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Wenn Faschisten “Ermächtigungsgesetz” sagen

Wieder haben Corona-Leugner, AfD, Aluhüte und Q-Anon-Hetzer in Berlin demonstriert, haben rechte Verführer viele naive Mitläufer verführt, sich ohne Maske und notwendigem Abstand mit zum Teil kleinen Kindern zu versammeln. Selbsternannte “Anwälte für Aufklärung” hatten schon im Vorfeld viel blühenden Unsinn über die Novelle zum Infektionsschutzgesetz in die Welt gesetzt: Maskanzwang, Quarantäne und Demonstrationsverbote würden für immer zementiert, angeblich Grundrechte beseitigt – so die völlig abwegige Botschaft. Wieder wurde sich aufs Grundgesetz berufen, wurden Passanten aggresiv angegangen, Journalisten bedroht, Polizisten angegriffen. Und die AfD, jene Partei, die das Grundrecht auf Asyl am liebsten abschaffen würde, deren Fraktionsvorsitzender den Nationalsozialismus und den Holocaust als “Fliegenschiss” der Geschichte verharmlost hat, hat nun diese Form der Verharmlosung des Nationalsozialismus wiederholt: spricht vom “Ermächtigungsgesetz”.
“Fliegenschiss” wie “Ermächtigungsgesetz” – Verharmlosung des NS-Terrors
Damit begehen Gauland und seine Brüder im Geiste der Corona-Leugner bewusst und gezielt eine weitere ungeheuerliche Geschichtsklitterung, die auf eine Verharmlosung der Nazi-Zeit  und eine Relativierung ihrer Verbrechen abzielt. Was ist Sache: Seit März haben die Bundesregierung und die Länder alle möglichen Einschränkungen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes auf Rechtsverordnungen gestützt, die sich auf eine Generalklausel des Infektionsschutzgesetzes beriefen. Dieses “ermächtigte” die Landesregierungen, notwendige Maßnahmen zur Eindämmung der Infektion unter der vom Bundestag beschlossenen ausgerufenen Pandemiefall zu treffen. Dieser Pandemiefall wurde jeweils für 6 Monate beschlossen und kann übrigens von einer Mehrheit des Parlaments jederzeit beendet werden.

Weil jedoch genau diese bisherigen Ermächtigungen der Regierung, durch Rechtsverordnung Maßnahmen wie Beherbergungsverbote, Maskenpflichten, Quarantänefristen, Schulschließungen usw. der Exekutive, d.h. den Regierung viel zuviel Rechte zubilligten, ohne dass die Parlamente demokratisch entschieden, wurden in § 28a abschließend Massnahmen definiert, die die Regierung in Zukunft zum Bekämpfung der Pandemie ergreifen kann. Damit wird die Regierung eher gebunden, werden die Instrumentarien rechtsstaatlich definiert und begrenzt, ist dieses Gesetz genau das Gegenteil einer pauschalen Ermächtigung, schon gar nicht ein “Ermächtigungsgesetz”.

Nach dem “Fliegenschiss” der nächste Tabubruch

Was bedeutete das Ermächtigungsgesetz? Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, präzise das “Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich”, war ein vom Deutschen Reichstag beschlossenes Ermächtigungsgesetz, mit dem die gesetzgebende Gewalt faktisch vollständig an Adolf Hitler überging. Der Reichstag hat sich selbst entmachtet, hat der Reichsregierung damals die Möglichkeit gegeben, Parteien zu verbieten – zunächst die KPD und SPD, dann alle Parteien außer der NSDAP – die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit aufzuheben und die Weimarer Demokratie zu zerstören. Gegen das Ermächtigungsgesetz hat nur die SPD gestimmt, die KPD war bereits illegal und verboten, und dieses Gesetz war der Beginn der Gewaltherrschaft Hitlers und der Nationalsozialisten.

Wer ein solches Gesetz, wie es heute beschlossen wurde – und von der Opposition Grünen, FDP und Linken heftig kritisiert, teilweise auch verbessert wurde – mit dem Gesetz vergleicht, das die Weimarer Demokratie beendete, begeht eine unglaubliche Verharmlosung und zieht einen Vergleich, der genau auf der Linie des Gaulandschen Fliegenschiss-Vergleichs liegt. Die Ungeheuerlichkeit und Einmaligkeit des  Nationalsozialismus, des Holocaust und des Völkermordes der Nazis wird durch solche Gleichsetzungen relativiert. Das ist die eigentliche ideologische Offensive von AfD, Identitären, Corona-Leugnern und rechten Strippenziehern in (a)sozialen Netzwerken. Es ist eher erschreckend, dass bisher ein öffentlicher Aufschrei der demokratischen Institutionen, z.B. des Bundestagspräsidenten dagegen ausgeblieben ist.

AfD nötigt das Parlament

Ob es notwendig ist, sich über die Taktik von AfD-Abgeordneten aufzuregen, die heute Corona-Leugnern den Zugang zum Bundestag ermöglicht haben, ist müßig. Sie haben damit gezeigt, wes Geistes Kind sie sind, und dass sie bereit sind, Sektierern, Corona-Leugnern und Nötigern den Weg in das Parlament zu ebnen und die Nötigung von Abgeordneten zuzulassen. Das haben zum letzten mal Nazis ab 1933 begangen, als sie in Uniform der SA das Parlament betreten haben und als Besatzer aufgetreten sind. Die AfD hat damit zum wiederholten mal bewiesen, dass sie sich ideologisch und tatsächlich als rechtsextremistische Kraft verankert und radikalisiert hat. Rassismus und Flüchtlingshetze sind nun durch Corona-Leugnung und Verschörungslegenden ergänzt. Gewalttätige Hooligans und Neonazis sind in beiden politischen Szenen aktive Bündnispartner.

Regierungen als unfreiwillige Helfer der Verschwörungsgläubigen

Bei der Betrachtung und Analyse staatlichen Handelns muss allerdings festgestellt werden, dass die Bundesregierung und das Parlament wiederholt in jede Falle gegangen sind, die ihnen Coronaleugner und angebliche Grundrechtsverteidiger gestellt haben: Der Bundestag beschließt über den Gesetzentwurf innerhalb verkürzter Fristen und der Bundesrat entscheidet am gleichen Tag. Dieses Vorgehen erinnert an die “Gesetzgebung im Belagerungszustand”, in der 1977 im Deutschen Herbst die Antiterrorgesetze beschlossen worden sind. Unnötig und peinlich, dass Bundesregierung und Bundesrat diese im Eilverfahren beschlossen haben, um damit selbst unberechtigten Kritikern Argumente frei Haus zu liefern. Insofern ist Kritik am Eilverfahren ebenso berechtigt, wie rechtsstaatliche Bedenken an Details der “Corona”-Gesetzgebung und bestimmten Maßnahmen im Einzelnen. Das haben Grüne, FDP und Linke heute deutlich gemacht. Aber das kompensiert nicht die demokratische Instinktlosigkeit der GroKo.

Unheilige Allianz im Wahljahr 2021

Das ist demokratischer Diskurs im Parlament und damit das Gegenteil von rechtsextremer Hetze gegen die Corona-Maßnahmen und ideologischer Angriffe der rechtsextremistischen Szene, sowie des Bündnisses aus Corona-Leugnern, Antisemiten, Merkelhassern, Verschwörungsgläubigen, und AfD. Dieses Bündnis darf im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl nicht unterschätzt werden. Die US-Wahlen unter den Bedingungen der Corona-Krise und die Strategien Trumps und der extremen Rechten der USA müssen für die Zukunft der Demokratie in Deutschland 2021 genau analysiert werden. Auch in den USA haben Verschwörungsgläubige und Trump-Strategen ein Bündnis gegen die Demokraten geschmiedet. Ähnliches versucht die AfD derzeit im Hinblick auf 2021, weil ihre Kernbotschaft, Fremdenfeindlichkeit und Flüchtlingshetze, mangels Immigration, Abschottung der EU gegen Flüchtlinge, Moria und unter Bedingungen der Corona-Krise nicht mehr ankommt. Gleichwohl ist es ihr gelungen, dank nützlicher Idioten wie dem “Querdenken 711” Gründer eine neue Basis zu erschließen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Angela aus Beuel

    Eine gute, doch auch sehr glatte Analyse. Durch die männlich konnotierte Schreibweise habe ich sie teilweise mit Unwillen gelesen. Eingeladen für mögliche Bündnisse fühle ich mich nicht.

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