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Impfstoffknappheit aus Profitgier?

Ich hatte die ganze Zeit ein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken, was uns vor etwa zehn Monaten erzählt wurde. Mit dem ersten Lockdown wurde schon über den möglichen Verlauf der Pandemie diskutiert. Die ersten Szenarien wurden diskutiert, was passiert, wenn es denn irgendwann mal einen Impfstoff gebe.  Dann würden, so hieß es, schon während der Forschungsphase, also im Sommer und Herbst, bereits die zu testenden Impfstoffe auf Vorrat produziert, damit sie dann schon zum Zulassungszeitpunkt in großen Mengen zur Verfügung stünden. Das hat mich damals als Unternehmensberater schon gewundert, aber schließlich wurden ja dreistellige Millionenförderungen vom Forschungsministerium, der EU und den USA in die Wirtschaft gepumpt.

Um so verwunderter bin ich seit Dezember, dass es angeblich keine ausreichenden Mengen der Impfstoffe gibt. Angeblich war doch die Bill Gates Stiftung im Spiel, haben alle möglichen Leute gespendet, damit es schnell voran gehen kann mit dem auf Vorrat produzieren und dann Impfen.  Geht es Ihnen auch so? Fragen Sie sich auch, wieso die Bundes- und Landesregierungen derzeit zusehen, Minister*innen mit den Zähnen knirschen, wenn sie verkünden müssen, warum es nicht genug Impfstoff gibt? Und das findet ja in unseren reichen Ländern statt, in Afrika, Asien und Südamerika geht zum Teil noch GAR NICHTS, gibt es keinerlei Impfstoffzusagen und die LDC (Least Developed Contries) drohen, völlig leer auszugehen.

Eurozentristischer Blick

Der NDR und PANORAMA hat mit seinem Bericht heute abend mein mieses Gefühl mit Fakten unterlegt und  erschreckende Verhältnisse offengelegt. Zusammengefasst und vereinfacht: Die vor allem mit öffentlichen Mitteln in die Forschung entwickelten Erkenntnisse flossen in die Entwicklungen der Start-Ups wie Biontech ein, wurden weiter massiv gefördert – und nun eignet sich ein Weltkonzern wie Pfizer die Kenntnisse an, tut sogar so, als ob sie selbst es gewesen wären, die den Impfstoff entwickelt haben, und betreiben eine Patentpatronage, die die Regierungen und ihre Bürger*innen weltweit in die Abhängigkeit ihrer Produktions- und Profitinteressen zwingt. “Schutz des geistigen Eigentums”, nennen sie das – im Konkreten die private Patentierung und Aneignung gesellschaftlich geförderter und an Universitäten in Form von Grundlagen- und Methodenforschung gesellschaftlich erarbeiteten Wissens ist die Ursache des derzeitigen Flaschenhalses bei der Impfstoffproduktion.

Politik am Nasenring der Pharmakonzerne

Was machen unsere politisch Verantwortlichen? Sie lassen sich von den Pharmakonzernen am Nasenring durch die Arena ziehen. Da geht Pfizer her und baut in aller Seelenruhe mitten in der Pandemie in Belgien eine Fabrik um – und Jens Spahn und die Landesminister schauen zu, grummeln ein bisschen und machen FFP 2-Masken zur Pflicht, die sich die Bürger selber kaufen sollen. Zum Beispiel Hartz-4 Empfänger, die für medizinische Mittel monatlich etwa 11 Euro bekommen, also kaum drei Masken pro Monat? Wir befinden uns in einem Notstand, in dem Schulen und Kitas geschlossen, Geschäfte und Gastronomie stillgelegt und tief in Grundrechte von uns allen eingegriffen wird. Aber das Grundrecht auf größtmögliche private Profite der Pharmaindustrie gilt weiterhin uneingeschränkt – Hallo? Wir kennen das doch lange aus der Diskussion über AIDS-Medikamente in Afrika!

Knappheit und Leerstand werden zugelassen

Es kann doch wohl nicht angehen, dass die Menschheit – etwa sieben Milliarden – keinen ausreichenden Impfstoff hat, weil die Pharmakonzerne  in aller Ruhe ihre Produktionsinfrastruktur für maximale Profite aufbaut und diejenigen Staaten, die wie Israel das Dreifache zahlen, die ersten und einzigen sind, die über ausreichend Impfstoff verfügen. Die EU hat 2020 offensichtlich erst im November bestellt, während die USA das bereits im Juli getan haben. Die Bundesregierung, namentlich Kanzleramtsminister Doktor Helge Braun, argumentieren, man bekomme ja im Frühherbst 2021 mehr als genug Impfstoff, wenn die Produktionsstätten in Hessen von Biontech im Frühjahr ans Netz gingen. Bis dahin können aber viele tausend Menschen schon tot sein, die durch eine Impfung hätten gerettet werden könnten. Ich als Mitglied einer “vulnerablen Gruppe” aufgrund meines Alters und bestimmter Vorerkrankungen auch.

Krieg gegen das Virus

Ich muss jetzt etwas tun, was ich eigentlich hasse, ich ziehe den Kriegsvergleich. Im 2. Weltkrieg hat die US-Regierung alle Flugzeugbauer – ob Boeing, Douglas, oder Lockheed verpflichtet,  den Bomber Boeing B 17 “fliegende Festung” zu bauen, damit es schnell viele Flugzeuge dieser Art gab. Es gibt genügend Pharmahersteller, nicht nur Bayer, BASF, Merck, Sanofi und wie sie alle heißen, die den MRNA-Impfstoff schnell herstellen könnten, wenn ihnen die Patente zur Verfügung gestellt würden. Warum wird z.B. Sanofi, bei deren eigenem Impfstoff klar ist, dass er nicht vor Ende 2021 zugelassen werden wird, nicht von der französischen Regierung verpflichtet, JETZT den Impfstoff von Biontech in Lizenz zu produzieren? Wieso geht hier Profitstrategie vor Pandemiebekämpfung? Wie sieht es konkret mit der so gerne beschworenen EU-Solidarität aus?

Jetzt muss die Politik in den Markt eingreifen

Es ist fünf nach zwölf! Natürlich kann es vorkommen, dass die Politik Fehler macht und die EU vielleicht zu spät gehandelt hat. So what – ich hätte es auch nicht besser gewusst! Aber das kann doch kein Grund dafür sein, dass die Regierungen jetzt nicht handeln! Gesetzlich vorschreiben, dass die Patente freigegeben werden, dass alle nur mobilisierbare Unternehmen, die technisch dazu fähig sind, – in Deutschland, EU- und weltweit – verpflichtet werden, den Impfstoff sofort und jetzt zu produzieren und die Entwickler fair zu entschädigen – warum soll das nicht gehen? Dass hierbei die Industrieländer für die dritte Welt einstehen und ihre Verantwortung wahrnehmen müssen, versteht sich doch von selbst.  Warum werden nicht interessierte Laien dafür ausgebildet, Impfungen durchzuführen? Das gilt übertragen übrigens auch für Tests und Schnelltests. – Die Politik wird in ihrer unerträglichen Bräsigkeit jede Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie ihre ausschließliche Aufgabe darin sieht, die Lockdowns zu verlängern und wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Konzerne starren und “Bittebitte, liebe Pharmakonzerne” zu sagen, statt ihre Rechte in die Hand zu nehmen und die Patente gezielt freizugeben.

Es geht um die elementaren Grundrechte!

Seit 10 Monaten werden den Bürgerinnen und Bürgern im Interesse des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit viele Grundrechtseinschränkungen zugemutet – des Rechts auf Freizügigkeit, auf Demonstrationsfreiheit, auf Reisefreiheit, persönliche Entfaltung, Berufsfreiheit und Gewerbefreiheit, ganz zu schweigen von der Freiheit der Kultur, von Forschung und Lehre sowie des Rechts auf Bildung, die durch Schließung von Schulen und Hochschulen  eingeschränkt werden.
Es kann nicht sein, dass die Staaten auf ihre Möglichkeit und Pflicht zur Regulierung der Situation verzichten. In vielen Regionen Deutschlands sind inzwischen Bestatter und Krematorien überlastet. Das gilt für die EU ebenso. Da ist es zynisch, wenn Regierungen zögern, in Patentrechte der Pharmakonzerne einzugreifen. Dies hielte einer fairen Grundrechtsabwägung im Nachhinein niemals statt. Das scheinen manche politisch Verantwortliche noch nicht begriffen zu haben.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. andré dahlmeyer

    der hinweis auf israel hinkt ein bißchen, die haben nur 9 mio. einwohner …

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