation des Lebens deuten.
Tja – wenn die Menschheit wirklich nur eine „Spezies ohne besondere Bedeutung“ ist, die bei Launen der planetaren Evolution, wie wir sie gerade erdulden, auch über die Wupper gehen kann, gibt es wirklich keinen Grund, verschärft in sich zu gehen.
Slavoj Žižek: „Pandemic! Covid-19 shakes the World“. Polity Press, Cambridge, 146 Seiten, 12,34 Euro
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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