von Joachim Braun
Warum das Risiko für neue Krisen gestiegen ist und welche Maßnahmen zur Stabilisierung nötig sind

Die Finanzmärkte sind notorisch instabil. Alle paar Jahre kommt es zu einer regionalen oder gar globalen, mehr oder weniger heftigen Finanzkrise. Die derzeitige Corona-Bewältigungspolitik hat das Potential, eine neue Krise auszulösen.
Eigentlich ist die letzte Krise, die Große Finanzkrise von 2008, noch gar nicht vorbei.
Sie ist von den Finanzmarkt-Akteuren, insbesondere den Banken, die sie im Zusammenspiel mit anderen Akteuren wie etwa den Ratingagenturen verursacht und ausgelöst haben, nur weitergewandert, zu den Staaten, die die Banken „gerettet“ haben, und hängt nun an den Zentralbanken, die mit einer billigen Geldflut die Schuldenlast der Staaten finanzierbar halten, mit den Folgen, dass die Krise noch weiter gewandert ist: Da die klassischen Anlageklassen wie Sparverträge und Anleihen wegen der Niedrigzinsen keine Rendite mehr abwerfen, fließt das Geld in Aktien und Immobilien, die sich nun verteuern – die Zeche zahlen jetzt die Mieter aufgrund gestiegener Mieten oder junge Familien, die sich ihr Eigenheim nicht mehr leisten können.

Die Krise ist also noch nicht vorbei, die Finanzmärkte noch lange nicht stabil. Die Krise ist nur mit viel Zentralbankgeld und einer Niedrigzinspolitik ruhiggestellt.

(Auch) wegen der niedrigen Zinsen haben sich Unternehmen und Haushalte (private ebenso wie die staatlichen) stark verschuldet. Die OECD nannte 2020 für die globalen Unternehmensanleihen einen Stand von 13,5 Bio. $ – deutlich über dem Stand von 2008. Der globale Schuldenstand beträgt 322% des Weltsozialproduktes – die gesamten Schulden sind also mehr als 3 Mal so hoch wie alle Wirtschaftsleistungen zusammen.

Nun sind Schulden per se noch nicht so schlimm – wenn sie für nachhaltig produktive Investitionen genutzt werden. Das ist jedoch leider nicht der Fall. Viele Schulden dienen der Finanzierung von Firmenkäufen, Aktienrückkäufen, Finanzprodukten etc. Wegen der globalen Lohnzurückhaltung in den letzten Jahrzehnten lohnen sich Produktivinvestitionen nämlich kaum, da die Nachfrage fehlt, sodass solche „sinnvollen“ Investitionen sich nicht mehr rechnen – das Geld fließt nicht in die Realwirtschaft, sondern bleibt im Finanzmarkt und bildet dort Blasen.
Auch die privaten Haushalte sind historisch überschuldet, naturgemäß zu Konsumzwecken. Dabei verringert die Schuldenlast die künftige Konsumkraft und schwächt so die Wirtschaftsdynamik.
Es handelt sich also nicht nur um einen Schuldenberg, der so groß ist wie noch nie, sondern in seiner Struktur auch überwiegend um „schlechte“ Schulden, die die Krisengefahr erhöhen. Und nun verschärft sich diese Situation noch:

Wegen Corona brechen bei vielen Unternehmen die Umsätze weg. Das Sozialprodukt der meisten Staaten (außer China) ist erheblich geschrumpft. Viele Menschen verlieren ihre Arbeitseinkommen ganz oder zum Teil. Die Folge: Die ohnehin großen Schuldenberge wachsen sprunghaft an; die Zentralbanken pumpen weitere Billionen in die Märkte, damit die Wirtschaft nicht „austrocknet“. Genaue Zahlen zu nennen ist erstens noch gar nicht möglich und wäre auch nicht sinnvoll – man kann sich die Summen ohnehin nicht mehr vorstellen.

Noch können die Kriseninterventionen einen Zusammenbruch der Finanzmärkte verhindern. Mieten und Kreditraten wurden vorerst gestundet, das Insolvenzrecht ist ausgesetzt. Doch irgendwann in nicht allzu große Ferne kommt die Wahrheit ans Licht. Dann werden die Insolvenzen von Unternehmen und Privathaushalten zunehmen. Banken müssen Kredite abschreiben, kommen vielleicht selber in Bedrängnis. Die Schuldenblase wird bedrohlich, droht zu platzen.

Der Knall könnte lauter sein als 2008, denn das Volumen der notleidenden Kredite wird größer sein als damals bei den geplatzten Immobilienkrediten.

Die Zentralbanken haben dann auch keine Reaktionsmöglichkeiten mehr: Man kann die Null- und Negativzinsen nicht mehr noch weiter absenken, um die Wirtschaft zu stimulieren. Das Pulver ist verschossen.

Was kommt also?

Vielleicht kommt es zu einer neuen Bankenkrise, wenn die Kreditausfälle anschwellen.
Vielleicht kommt es durch die aufgewendeten Rettungsmilliarden und Steuerausfälle zu neuen Staatsschuldenkrisen.
Vielleicht kommt es sogar zu einem allgemeinen Inflationsschub und dadurch doch zu steigenden Zinsen. Dann könnten Zinspapiere wieder attraktiver werden und Investoren von Aktienanlagen auf Anleihen umsteigen, was ein Platzen der Aktienblase auslösen könnte, mit weiteren unabsehbaren Folgen.

Vielleicht reichen die aufgewendeten Mittel aber auch, um zunächst eine akute Krise abzuwenden. Doch die durch Corona nochmal gewachsenen Schulden bleiben.
Mit immer neuem Zentralbankgeld müssen daher die Zinsen auf Teufel-komm-raus niedrig gehalten werden, weil ein Zinsanstieg sofort die überschuldeten Unternehmen und Staaten überfordern würde. Diese unabsehbar weitergehende Geldschwemme wird die Spekulation auf den Finanzmärkten weiter befeuern, dadurch die Vermögenswerte weiter verteuern und so z.B. das Wohnen vollends unbezahlbar machen.
Verschärfung der Klimakrise?
Man wird versuchen, wie nach 2008 aus der Krise zu wachsen, um so, durch ein gestiegenes BIP, die Schuldenlast zu relativieren; doch forciertes Wachstum – wenn es überhaupt erreicht wird – verschärft nur die andere, noch viel bedrohlicher Krise: die Klimakrise, die eigentlich ein Wirtschaftsschrumpfen und kein Wachsen verlangt.

Man wird, wie nach 2008, die Kosten der Krise abwälzen – Sozialhaushalte weiter zusammenstreichen, nötige Investitionen weiter verschieben, Löhne gering halten um die kränkelnden Unternehmen nur ja zu schonen. Ungleichheit wird zunehmen, und damit werden auch nationalistischer Egoismus, rassistische Sündenbock- und Neidkampagnen zunehmen, und rechte Parteien weiter wachen (wie damals: Brexit und AfD sind direkte Krisenfolgen von 2008ff – die AfD führt diesen Umstand sogar im Namen, der eine Replik auf die angebliche „Alternativlosigkeit“ von Merkels Krisenpolitik sein sollte).
Was auch immer nun kommen mag: Keine der Aussichten ist erbaulich.
Es rächt sich nun, dass auch die Finanzmärkte und die Wirtschaft nach 2008 nicht wirklich reformiert wurden. Die Banken sind nach wie vor so groß, dass eine Pleite systemsprengend wirkt. Die ungesunde Vermögenskonzentration und damit die Ungleichheit wurde nicht bekämpft, sodass sich viele Haushalte weiter verschulden mussten, während die großen Vermögen mangels Möglichkeit zur produktiven Investition nur die Börsenkurse aufblähten und weitere Blasen bildeten, die zu platzen drohen (die Aktienkurse verzeichnen weltweit paradoxer Weise Höchststände bei gleichzeitig wegbrechenden Unternehmenserträge – die Geldschwemme der Zentralbanken führt auch hier zur Blasenbildung). Der vorgesehene Bankenrettungsfonds ist noch kaum gefüllt. Die Eigenkapitalausstattung der Banken hat sich nur leicht, aber nicht genügend verbessert. Doch schon die zarten Banken-Regulierungsversuche haben dazu geführt, dass Großanleger in den weniger regulierten und riskanteren Schattenbankbereich (z.B. Hedgefonds) ausweichen.

Staatliche Investitionen unterblieben im Schwarzen-Null-Wahn, sodass die ohnehin unter der Investitionsschwäche leidende Wirtschaft auch noch durch Infrastrukturmängel behindert ist. (Nebenbei: die Corona-Krise wäre vielleicht deutlich billiger geworden, wenn die Ausstattung der Schulen mehr Unterricht von zu Hause ermöglicht hätte, wenn die Unternehmen überall digitalisiert gewesen wären, wenn im Gesundheitswesen nicht gespart worden wäre etc.).

Die Systemmängel wurden nicht beseitigt. Die Systemrisiken sind durch Corona noch gewachsen. Eine neue Krise droht.

Was tun?

Eine Schulden- und damit Vermögenskappung könnte die Lage deutlich entschärfen Sie würden die verschuldeten Staaten direkt entlasten und würde überflüssiges Geld vom Markt nehmen, das ohnehin nicht sinnvoll investiert wird und nur zur Blasenbildung beträgt. Denkbar (wenn auch politisch leider noch utopisch) wäre etwa eine – um Kapitalflucht zu vermeiden – international koordinierte, progressive Vermögenskappung: ab 1 Mio. freiem Vermögen 1% Abgabe, ab 10 Mio. 10 %, ab 20 Mio. 20 % usw. Da die großen Vermögen ohnehin nur wegen der bisherigen Geldpolitik so stark explodiert sind, würde man damit auch niemandem etwas wegnehmen, das er / sie „durch harte Arbeit“ erworben und verdient hätte.

Eine ähnliche, wenn auch zeitlich verzögerte Wirkung hätte eine deutliche Erhöhung der Erbschaftssteuern. Auch dadurch könnte eine Entspannung der brisanten Verschuldungssituation erreicht werden (Schulden und Vermögen sind komplementär: Vermögensreduzierung = Schuldenreduzierung).

Mit dem frei gewordenen Geld könnten der nötige sozial und ökologisch erforderliche Umbau der Wirtschaft finanziert werden und so die Wirtschaft gestützt werden (tatsächlich bekennt man sich zum Ziel des klimagerechten Umbaus und will die EU-Corona-Milliarden an solche Ziele binden, aber dass Luftfahrtunternehmen mit Milliarden gestützt werden, lässt befürchten, dass dies nur halbherzig geschehen wird oder nur Lippenbekenntnis bleibt).

Weiterhin müssen auch die stecken gebliebenen oder sogar wieder zurück genommenen Finanzmarktreformen weiter verfolgt werden, um die Stabilität der Märkte zu erhöhen: Bessere Banken- und Finanzaufsicht und Finanzpolizei (Wirecard, Greensill!), konsequente Bekämpfung der Steuerumgehungspraktiken, um die Staatshaushalte zu stärken, ein Verbot schädlicher (destabilisierender) Börsenhandels-Praktiken wie z.B. den Hochfrequenzhandel und vieler Formen der Derivatgeschäfte, Regulierung der Schattenbanken, Durchsetzung des Trennbankensystems und Verkleinerung (Aufspaltung) der Bank- und Schattenbankgiganten, Erhöhung der Eigenkapitalquote von Banken und anderen Finanzunternehmen, eine Reform der Prüfungsgesellschaften und der Ratingagenturen und eine wirksame Finanztransaktionssteuer, die schädliche Spekulation eindämmen kann – all das kann zu der Stabilität beitragen, die jetzt besonders gefährdet ist.
Der Autor ist Mitglied der Finanzmarkt-AG Attac Düsseldorf. Sein Beitrag soll auch im attac-Theorieblog erscheinen.

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