Einmütig ist das Bild, das die Grünen derzeit in der Angelegenheit einer Kanzlerkandidatur abgeben. Das Wording der Beteiligten geht so: Erstmals werde die Partei mit einem Kanzlerkandidaten/einer Kanzlerkandidatin in einen Bundestagswahlkampf ziehen; entschieden werde es von und zwischen den beiden Vorsitzenden, Annalena Baerbock und Robert Habeck. Beide haben gesagt, sie hätten sich geprüft und seien bereit. Dreierlei ist erstaunlich. Trotz ihrer antiautoritären Wurzeln („Antiparteienpartei“) akzeptieren es die Grünen erstens widerspruchslos, dass die beiden Vorsitzenden die Sache unter sich ausmachen wollen und werden. Politische Richtungskämpfe zwischen Flügeln, Lagern und Strömungen der Partei, wer es sein solle, sind zweitens nicht sichtbar; allenfalls geben Frauen eine Präferenz für Baerbock zu erkennen. Drittens gelingt es Baerbock und Habeck, den Eindruck einer Auseinandersetzung um die Führung zu vermeiden. Das ist das Erstaunlichste von allem.
Erklärungen gibt es. Beide Vorsitzende gehören dem Lager der „Realos“ an, schließen schwarz-grüne Bündnisse nicht aus und wollen Stimmen in politischen Segmenten gewinnen, die nicht klassisch „grün“ zu verorten sind. In der Parteizentrale teilen sie sich ein gemeinsames Zimmer, und einen gemeinsamen Büroleiter haben sie auch. Reibungsverluste werden vermieden. Beim Publikum wird Spannung erzeugt. Habeck hat gesagt: „Ich gebe mein Bestes, Annalena gibt ihr Bestes, und dann werden wir sehen, was daraus wird.“ Das Hinauszögern der Entscheidung soll werbewirksam genutzt werden.

Doch ist der Anschein bloß Fassade? Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass derlei Fragen ohne Kämpfe beantwortet werden. Es entscheidet – wie in anderen Parteien auch – der unbedingte Wille zur Macht. Für Baerbock spricht der feministische Impetus der Grünen und ihre Fähigkeit, Details immer neuer Fachgebiete bodenständig zu kommunizieren. Habeck kann auf Regierungserfahrung verweisen; seine Ausflüge ins politische Feuilleton sollten nicht mit mangelnder Härte verwechselt werden. Leicht fiele ihnen der Verzicht zugunsten des anderen nur, wenn zu Pfingsten, des Abschneidens bei den bevorstehenden Landtagswahlen und der Umfragen wegen, Klarheit bestünde, dass die Trauben zu hoch hängen. Dann allerdings bräche die bislang weitgehend perfekt orchestrierte Kanzlerkandidatenkampagne in sich zusammen. Großspurigkeit kommt schlecht an.

Über Guenter Bannas / Gastautor:

Günter Bannas ist Kolumnist des Hauptstadtbriefs. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seine Beiträge sind Übernahmen aus "Der Hauptstadtbrief", mit freundlicher Genehmigung.