Istanbuler Sammlung der Moderne – Im September soll der Neubau des Mimar-Sinan-Museums eröffnen. Doch wichtige Exponate befinden sich nach wie vor bei Präsident Erdoğan.
Kaum war er zurück, ist er auch schon wieder weg. Als in Istanbul vergangenen Sommer die Nachricht die Runde machte, Vasif Kortun würde neuer Chefkurator des Mimar-Sinan-Museums für Malerei und Skulptur, war die Kunstszene elektrisiert.
Der 1958 geborene Kunsthistoriker bahnte in den 90er Jahren der kritischen türkischen Kunst den Weg und avancierte zum „Power Broker“ dieser Szene. Der Aufstieg Istanbuls zur neuen Kunstmetropole war wesentlich auch sein Verdienst.
1992 und 2005 kuratierte der Kunsthistoriker, der in der Türkei und den USA studierte, die Istanbul-Biennale, später Biennalen in Taipeh und São Paulo und ungezählte Ausstellungen.
Seit 2011 war Kortun Chef des privaten Kunsthauses Salt in Istanbul – einer europaweit einzigartigen Institution an der Schnittstelle von bildender Kunst, Architektur, Design, Archiv und Sozialgeschichte im historischen Stammhaus der ersten ottomanischen Bank an der Galata-Brücke.
Schließung wegen Renovierung
2017 schied Kortun aus dieser Position aus, kurz nachdem das Haus seine spektakuläre Dependance im Stadtteil Beyoğlu aus bis heute ungeklärten Gründen für mehr als ein Jahr „zur Renovierung“ schließen musste. Gerüchte, politischer Druck habe seine Demission bewirkt, dementierte Kortun stets, sie verstummten aber nie. Der Kunsthistoriker zog sich in die nordwestägäische Provinz zurück, reiste, hielt Vorträge zur Zukunft der Museen.
Die Nachricht, ausgerechnet dieser kritische Kurator würde nun Chef eines der wenigen öffentlichen Museen der Türkei, ließ da natürlich aufhorchen. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat Kortun auch diese Position Anfang dieses Jahres, sechs Monate nach seiner Ernennung, wieder aufgegeben. Der Abgang wirft ein bezeichnendes Licht auf die strukturellen Probleme und die Stagnation der türkischen Kunstinstitutionen – nicht erst seit der weltweiten Pandemie.
Das Mimar-Sinan-Museum ist nicht irgendein Museum. 1937 von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk als erstes öffentliches Museum für die plastischen Künste gegründet, beherbergt das „Mimar Sinan Rezim ve Heykel Müzesi“ (IRHM), mehr als 15.000 ARTEfakte vom 19. Jahrhundert bis heute, von Osman Hamdi Bey bis Pablo Picasso.
Es gilt als führende Sammlung der Moderne in der Türkei. Keine der Sammlungen der vielen, sündhaft teuren, üppig bestückten privaten Kunstmuseen dort verfügt über eine Sammlung mit dieser historischen Tiefe.
2008 nur kurz geöffnet
Seit dem Zweiten Weltkrieg überwiegend geschlossen, fristete es jahrzehntelang ein Schattendasein. Zuletzt 2008 kurz geöffnet, sollte es eigentlich in diesem September im großen Stil wiedereröffnet werden.
Das Istanbuler Architektenbüro Emre Arolat hatte für das Haus einen 25 Millionen Dollar teuren Neubau im Stil eines wuchtigen offenen Betonrasters mit eingehängten Containern auf dem Antrepo-Gelände, einem historischen Warenlager im alten Istanbuler Hafen und Spielstätte vieler Istanbul-Biennalen, konzipiert.
11.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche soll das Haus in unmittelbarer Nachbarschaft des Museums Istanbul Modern der Industriellenfamilie Eczacıbaşı haben, für das gerade Renzo Piano einen Neubau errichtet. Einen ersten Probelauf hatte das neue Gebäude bei der Istanbul-Biennale 2019.
Als Gründe für seinen raschen Ausstieg führt Kortun vor allem organisatorische an. Das IRHM gehört zur Mimar-Sinan-Universität, der führenden Kunstuniversität des Landes, mithin dem Staat. Von daher verfügt es über keine eigenen Einnahmequellen, ein unabhängiges Direktorium oder einen professionellen Stab von Mitarbeitern.
Noch immer kein Museumsdirektor oder keine Direktorin
Auch eine:n Museumsdirektor:in hatte die Literaturwissenschaftlerin Handan İnci Elçi, die von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan neu ernannte Rektorin der Universität, die dann Kortun überraschend im Sommer 2019 nominiert hatte, noch nicht benannt.
„Man kann nicht den Staat eine solche Institution betreiben lassen. Es war unmöglich weiterzuarbeiten. Ich hatte nicht die Autorität, das alles zu ändern“, erklärt Kortun auf Nachfrage.
Einer der Gründe, warum er das Handtuch warf, war aber auch die Tatsache, dass wesentliche Teile der Sammlung des Museums als ständige Leihgaben in Präsident Erdoğans Palast in Ankara und das Museum der Palast-Sammlungen in einem Seitenflügel des Dolmabahçe-Palastes wanderten.
Zu diesen rund 60 Werken zählen auch solche von Abdülmecid II., dem letzten, 1924 abgesetzten osmanischen Kalifen, einem Hobbymaler. „Ohne die kann das Museum nicht öffnen“ sagt Kortun. Auch seine Nachfolgerin Duygu Demir konnte an den Verhältnissen nichts ändern. Im Februar verließ auch sie das Haus.
Ein anderes Narrativ der türkischen Kunstgeschichte
Die Folgen der Pandemie verzögern die eigentlich für diesen September vorgesehene Eröffnung weiter. Sollte das Museum jemals eröffnet werden, dürfte sich das Gefüge des bislang fast ausschließlich von privaten Initiativen dominierten Feldes der Institutionen für zeitgenössische Kunst in Istanbul verändern. Nicht zuletzt würde dann ein anderes Narrativ der türkischen Kunstgeschichte hegemonial – jenseits des Geschmacks kunstaffiner Milliardäre.
Für Beral Madra, die unbeugsame Gründungsfigur der kritischen Kunstszene in der Türkei, ist es „das erste öffentliche Museum für moderne Kunst. Wir brauchen es dringend“, sagt sie. „Hauptsache, es eröffnet“, sagt auch, leicht resigniert, Vasif Kortun.
In seinem Wohnsitz Ayvalık, einem beliebten Sommer-Retreat der Istanbuler Intellektuellen, kann er sich jetzt wieder der Pflanzenzucht widmen. Seinen Facebook-Account hat er gelöscht. Aber auf Instagram kann man das Wachsen seiner Tomatenkollektionen bewundern.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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