Edit Policy: Seit Twitter auch Trumps Tweets genauer auf Verstöße gegen die eigenen Nutzungsregeln prüft, tobt der US-Präsident. Sind Faktenchecks und Hinweise unzulässig?

US-Präsident Donald Trump hat es auf Twitter abgesehen. Die Plattform, die bis vor Kurzem noch massiv davon profitiert hat, dass Trump sie für allerlei offizielle Verlautbarungen nutzt, hat begonnen, ihre Moderationsregeln auch auf ihren berüchtigten Vielnutzer im Weißen Haus anzuwenden.

Trump reagiert mit Einschüchterungsversuchen, die sicher auch von seinem massiven politischen Versagen – in der Coronakrise und durch die gewaltsame Niederschlagung zivilgesellschaftlicher Proteste – ablenken sollen. Gleichzeitig offenbart der Konflikt zwischen Trump und Twitter die Doppelmoral des US-Präsidenten im Umgang mit Online-Plattformen.

Präsidentielles Dekret als Drohkulisse

Auslöser der Kontroverse war die Entscheidung Twitters, einen Tweet von Donald Trump mit einem Faktencheck zu versehen, in dem er vor den angeblichen Gefahren einer Briefwahl warnte. Die Empörung über diesen Tweet ist nur vor dem Hintergrund zu erklären, dass es seit vielen Jahren zum Wahlkampfarsenal der Republikaner gehört, Anhänger*innen der Demokraten, insbesondere Angehörigen von ethnischen Minderheiten, die Teilnahme an Wahlen durch verschiedene bürokratische Hürden gezielt zu erschweren.
Trump quittierte Twitters Faktencheck mit einem Dekret, in dem er androhte, Plattformen wie Twitter unmittelbar für die Inhalte ihrer Nutzer*innen haftbar zu machen. Rechtliche Bindungskraft hat dieses Dekret kaum, da der Präsident die Gesetze zur Haftungsbegrenzung von Plattformen überhaupt nicht ändern kann. Die Botschaft an die Plattformen ist aber klar: Wer Trumps Selbstinszenierung auf sozialen Medien behindert, dessen Geschäftsmodell ist in Gefahr.

Offensichtlich unbeirrt von diesen Drohgebärden hat Twitter in den letzten Tagen in zwei weiteren Fällen Inhalte von Trump und seinem Wahlkampfteam moderiert. Zunächst hat die Plattform einen Warnhinweis vor einem offensichtlich gewaltverherrlichenden Tweet eingeblendet, in dem Trump gedroht hat, auf Demonstrierende schießen zu lassen. Dabei bediente er sich der Wortwahl eines Polizeipräsidenten in den Sechziger Jahren, der Gewalt gegen Mitglieder der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung gerechtfertigt hatte. In einem weiteren Fall sperrte Twitter ein Video von Trumps Kampagnenteam, in dem sie sich das Gedenken an den von Polizisten ermordeten Afro-Amerikaners George Floyd zueigen zu machen versuchten, wegen einer mutmaßlichen Urheberrechtsverletzung.

Trumps Doppelmoral

Mit seinem Dekret, das die Haftungsbegrenzung von Plattformen infrage stellt, versucht Trump den Mythos fortzuschreiben, Soziale Netzwerke wären politisch voreingenommen und würden einseitig die Meinungen von Republikanern unterdrücken. Er begründet das Dekret damit, Twitter und co. würden Inhalte willkürlich sperren, ohne dass es dafür eine Grundlage in ihren Geschäftsbedingungen gebe, und somit die Meinungsfreiheit einschränken. Die Realität sieht anders aus.

Lange Zeit hat Twitter mit zweierlei Maß gemessen und Aussagen Trumps stehen gelassen, die offensichtlich gegen Twitters selbst gesetzte Regeln oder sogar gegen Gesetze verstoßen. Behutsame Schritte seitens Twitter, nun auch nur annähernd vergleichbare Maßstäbe an die Tweets von Donald Trump anzulegen, wie an die aller anderen Menschen, interpretiert der US-Präsident als persönlichen Angriff. Besser hätte er die eigene Privilegiertheit kaum demonstrieren können – wenn Trump von den Plattformen nicht explizit bevorzugt und von allen Verhaltensregeln freigestellt wird, sieht er sich diskriminiert.

Gegen die Geschäftsbedingungen

Sowohl Versuche, Wahlen durch Falschinformationen zu manipulieren, als auch Aufrufe zu Gewalt, verstoßen eindeutig gegen Twitters Geschäftsbedingungen. Normalerweise hätte der Dienst Trumps Tweets also löschen müssen, stattdessen hat Twitter das mildere Mittel von Faktenchecks und Warnhinweisen gewählt. Zur Sperrung von Urheberrechtsverletzungen nach dem amerikanischen Notice-and-Takedown-System ist Twitter außerdem gesetzlich verpflichtet – was Trump aber nicht daran hindert öffentlich zu behaupten, mit der Sperrung unterstütze Twitter den Wahlkampf der Demokraten.

Die Journalistin Zeynek Tufekci vergleicht diese Strategie mit der der Klimawandel-Leugner*innen. Medien, die objektiv über den Klimawandel berichten, werden so lange als einseitig attackiert, bis sie in einem falsch verstandenen Verständnis von Ausgewogenheit „beiden Seiten der Debatte“ in der Berichterstattung gleich viel Raum geben, obwohl die Gefahr durch den menschengemachten Klimawandel in der Wissenschaft Konsens ist. Es geht Trump also nicht um faire Behandlung, sondern darum, seine Privilegien zu verteidigen, die ihm eine Wiederwahl ins Weiße Haus sichern könnten. Dafür ist er insbesondere auf die personalisierte Werbung auf Twitters größerem Konkurrenten Facebook angewiesen, die die Trump-Kampagne bereits 2016 gezielt zur Desinformation genutzt hat.

Haftungsprivileg als Garant für Meinungsfreiheit

Dass Trump seine Drohung, Plattformen unmittelbar für die Handlungen ihrer Nutzer*innen haftbar zu machen, ausgerechnet mit der Verteidigung der Meinungsfreiheit begründet, ist an Hohn kaum zu überbieten. Genau diese Haftungsbegrenzung ist es, die Plattformen überhaupt die Rechtssicherheit gibt, einen offenen Diskurs stattfinden zu lassen. Wenn Plattformen unmittelbar für alle Aussagen verantwortlich wären, die auf ihren Diensten gepostet werden, bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als in vorauseilendem Gehorsam alle Inhalte beim Upload zu überprüfen und alles zu sperren, was auch nur im Entferntesten gegen Gesetze verstoßen könnte.

Dass solche automatisierte Rechtsdurchsetzung immer wieder zur Sperrung völlig legitimer Inhalte führt, und dass davon insbesondere gesellschaftlich weniger privilegierte Personen betroffen sind, haben die Debatten rund um die EU-Urheberrechtsreform und die geplante Terrorverordnung bereits verdeutlicht. Der Meinungsfreiheit könnte man kaum einen größeren Bärendienst erweisen, als Plattformen einer unmittelbaren Haftung auszusetzen.

Die Meinungsfreiheit dient insbesondere dazu, die Kritik der Schwächeren an Machthabenden wie Trump zuzulassen. Bei aller berechtigten Kritik an sozialen Netzwerken sind sie auch die Orte, an denen sich der Protest gegen Trumps Politik formiert, wo Demonstrierende die immer ausuferndere Polizeigewalt dokumentieren, wo die Black Lives Matter-Bewegung eine internationale Bühne bekommen hat, die derzeit Hunderttausende Demonstrierende auf die Straßen bringt.

Facebook als Ziel von Trumps Drohgebärden

Trump geht es nicht darum, die Meinungsfreiheit auf diesen Plattformen zu schützen, sondern ihre Unternehmensführung einzuschüchtern, damit die Plattformen freiwillig weiter als sein Megaphon agieren. Obwohl Trump gar nicht die Kompetenz hat, die Haftung der Plattformen auszuweiten, scheint seine Rechnung zumindest bei Facebook-Chef Zuckerberg aufzugehen. Im Gegensatz zu Twitter hält Facebook bislang trotz aller Kritik an der Verbreitung personalisierter politischer Werbung fest.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass Facebook-Chef Mark Zuckerberg sich unmittelbar nach Veröffentlichung des präsidentiellen Dekrets zu einem Interview auf dem konservativen Sender Fox News hinreißen ließ, in dem er beteuerte, Trump auf der Plattform weiterhin frei schalten und walten zu lassen. An dieser Haltung werden vermutlich auch die immer lauter werdenden Proteste seitens Facebook-Mitarbeiter*innen nichts ändern.

Die Texte der Kolumne “Edit Policy” stehen unter der Lizenz CC BY 4.0, hier übernommen von heise-online.

Über Julia Reda (Gastautorin):

Julia Reda war von 2014 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments innerhalb der Fraktion Die Grünen/EFA. Später hat sie im Rahmen eines Fellowships am Berkman Klein Center for Internet & Society der Harvard University geforscht und arbeitet seit 2020 bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte in Berlin. Ihre Kolumne "Edit Policy" erscheint unter der Lizenz CC BY 4.0. | Foto: CC-BY Diana Levine