von Gert Eisenbürger
Dass nach der Ermordung von George Floyd in den USA mancherorts Denkmäler von Kolonialisten und Rassisten vom Sockel gestürzt wurden, gefiel der AfD-Politikerin Beatrix von Storch gar nicht. Und sie hatte eine Idee. Zusammen mit Mitgliedern der AfD-Jugend verhüllte sie Mitte Juli ein Karl-Marx-Denkmal in Berlin. Begründung: Marx sei ein Antisemit und Rassist gewesen.
Nun gibt es das alte Sprichwort, jede und jeder (auch wenn sie den ‚Genderwahn‘ hassen, soviel Zeit muss sein, Frau von Storch) solle zuerst einmal vor der eigenen Tür kehren. Und da wäre bei von Storchens einiges zu tun. Etwa die Großväter der AfD-Politikerin: Der eine war der SA-Standartenführer Nikolaus von Oldenburg, der andere Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, zwischen 1933 und 1945 durchgängig Hitlers Finanzminister.
Aber darum soll es hier nicht gehen, sondern um die Frage, ob Karl Marx tatsächlich Antisemit und Rassist war und gegen wen sich seine Vorbehalte richteten. Dass Marx selbst jüdischer Abstammung war, reicht als Gegenargument nicht aus. Liest man aber Marx‘ Aufsatz „Zur Judenfrage“ und vor allem die von ihm mitverfasste Schrift „Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft“ von Friedrich Engels, die sich ausführlich mit den Theorien Eugen Dührings, des Begründers der Rassenlehre und Urvater der völkischen Impfgegner, auseinandersetzt, wird klar, dass Marx keineswegs Rassist und Antisemit war.
Fakt ist aber, dass er sich mehrmals über Ferndinand Lasalle, den Kopf des reformistischen Flügels der entstehenden Arbeiterbewegung, lustig gemacht und dabei auch auf dessen Judentum angespielt hat. Und es stimmt auch, dass Marx in rassistischer Weise über seinen Schwiegersohn Paul Lafargue gespottet hat. Der war Franzose, geboren in Cuba mit haitianischen und jamaikanischen Vorfahren. Obwohl er den Intellektuellen Paul Lafargue schätzte, war Marx eben auch ein deutscher Bildungsbürger, der nichts gegen dunkelhätige Menschen hat, solange die eigene Tochter keinen zum Lebensgefährten erwählt.
Alles keine Gründe, Marx-Denkmäler zu verhüllen und abzubauen; die in den USA geschleiften Denkmäler erinnerten nicht an Männer (es waren nur Männer…), die mal einen rassistischen Spruch formuliert hatten, sondern an solche, die Sklavenhalter waren und Armeen anführten, die für die Beibehaltung der Sklaverei kämpften. Außerdem war und ist der Marxismus keine moralische Anstalt, sondern ein – unverzichtbares – Instrument der Gesellschaftsanalyse.
Wenn die noch existierenden Marx-Denkmäler also bleiben können, wäre dennoch zu überlegen, wie denjenigen Gerechtigkeit zu erweisen ist, über die sich Marx despektierlich äußerte. Ferdinand Lasalle wird von der Sozialdemokratie allenthalben geehrt und weit mehr als Urahn der SPD betrachtet als Karl Marx und Friedrich Engels.
Aber Paul Lafargue? Dem wird hierzulande wenig Ehrerbietung zuteil. Dabei war er sein Leben lang ein mutiger Kämpfer und ein brillanter Intellektueller. Seine historischen Schriften, etwa zur Entwicklung der französischen Sprache, zur Rolle der Religion im Kapitalismus, zum Jesuitenstaat von Paraguay und vor allem seine Arbeiten zu den Geschlechterverhältnissen sind absolut spannend. Und er hat jenen kleinen Text verfasst, der ihn für immer unsterblich macht: „Das Recht auf Faulheit“. Darin macht er sich über all jene lustig, die Arbeit, ob entfremdet oder nicht, glorifizieren. Natürlich ist der Text eine Satire, glänzend geschrieben und nett zu lesen. Aber Lafargue zeigt darin auch, wie destruktiv ungebremster Produktivismus für Menschen und Umwelt ist, Gedanken, die gerade heute aufgenommen und weitergedacht werden müssen.
Deswegen ist es geboten, endlich Paul-Lafargue-Denkmäler zu errichten, mit Abbildern des großen Denkers und – verpflichtend – jeweils einer großen, in Stein gemeißelten Banderole mit der Aufschrift „Das Recht auf Faulheit“. Das wäre doch mal ein zivilisatorischer Fortschritt!
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 438 Sept. 2020, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

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