Er fördert rassistisches Denken
Nun hat die Innenministerkonferenz  wieder auf Initiative von Horst Seehofer über Abschiebungen nach Syrien diskutiert. Das ist fachlich ungefähr so, als würden Physiker des Max-Planck-Institutes darüber diskutieren, dass man dieser “Dunkle Materie” endlich verbieten sollte, die Erde und das Sonnensystem zu durchdringt. Das Ergebnis ist in der Sache eine Blamage: Horstimaus hat erreicht, dass in jedem Einzelfall geprüft wird, dass eine Abschiebung nach Syrien unmöglich ist, weil es weder diplomatische Beziehungen, noch einen offenen Flughafen, noch irgendeinen anderen Reiseweg nach Syrien gibt und schon deshalb jede Abschiebung faktisch scheitern muss. Aber Horstimaus hat seine Diskussion darüber bekommen. Und einen Scheinsieg.

Das reicht ihm, weil es ihm eigentlich gar nicht um die Sache ging, sondern er nur mal wieder Flagge für die CSU nach ganz rechts zeigen wollte. Seehofer hat anders als Markus Söder immer noch nicht kapiert, dass derartige Diskussionen, mit denen er den Anschein erwecken möchte, die CSU dächte auch so primitiv, wie die AfD und andere Rechtsextremisten, und wolle einfach nur Straftäter oder gar Verdächtige abschieben, auch wenn es gar nicht geht. Damit bedient er ideologisch rechte Denkmuster und – das ist aus seiner Perspektive eigentlich ein politischer Selbstmord – er kann sie dann nicht einlösen. Das muss er als Innenminister eigentlich wissen.  Dass er das trotzdem macht, verschlimmert den Befund nur noch. Das Resumee der Aktion vom vorvergangenen Wochenende: Seehofer hat mal wieder “was gegen Flüchtlinge gesagt und gegen Islamisten”, ohne dass er irgendwas machen musste. Das ist sträflich und dumm.

Wasser auf die Mühlen der AfD

Denn es befördert nicht nur Wasser auf die AfD- und Nazimühlen, er organisiert auch seine eigenen Unglaubwürdigkeit, weil ihm jeder, der rechts denkt, oder mit Abschiebungen unzufrieden ist, zurecht vorhalten kann, dass Seehofer nichts als ein Papiertiger ist, der gar nicht abschíeben kann. Er delegitimiert und desavouiert damit indirekt die grundrechtlichen Sicherungen, die auch Straftäter vor Verfolgung durch Tod und Folter schützen. Weil wir im Gegensatz zu Terrorstaaten und Folterregimen auch Straffälligen Grundrechte zubilligen, ist auch ein Wesen der Demokratie des Grundgesetzes. Das zieht er ideologisch wie die Rechtsextremisten in den Dreck. Wenn es Seehofer wirklich um den Schutz der Bürger*innen vor Gefährdern ging, auf den die Gesellschaft ja wirklich einen Anspruch hat, würde er die polizeilichen Maßnahmen von der Gefährderansprache über eine engmaschige Überwachung bis zur Telefonüberwachung nutzen, um die bekannten Gefährder wirksamer zu überwachen. Aber das kostet Geld und taugt nicht zur öffentlichen Selbstinszenierung.

Legalistisch-demokratiefeindlicher Islam ist das Problem

Bei Seehofers Manöver für Einfachdenker fällt eine ganz andere, viel wichtigere Debatte unter den Tisch. Nicht zuletzt die Diskussion um die Morde in Frankreich im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen haben ein wichtiges Defizit demokratischen Diskurses und demokratischer, besser emanzipatorischer Erziehung in Deutschland deutlich werden lassen. Wenn zahlreiche Interviewte – mit oder ohne Migrationshintergrund, aber keine Salafisten oder Extremisten – erklären, dass sie zwar für die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes seien, dass aber bei der Beleidigung des Propheten Mohammed die Meinungsfreiheit aufhöre, dann wird ein massives gesellschaftliches Problem deutlich: Anders als die christliche Ideologie, die sich seit dem 19. Jahrhundert zumindest scheinbar auf eine hegemoniale Rolle des Staates im Verhältnis Klerus und weltlicher Macht eingelassen hat, anerkennen nicht unwesentliche Kreise des Islam – nicht nur des extremistischen Islamismus – nicht die demokratische Verfassung als gemeinsame Basis allen staatlichen und individuellen Handelns. Sie versuchen stattdessen, ihre archaischen und abergläubigen Kategorien der Zivilgesellschaft überzustülpen und finden zunehmend Gehör. Das erfordert eine gesellschaftliche, offene Diskussion, die zu Fördern im Kompetenzbereich des Innenministers läge, wenn er seinen Job ernst nähme.

Innenpolitik ist Gesellschaftspolitik, nicht Polizei und Geheimdienstpolitik

Aber das tut er nicht und das hat seit der Ära Gerhart Baum von 1977-1982, der z.B. den Terrorismus damals wissenschaftlich fundiert analysieren liess und politische Gegenstrategien entwickelte, kein einziger Innenminister mehr geleistet. Weil sie sich alle ausschließlich als Polizei- und Abschiebungsminister verstanden, und nicht als Hüter der Verfassung. Weil sie genau die Symbolpolitik betrieben, die Horst Seehofer derzeit praktiziert. Und sich damit in die Sackgasse der politischen Scharlatane manövrierten. Das muss sich nach der nächsten Bundestagswahl ändern. Das bedeutet, dass der CDU/CSU, die dieses Ressort seit 1982 mit einer kurzen Unterbrechung durch den nicht weniger schlimmen, weil ideologisch beschränkten Sozialdemokraten Otto Schily beherrscht, endlich entzogen werden. Das bedeutet, dass Grüne endlich erkennen müssen, dass die Liberalität einer Gesellschaft nicht unwesentlich vom Innenminister auf Bundesebene geprägt wird. Das kann für Schwarz-Grün zum echten Stolperstein werden, der mindestens genauso bedeutend ist, wie die Energie- oder Verkehrswende. Seehofer dagegen sollte sich schnellstens zu seiner Eisenbahnanlage in den Keller zurückziehen. Es wird Zeit, ihn als Initiator derartiger öffentlichen Diskurse aus dem Verkehr zu ziehen.

Nicht nur deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass er zurücktreten muss.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net