“Rettet Kisch & Co.!” –  Rettet unsere Innenstädte und Kieze als Wohn-, Sozial- und Kulturräume! Nein zu Spekulation mit Miet- und Gewerberäumen!
Redaktionelle Vorbemerkung: ausnahmsweise mal ein Berliner Vorgang, der (fast) alle angeht,
Während zehntausende von Kultureinrichtungen coronabedingt immense Schwierigkeiten haben, ihr Überleben zu sichern, sind in fast allen größeren deutschen Städten weiterhin international agierende Immobilienspekulanten unterwegs. Ihr Geschäftsmodell betrifft Wohn- und Gewerberaum gleichermaßen. Kaufpreise und Mieteinnahmen sind scheinbar egal: Die Investoren wollen Steuern vermeiden und Gewinne durch Weiterverkäufe erzielen. Dabei setzen sie auf Entmietung der alten Strukturen, um entweder weit überhöhte Mieten fordern oder direkt lukrativen Leerstand zum Verkauf anbieten zu können.
Davon bedroht ist auch unsere Kiezbuchhandlung Kisch & Co. in Berlin-Kreuzberg. In das Gewerbeobjekt mit überwiegend kulturellen Einrichtungen im Zentrum der Oranienstraße kaufte sich Anfang 2020 ein Luxemburger Immobilienfonds ein, die Victoria Immo Properties V S.a.r.l. Dahinter stehen vermutlich Erb*innen aus der schwedischen Rausing-Familie, die ihr Vermögen der Erfindung des Tetra Pak verdankt. Für dieses einzelne Haus legte der Fonds unfassbare 35,5 Millionen Euro auf den Tisch. Wir haben nachgerechnet: Selbst bei 300-prozentiger Mietsteigerung wäre dieser Betrag erst nach über 40 Jahren refinanzierbar.

Der Mietvertrag lief im Mai 2020 aus. Normalerweise hätten längst Verhandlungen über eine Verlängerung angestanden. Doch die neuen Eigentümer*innen wollten die Buchhandlung offenbar nicht als Mieterin behalten. Die ersten Stammkund*innen erklärten daraufhin in YouTube-Videos, was ihnen Kisch & Co. bedeutet. Die Reaktion der Gegenseite: Ein Vertrag bis Jahresende, aber nur, wenn Kisch & Co. ein für den Immobilienfonds positives YouTube-Video darüber veröffentlicht. Politik sowie Medien sollten gleichermaßen informiert und ansonsten Stillschweigen bewahrt werden – bei Androhung einer Vertragsstrafe. So ein Todesurteil konnte Kisch & Co. natürlich nicht akzeptieren und der Laden blieb, nunmehr ohne Mietvertrag, in seinen Räumen.

Mit großer Unterstützung aus der Nachbarschaft, von Kund*innen, Initiativen und Bezirkspolitiker*innen begann Kisch & Co. den Protest. Das Bündnis ‘Volle Breitseite für Kisch & Co.’ organisierte den ganzen Sommer über Kundgebungen und Kulturprogramme vor der Buchhandlung. Hunderte Menschen nahmen jeweils an den Veranstaltungen teil, die von politischen Beiträgen und Lesungen, Diskussionen und Musik getragen wurden.

Dennoch erhielten die Betreiber am 22.09.2020 eine Räumungsklage. Der Räumungsprozess ist nun für den 05.02.2021 vor dem Landgericht Berlin angesetzt.
Wir fordern von den Eigentümern/Verantwortlichen des Hauses Oranienstraße 25:
die sofortige Rücknahme der Räumungsklage
die Verlängerung des Mietvertrags bzw. Neuausgestaltung zu annehmbaren Bedingungen
eine Standortgarantie für alle anderen kulturellen Einrichtungen und Gewerbe im Haus zu annehmbaren Bedingungen.
Wir fordern von Politik aus Bund und Ländern:

Schutz für Kleingewerbetreibende sowie soziale und kulturelle Einrichtungen durch die Einführung eines Gewerbemietrechts analog zum Mietrecht für Wohnen: Kündigungsschutz, Entfristung der Verträge sowie Maßnahmen zur Mietbegrenzung (Einführung eines verbindlichen Gewerbemietspiegels und einer Gewerbemietpreisbremse).“

Hier finden sich gesammelte Informationen zu dem Fall.
Hier steht die Petition auf change.org


Egon Erwin Kisch (1885 in Prag geboren, 1948 gestorben) gilt als einer der bedeutendsten Reporter der modernen Zeitungsgeschichte. Er ist als „der rasende Reporter“ bekannt und für seinen klassischen Satz berühmt: Schreib das auf, Kisch!

„Jeden Tag stenographiere ich meine Lebensweise und meine Gedanken, die Lebensweise und Gedanken von Hunderttausenden … Die Kameraden spotten: ‚Schreib das auf, Kisch!‘ Der Satz wird zur ständigen Redensart … Kisch schreibt auf, wenn der letzte Hosenknopf abreißt, wenn das einzige Stück Seife in den Brunnen fällt, wenn Blut in den Essnapf spritzt. Manches schreibe ich auf, was ich als Journalist nicht gewusst hätte. Manches hätte ich als Journalist auch dann nicht geschrieben, wenn ich es gewusst hätte, denn es wäre mir zu belanglos erschienen. Manches schreibe ich auf, was ich als Journalist nicht hätte schreiben dürfen, die Zeitung nicht gedruckt hätte. Mein Tagebuch weiß und darf. Welch ein Unterschied zwischen … einem Tag, den die Zeitung spiegelt, und einem Tag, im Schützengraben überlebt.“ EGON ERWIN KISCH
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von bruchstuecke.info.

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