Die Tagesschau eröffnete gestern Abend mit “Vergiftung von Nawalny nachgewiesen”. Sie hätte ergänzen müssen: “Wir glauben an Bundeswehr und unsere Geheimdienste”. Da war es schon subversiv, dass Christian Feld in seinen Bericht einen Satz des ehemaligen MdBs der Linken Jan van Aken einbaute, der korrekt sagte: “Wenn Geheimdienste im Spiel sind, glaub’ ich nicht viel.” Das wäre vielen, die gute*r Journalist*in werden wollen, ebenfalls zu empfehlen.
Bin ich deswegen schon Putin-Versteher? Für Leute mit binären Weltbildern, für die es nur Gut und Böse gibt, zweifellos. Solche Leute sind jedoch schlechte Politiker*in. Sie sind entweder zum Lügen gezwungen und verpflichtet, damit ihr Weltbild nicht einstürzt. Oder sie sind einfach gnadenlos dumm.
Womit ich zu denen komme, die es nicht sind. Jürgen Trittin (Grüne) und Wolfgang Kubicki (FDP) waren heute morgen interviewoffensiv. Indem sie einerseits rhetorisch klare Kante zeigten, versuchen sie andererseits die wilden Berliner Pferde wieder zusammen zu treiben. Insbesondere Trittin pflegt schon seit Wochen eine rhetorische Figur, die geeignet ist, die russische Seite mehr zu provozieren, als es blanke Aggression kann. Der wunde Punkt einer Despotie ist der Anschein von Kontrollverlust. Es wäre ausserdem ein diplomatischer Notausgang. Attentate und spektakulär inszenierte Mordaktionen sind Zeichen von politischer Schwäche: wer das Handeln an die dummen Kerls delegiert, oder es sich gar von ihnen aus der Hand nehmen lässt (was Trittin listig insinuiert), ist mit seinem Latein am Ende. Wenn Putin die Täter*innen ermittelt, aburteilen lässt und also opfert, findet er den Notausgang aus seiner Wagenburg und den Noteingang in Europa.
Nun kommt allerdings noch eine äusserst dumme Komplikation hinzu. Das politische Berlin bläst zwar grossspurig seine Backen auf, schon weil bei uns immer irgendwo eine Wahl ist. Hat andererseits aber selbst viel dazu getan, die EU zu schwächen, indem es jeden Ansatz von Solidarität dort untergraben hat (Griechenland, Italien, Spanien, sogar Frankreich). Das ist auch Russland nicht entgangen; das Putinregime mag fies sein, blöd ist es nicht. In der EU ist absolut nicht entschieden, und das ist eine strategische Schwäche, wie sie sich im aufziehenden Welthandelskrieg zwischen China und den USA positionieren will. Ist sie hier zu strategischer Autonomie in der Lage? Es sieht nicht sehr gut dafür aus. Eine Atlantiker-Fraktion, die Deutschland und die EU an die Seite der USA zwingen will, ist bereits rührig aktiv. China ist so wenig doof wie das Putin-Regime und schafft ebenfalls Fakten. Weil es strategisch klug denkt und agiert: aus ökonomisch geschaffenen Fakten ergeben sich militärisch-strategische Vorteile fast wie von ganz alleine.
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