Geiz oder Offenheit? Oder offener Geiz? Journalist*inn*en fürchten den Berufstod
Da gestern nicht der 1. April war, ist es wohl wahr, was Boris Rosenkranz/uebermedien über die provokativ-“innovative” Schwäbische Zeitung schreibt. Die will doch tatsächlich die Pressemitteilungen von Vereinen und Verbänden nicht nur abschreiben, sondern das sogar optisch kennzeichnen. Und lobt sich selbst für ihre fabelhafte Verankerung in ihrem publizistischen Verbreitungsgebiet. Wenn sie ihre Mitarbeiter*innen weniger an eingeschickten Texten arbeiten lässt, haben alle was davon. Journalismus stört nicht mehr.
Ich vermute, uebermedien-Autor Boris Rosenkranz ist selbst betroffen. Als “freier” Autor, z.B. für die NDR-Produktionen extra3 oder Zapp, weiss er, was seinen schwäbischen Kolleg*inn*en mit sparsamen Arbeitgebern blüht. Ich dagegen musste schmunzeln. Schon während meiner Mitgliedschaft bei den Jungdemokraten (1973-1992) habe ich erst gelernt und dann gelehrt, wie mann*frau eine Pressemitteilung so formuliert, dass ein*e Redakteur*in damit möglichst “wenig Arbeit” hat. Das erhöht die Chance zu erscheinen, und selbstverständlich ebenso die Chance zu bestimmen, was drinsteht (in der Zeitung).
In der Ostermarschzentrale in Frankfurt, in der ich 1985-87 mitarbeitete, haben wir mit dieser Methode Nachrichtentexte von Tagesschau (ARD) und Heute (ZDF) kreiert, die unverändert gesendet wurden. Sogar Wyk auf Föhr kam so mal in die TV-Nachrichten, weil dort immer engagiert ostermarschiert wurde. Wir waren sehr stolz auf uns. Einer arbeitete (auch) für die Stasi, einer wurde später PDS-Spitzenkandidat in Hessen. Aber es war für eine gute Sache. Die IG Metall gab uns am Osterwochenende in Frankfurt die Behausung.
Schwaben ist für mich eine fremde Kultur – ausser der Sinn für gutes Essen und Trinken, den habe ich schon oft getestet. Ich kann nur spekulieren. Ich habe mit der Methode der Schwäbischen Zeitung weniger Probleme als Rosenkranz. Redakteur*inn*e*n könnten in der Tat den Vereinen beibringen, was ich im Jugendverband gelernt und gelehrt habe. Ihrer Verankerung in Stadtgesellschaft und Dorfgemeinschaft würde das nicht schaden. Und besser ein ehrlich gekennzeichnetes Revier im Lokalteil, als wenn sich das, wie derzeit flächendeckend zu beobachten, immer mehr verdruckst einschleicht und die Glaubwürdigkeit des Mediums mehr untergräbt, als es asoziale Medien können.
Es wird die Lokalpresse nicht retten. Retten kann sie nur Qualitätsjournalismus. Ob die Schwäbische Zeitung ihn nun mit dieser Methode ernsthaft fördert oder doch abschafft – das ist die Gretchenfrage.
Meine journalistische Laufbahn begann 18jährig bei der Schwäbischen Zeitung, Lokalteil Friedrichshafen. Für meinen allerersten Einsatz als Reporterin musste ich sich mehrere Stunden lang im Bürgerhaus Kluftern (Bodensee-Hinterland) irgendeiner Vereinssitzung beiwohnen und darüber einen Dreispalter schreiben. Leider ohne Missstände oder gar einen Skandal aufzudecken. Kurz danach wurde ich vom damaligen (Friedrichshafener) Chefredakteur Fritz Maier vor die Wahl gestellt, einen von ihm massiv umgeschriebenen Artikel unter meinem Namen zu veröffentlichen oder nie wieder für die Schwäbische Zeitung zu arbeiten. Ich bin gegangen und habe das nie bereut. Im Gegenteil 🙂
Für mich ist dieses neue “Angebot” der Schwäbischen nicht das Problem (außer für die paar Schüler*innen und Rentner*innen, die mit solchen Berichten ein paar Cent dazuverdient haben). Für eine ernsthafte Berichterstattung braucht es ausreichend Journalist*innen und finanzielle, zeitliche und gedankliche Freiräume – um eben nicht nur von der xten Sitzung des Heimatvereins oder den Ausflug des der Schallmeienkapelle zu berichten, sondern kontinuierlich mit ganz verschiedenen Akteur*innen in einer Kommune in Kontakt zu bleiben und hinter die Fassaden zu schauen.
Aber solche Rahmenbedingungen gibt es immer weniger, weder bei der Schwäbischen Zeitung noch bei anderen (Lokal-)Zeitungen.