Von Günter Bannas
Seit Wochen steht Angela Merkel in den Umfragen besser da denn je – weit vor der Konkurrenz von SPD und Grünen sowie jenen Politikern aus CDU und CSU, denen Ambitionen nachzusagen sind, sie im Amt der Bundeskanzlerin beerben zu wollen. Trotz einiger Zwischenhochs – wie in den vergangenen Tagen bei Sitzungen des Koalitionsausschusses – aber erlebt Merkel in der deutschen Innenpolitik derzeit, was amerikanischen Präsidenten in ihrer zweiten (und letzten) Amtszeit widerfährt: Das Schicksal einer „lame duck“. Es ist die Folge davon, dass sich Merkel darauf festgelegt hat, bei der nächsten Bundestagswahl nicht wieder antreten zu wollen. Nach den Gesetzmäßigkeiten der Politik haben Macht und Autorität und auch deren Verschwinden mit Erwartungen zu tun, was kommt – oder was eben nicht kommt.
Am deutlichsten tritt das bei der Bewältigung der Folgen der Coronakrise zutage. Überparteilich gibt es kaum einen Landesregierungschef, der nicht schon einmal vorgeprescht wäre – sei es anfangs bei Verschärfungen von Vorschriften und Reisebeschränkungen, sei es nun bei den Lockerungsmaßnahmen. Ergebnisse ihrer Telefonkonferenzen mit Merkel und die anschließenden Mitteilungen der Bundeskanzlerin haben nur eine kurze Geltungsdauer. Nicht die „Chefin“ in Berlin bestimmt den Kurs, sondern die Ministerpräsidenten in München, Düsseldorf, Mainz, Stuttgart, Schwerin, Dresden, Erfurt, Hannover, Potsdam, Magdeburg und Saarbrücken. Jede und jeder auf seine Weise, oft gestützt auf einen eigenen Haus-Virologen, versehen mit einer demokratischen Legitimation, den Interessen ihrer Länder verpflichtet und auch an die eigene politische Zukunft denkend. Bei Lockerungen aller Art (Schulen, Gaststätten, Sport, Gottesdienste, Reisen) verfolgt Merkel einen Kurs voller Warnungen vor einer zweiten „Pandemiewelle“. Die Ministerpräsidenten sind mutiger, was Merkel, bisweilen entnervt, für unvorsichtig hält. Auch Gerhard Schröder hatte seine Scharmützel mit Ministerpräsidenten, und als er selbst noch einer war, machte er Helmut Kohl das Leben schwer. „Sind denn die Zaunkönige immer noch nicht fertig?“, soll Konrad Adenauer einmal abschätzig gefragt haben, als sich eine Konferenz der Landesregierungschefs in die Länge zog. „Zaunkönige und Zaunköniginnen“ hieße es heute. Als listig und lautstark gilt der kleine Sperling, den schon die alten Griechen mit dem Beinamen „König“ versehen hatten.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. © DER HAUPTSTADTBRIEF
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