Defizite in der Medienberichterstattung
von Hendrik Theine und Andrea Grisold / Otto Brenner Stiftung
8 Zusammenfassung und Fazit
Welches  Bild  wird  von  der  Vermögens-  und  Erbschaftsbesteuerung  durch  Massenmedien  in der öffentlichen Diskussion gezeichnet und befördert?  Welche  Politikmaßnahmen  werden  als  positiv,  welche  als  schädlich  und  kontraproduktiv erachtet? Wer kommt als ExpertIn zu Wort?
Aus  der  Perspektive  der  Kritischen  Politischen  Ökonomie,  d. h.  aus  einer  kritischen,  die  Funktion  der  Medien  würdigenden,  Position   werden   in   diesem   Forschungsprojekt   die  Rolle  und  die  Standpunkte  von  Massenmedien  zu  neuen  (oder  oftmals  auch:  in  früheren  Zeiten  bereits  durchgeführten)  Formen  der   Verteilungspolitik   untersucht.   Exemplarisch herausgegriffen wurden sieben deutsche Qualitätszeitungen,  um  die  Berichterstattung  zur Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung in Deutschland  in  den  ersten  beiden  Jahrzehnten  des  21.  Jahrhunderts  zu  analysieren.  Diese  Zeitungsartikel  wurden  hinsichtlich  ihrer  textlichen  Ausrichtung  untersucht,  wobei  der  Schwerpunkt der Analyse auf der quantitativen Anzahl von Zeitungsartikeln, häufigen Wörtern und  Wortkombinationen  und  der  unterschiedlichen Präsenz von mit Expertise ausgestatteten  AkteurInnen  aus  dem  politischen  bis  zum  wissenschaftlichen Bereich lag.
Ergebnisse
Die Ergebnisse dieses Projektes können in vier Punkten zusammengefasst werden:
1. Insgesamt gibt es nur wenig Berichterstattung  zu  diesem  gesellschaftlich  sehr  relevanten Thema.
2. Der Fokus der Berichterstattung liegt für alle Zeitungen auf der (partei)politischen Ebene und  dort  oftmals  auf  politischen  Kontroversen;  die  (polit-)ökonomische  Ebene  als  Aspekt  einer  Hintergrundberichterstattung  wird dagegen wenig thematisiert.
3. (Ökonomische)  Expertise  stützt  sich  auf  AkteurInnen aus dem politiknahen Bereich (z. B. Stiftungen) sowie der (politikferneren) Wissenschaft.  Beide  Bereiche  sind  jedoch  miteinander  und  mit  dem  politischen  Feld  (Parteien)  verwoben  und  es  lassen  sich  Cluster  identifizieren,  deren  „Mitglieder“  sich anhand ihrer Pro- oder Kontra-Haltung zur Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung gruppieren. Über alle drei Bereiche hinweg gilt, dass AkteurInnen, die einer Wiedereinführung  der  Vermögensbesteuerung  und/oder  einer  Erhöhung  der  Erbschaftssteuer  ablehnend  gegenüberstehen,  in  fast  allen  untersuchten   Medien   deutlich   vorherrschend sind.
4.  In  der  Wissenschaft  geht  diese  Dominanz  in den meisten der untersuchten Zeitungen mit  einem  Überhang  an  ordoliberalen  und  mainstreamökonomischen  Positionen  einher.  Eine  paradigmatische  Vielfalt  in  der  Darstellung  der  volkswirtschaftlichen  Expertise ist nur sehr eingeschränkt gegeben.
Bezüglich  der  Intensität  der  Berichterstattung  lässt sich festhalten, dass Vermögens- und Erbschaftssteuern in der untersuchten Zeitspanne ein  relativ  seltenes  Thema  in  deutschen  Printmedien darstellen: Nur etwa 0,02 bis 0,06 Prozent  aller  Artikel  behandeln  die  Thematik.  In  einigen kurzen Zeiträumen (von wenigen Monaten)  ist  eine  intensivere  Berichterstattung  vorzufinden. Angesichts der Dringlichkeit des Themas,  welche  von  verschiedensten,  durchaus  prominenten  SozialwissenschaftlerInnen  und  ÖkonomInnen wie Krugman (2017) oder Stiglitz (2019)  immer  wieder  vorgebracht  wird,  sowie  angesichts der stark ausgeprägten Vermögensungleichheit  in  Deutschland,  ist  dies  ein  recht  bemerkenswerter und beunruhigender Befund.
Die  parteipolitischen  internen  und  externen  Kontroversen  um  sowohl  die  Wiedereinführung  der  Vermögenssteuer  sowie  die  Diskurse  um  die  Ausgestaltung  der  notwendigen  Erbschaftssteuerreformen  werden  gerne  medial  aufgegriffen.  Damit  stehen  Kontroversen  in  der  politischen  Arena,  der  politische  Prozess  und  die  Aktivitäten  der  verschiedenen  politischen  AkteurInnen  im  Vordergrund  der  Berichterstattung.  Solch  eine  vorherrschende  Fokussierung  auf  politische  Debatten  blendet  damit andere Aspekte und Funktionen der Vermögens-  und  Erbschaftsbesteuerung  tendenziell  aus  oder  stellt  sie  zumindest  hintenan:  Der  analysierte  Korpus  diskutiert  die  ökonomischen  Folgen  –  und  hier  insbesondere  die  potenziellen  positiven  Auswirkungen  der  Umverteilung von Eigentum und Vermögen auf die öffentlichen  Finanzen  etc.  –  nur  in  geringem  Ausmaß.  Darüber  hinaus  wird  die  zunehmende  Konzentration  von  Macht  und  Einfluss  in  den  Händen  weniger  „Super-Reicher“  ebenso  wenig  thematisiert,  wie  die  Vermögens-  und  Erbschaftsbesteuerung  als  ein  Mittel  zur  Ermöglichung von sozialer Gerechtigkeit in einer höchst ungleichen Gesellschaft angesprochen wird.  Eine  gesellschaftspolitische  Einbettung  mittels  Bezügen  zu  Gleichheits-,  Demokratie-  und   Gerechtigkeitsaspekten   findet   in   der   Zeitungs-Berichterstattung  eher  selten  statt.  Stattdessen ist sie staatsskeptisch geprägt und vertritt  Unternehmensposition  weitaus  stärker  als  andere  Perspektiven,  aber  von  einer  ganz  spezifischen,  fast  idealtypischen  Sicht  auf  Unternehmen  als  Familien-/Mittelstands-firmen.  Die  Zweifel  an  der  Sinnhaftigkeit  von  Vermögens- und (erhöhten) Erbschaftssteuern werden somit überproportional verbreitet.
Netzwerkbildungen
Hinsichtlich  der  Haltung  zur  Erbschafts-  und Vermögenssteuer der in den Texten aufgeführten ExpertInnen zeigt sich ebenfalls, dass solche  AkteurInnen  am  häufigsten  vorkommen,  die  einer  Wiedereinführung  der  Vermögensbesteuerung und einer Erhöhung der Erbschaftssteuer   ablehnend   gegenüberstehen.   Eine  weiterführende  Analyse  der  politischen  und  politiknahen  Organisationen  sowie  der  wissenschaftlichen  ExpertInnen  verdeutlicht,  dass quer zu allen Bereichen Netzwerkbildungen  anhand  der  Pro-  oder  Kontraposition  zur  Vermögensbesteuerung  existieren.  Dabei  ist  das  Netzwerk  der  Organisationen,  welche  der  Wiedereinführung der Vermögensbesteuerung und  einer  Erhöhung  der  Erbschaftssteuer  befürwortend gegenüberstehen, durch eine losere  Struktur  gekennzeichnet,  als  das  Netzwerk  mit ablehnender Haltung.
Hinsichtlich der wissenschaftlichen ExpertInnen  kommt  ein  weiteres  Ungleichgewicht  hinzu. Eine vielfältige Darstellung (wirtschafts)wissenschaftlicher  Paradigmen  ist  in  der  untersuchten  Berichterstattung  nicht  gegeben.  So werden MainstreamökonomInnen am häufigsten  als  wissenschaftliche  ExpertInnenzitiert,  gefolgt  von  pluralen  MainstreamökonomInnen   und   AnhängerInnen   des   Ordoliberalismus.  Weitaus  seltener  sind  heterodoxe  ÖkonomInnen  vertreten.  Diese  fehlende  innerwissenschaftliche  Differenzierung  dürfte  dabei  wesentlich  zur  Überrepräsentation  der  ablehnenden  Sichtweise  auf  Vermögens-  und  Erbschaftsbesteuerung beitragen, stehen  Mainstream-  und  Ordoliberale  ÖkonomInnen  Umverteilungsmaßnahmen bzw. Staatseingriffen doch meist aus weltanschaulichen Gründen schon skeptisch gegenüber. Der normative Anspruch  an  den  wirtschaftspolitischen  Journalismus  „[d]ominante  ökonomische  Narrative  herauszufordern“  (Müller,  2017:  42)  wird  so  nicht erfüllt.
Blockjournalismus?
Insgesamt bleibt fast der Eindruck, als wäre die untersuchte Medienlandschaft in Deutschland ein einheitlicher Block   gegen solch steuerliche  Umverteilungsformen  –  wäre  da  nicht (teilweise) die SZ, seltener DER SPIEGEL, jedenfalls aber die taz als Gegenposition. Insgesamt  bleibt  der  Befund  jedoch  korrekt:  Die  Ergebnisse des vorliegenden Berichtes finden eine  eher  ablehnende  Berichterstattung  über  die Wiedereinführung der Vermögensbesteuerung und die Erhöhung der Erbschaftssteuer in Deutschland.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Arbeitspapier 43 “Streitfall Vermögenssteuer” der Otto Brenner Stiftung. Den vollen Wortlaut finden Sie hier. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.

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