Kölner Kulturproduzent*inn*en zwischen Radikalisierung und Marginalisierung
Ein “Hoch!” auf Stephanie Gebert und das DLF-Wochenendjournal. Frau Gebert war in der Kölner Kulturszene unterwegs (Audio 47 min), förderte viel Bekanntes zutage, und vermittelte zusätzlich Ahnungen von weniger Bekanntem.
Bekannt ist, dass die Pandemie alte Probleme und Entwicklungen nicht nur sichtbarer macht, sondern auch beschleunigt. Die Gentrifizierung von Stadtvierteln, die Digitalisierung von Kommunikation und Kulturproduktion. Nur am Rande kam die Mehrheit der Prekarisierten vor, die aufgrund fehlender Formalisierung ihrer Arbeit in Steuererklärungen und Sozialversicherungsnummern keinen Zugang zu den derzeit gängigen Pandemiehilfen haben. Sie stellen aber, ähnlich wie im Journalismus, die Mehrheit der Kulturproduzent*inn*en. Sie konnten schon vor der Pandemie nicht davon leben, sondern mussten Kellnern oder Putzen. Sie sind jetzt schon der tote Teil der Branche.
Sie sind gleichzeitig tendenziell die Jüngeren, noch in Ausbildung, Studium o. ähnl. Jetzt ist die Phase, in der sie der Kultur, ihrer Stärke: der Vielfalt, verloren gehen, weil sie was Anderes machen müssen. Um nicht zu verhungern und sozial zu verelenden. Frau Gebert traf mehrheitlich jene, die es noch knapp in ein staatliches Rettungsboot geschafft haben. Mit Ungewissheit, ob die Rettung gelingen wird.
Unter denen im Rettungsboot war sowohl Verzweiflung als auch Radikalisierung zu hören. Bei der staatlichen Rettung geht es nicht um die Erhaltung von Werten und Arbeitsplätzen – dann müssten Kulturproduktionen ja in der ersten Reihe stehen. Nein, das Kapital wird dem Kapital hinterhergeworfen. Ist doch klar, so funktioniert Kapitalismus. Viele lernen es jetzt.
Viele lernen jetzt, wo es fehlt, das Menschliche am Menschen schätzen, die spontane Artikulation von Gefühlen, und das sogar gelegentlich gemeinsam. Unproduktives Albern, Spass haben, all die Dinge, die das Wirtschaftssystem nicht vorsieht, von denen es -vorübergehend – am Funktionieren gestört wird, das Unberechenbare. Oder, wie es Hilmar Klute/SZ heute so schön schreibt: “Wenn wir also aus dem Arbeitsalltag ausscheren, neigen wir zur Orgie.” Werden noch jemals Schlingensiefs und Schneiders (gemeint ist Helge) heranwachsen können?
Doch, das werden sie. Aber ihre Rolle wird kleiner sein. Was an Kulturszene überlebt, könnte sich radikalisieren und politisieren. Das wäre nicht schlecht. Nur ist es mit Verlust von gesellschaftlicher Verankerung, also Macht, verbunden. Weil der Nachwuchs s.o. sich anders orientieren und die Branche wechseln muss. Die Pandemie ist nicht zuende. Die nächsten Viren warten schon auf unsere Aufmerksamkeit. Das ist schlecht. Sehr.
Getröstet hat mich in Frau Geberts Musik-Sendeplan der Drifters-Gassenhauer, herrlich zum Weiterträllern unter der Dusche. Als das No. 1 im UK war, war ich noch Schüler, und schrieb Hitparaden aus dem Radio mit. Richtiges Radio, war ‘ne schöne Zeit.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net