Elektronische Patientenakte: Spahn setzt Schutzfunktion des Sozialgeheimnisses ausser Kraft
Es steht nicht gut um die Grundrechte, insbesondere das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, bei dem uns die Europäische Datenschutzgundverordnung eigentlich ein großes Stück weitergebracht hatte. Aber “Corona” lässt scheinbar alle Dämme brechen. Nein, jetzt kommt kein Beitrag, der den Neofaschisten und Verschwörungstheoretikern das Wort redet, die mit dem Grundgesetz in der Hand wie PEGIDA Journalisten und Polizisten angreifen, die Pressefreiheit verletzen und Andersdenkende niederbrüllen und mit Infizierung bedrohen. Nein, es geht um Täuschung und arglistige, Bürgerrechte aushöhlende Gesetzgebung der GroKo.
Da ist allen vorweg Jens Spahn. Bürgerrechtler, Grüne und Liberale haben ihn gestoppt, als er mit der ursprünglichen “Corona-APP” Bewegungsbilder und Kontakte von Bürger*innen ausspionieren, speichern und auswerten wollte. Die Realität hat seinen Überwachungsphantasien hoffentlich ein Ende breitet. Aber er hat sich inzwischen revanchiert und mit der elektronischen Patientenakte ein Gesetz durchgesetzt, bei dem wesentliche Schutzfunktionen des Sozialgeheimnisses außer Kraft gesetzt werden. Die bisher vorgesehene Freiwilligkeit und individuelle Zustimmung der Betroffenen, ob ihre Daten für “Kostendämpfungszwecke” an Krankenkassen und Unternehmen weitergegeben werden, ist mit der am 3. Juli beschlossenen EPA-Datengesetz nach 6 Monaten Geltung wieder abgeschafft worden. Am Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber und 73 Mio. Bundesbürgern vorbei. Doch Kelber ist nicht wehrlos: “Sofern meine Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass ein in Kraft befindliches Gesetz gegen Europarecht – namentlich die DSGVO – verstößt, kann ich die darauf basierende Datenverarbeitung mit entsprechenden Anordnungen unterbinden oder Veränderungen der Datenverarbeitung anweisen. Diese aufsichtsrechtlichen Maßnahmen wären selbstverständlich gerichtlich überprüfbar. Die Frage der Europarechtskonformität könnte wiederum von den deutschen Gerichten auch dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.” Es bleibt abzuwarten, ob Kelber den langen Atem und notwendige Hartnäckigkeit aufbringt, diese Grundrechtseinschränkung zu beseitigen.
Da stellt sich heute in der “Aktuellen Stunde” des WDR Fernsehen Heriette Reker, Oberbürgermeisterin zu Köln vor die Kameras und echauffierte sich, sie könne gar nicht verstehen, wieso die Airlines sich weigerten, der Stadt Köln die kompletten Passagierlisten ihrer Flüge auszuhändigen. “Damit das Gesundheitsamt nachprüfen kann, wer aus Krisengebieten eingereist ist.” Frau Reker ist Juristin, sie sollte wissen, was eine Rechtsgrundlage ist. Sie war Sozialdezernentin, sie sollte wissen, was Gesundheitsdaten sind, und dass sie besonders zu schützen sind. Und vor allem sollte sie als OB von Köln wissen, dass Airlines und Reiseveranstalter gemäß der Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums vom 6.8.2020 verpflichtet sind, Personendaten und Reiseweg von den Reisenden aus Risikogebieten zu erfassen und zu übermitteln. Aber eben nur diese. Das ist die Rechtsgrundlage, aber keine für die pauschale Übermittlung von Passagierlisten und Personen, die vielleicht gar keine einschlägigen Orte besucht haben. Aber auch im Kommunalwahlkampf ist pauschales Datenschutz-Bashing wohlfeil. Die Grünen unterstützen diese Kandidatin.
Dann ist da noch Horst Seehofer, der ein “Gesetz zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen” vorgelegt hat, das ebenso getarnt wie der Spahn-Entwurf daher kommt, aber gleich zweimal die Verfassungsrechte bricht: Zunächst sollen demnächst alle Bundesbürger*innen erkennungsdienstlich behandelt werden, wenn sie einen Personalausweis beantragen. Die Möglichkeit, zwei Fingerabdrücke in den “Perso” zu integrieren, ist bisher freiwillig – die wenigsten Bundesbürger – genaue Zahlen gibt es nicht – lassen sich bisher auf diese Datenerfassung ein. Nun soll sie für alle zur Pflicht werden, so hat es Seehofer erst in der EU empfohlen, nun beruft er sich darauf. Die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage hat dagegen eine Petition auf den Weg gebracht, die jedermann/frau unterstützen kann.
Aber das ist nicht der einzige Verfassungsverstoß des Gesetzentwurfs, der im September in den Bundestag kommt. Weil die bundeseigene Bundesdruckerei GmbH seit Jahren rote Zahlen schreibt, will Seehofer nun die Erfassung von Biometriefotos in Bürgerämtern mit einem gesetzgeberischen Trick der defizitären Staatsklitsche zuschanzen: Zulasten der privaten Unternehmen, die in etwa 1.000 Bürgerämtern bundesweit die Biometriefotos für die Kommunen erstellen. Sie sollen ausgebootet und durch sein Monopolunternehmen ersetzt werden. Ein Schlag ins Gesicht der Bekenntnisse zum Mittelstand, denn die Automatendienstleister, die drei Monate Stillstand zu verkraften hatten, sollen rücksichtslos existenziell vernichtet werden, obwohl alle technischen Innovationen der letzten 20 Jahre von ihnen, nicht aber vom bräsigen Staatskonzern ausgegangen sind.
Da ist schon wieder Horst Seehofer: Er versucht gerade, mit seiner Gesetzgebung über die Bundespolizei die üblichen wiederholt vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig oder Unverhältnismäßig aufgehobenen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, Erweiterung der Datenaustauschmaßnahmen zwischen Polizei und Geheimdiensten durchzusetzen. Er könnte, so meldet an diesem Wochenende der “Spiegel”, dabei auf Widerstand der SPD stoßen. Vielleicht beflügelt ja die SPD-Spitze der Vorsatz, vielleicht an eine gesellschaftliche Mehrheit links von der Union zu denken, zu der auch das sozialliberale, rechtsstaatliche Bildungsbürgertum gehört. Und das bräuchte man für eine solche Mehrheit. Schaumermal.
Im übrigen bin ich nach wie vor der Meinung, dass Horst Seehofer zurücktreten muss. Und zwar zügig.
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