von Gaby Küppers
Fromme Botschaften als Vehikel für Macht und Profit
„Mit dem Zweiten sieht man besser“, wirbt ein öffentlich-rechtlicher Sender in Deutschland. Auch in Brasilien gibt es ein Zweites, ein Zweitgrößtes, besser gesagt. 2021 ist das der evangelikale Sender Record TV. Vor ihm liegt nur der Erzfeind in Sachen Quoten und Quanten, das O Globo-Imperium. Im Vergleich zu den Privaten ist Brasiliens erst 2007 in der Regierungszeit Lulas und der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT ins Leben gerufene staatliche Medienunternehmen EBC mit TV Brasil, Nachfolger des Bildungssenders TVE Brasil, ein Zwerg. 2011 stand RecordTV noch an fünfter Stelle. Nicht einmal zehn Jahre später ist er der einzige Medienkonzern Brasiliens, der im rückläufigen Anzeigenmarkt des Krisenjahrs 2020 8,3 Prozent zulegte. O Globo verlor dagegen vier Prozent. Geht es um evangelikalen Durchmarsch oder um schnöden Profit?
Reinventar é a nossa marca (Neu erfinden ist unser Markenzeichen) steht auf der Website von Record TV. Genau. 1989 hatte der heute 75 Jahre alte Edir Macedo das 1953 gegründete und damit älteste TV Netzwerk Brasiliens erworben und die Medienlandschaft zügig aufgerollt. Der ehemalige Lotterieverkäufer und Wanderprediger wusste, wie‘s geht. 1977 hatte Macedo die evangelikale „Igreja Universal del Reino de Deus“ (IURD) gegründet. Alsbald ernannte er sich zum Bischof derselben. Von der Kanzel herab war es offenbar unkompliziert, den Zehnten aus den Gläubigen herauszukitzeln, und so wenig legal die 45 Millionen Dollar steuerfrei aufzuhäufen, die er für sein Privateigentum RecordTV hinblätterte. Juristisch geklärt wurde das nie, gerichtliche Verfahren verliefen im Sande.
“Reichster Pastor Brasiliens”
Macedo wurde vom Wander- zum Fernsehprediger und expandierte sein Geschäft. 2010 sicherte er Record TV die exklusiven Senderechte für die Olympischen Winterspiele in Vancouver, im Jahr darauf für die Panamerikanischen Spiele in Guadalajara, wieder ein Jahr später für die Olympischen Sommerspiele in London, 2014 für die Winterspiele in Sotschi. Und so weiter, erkleckliche Werbeeinnahmen garantiert. Dutzende Fernseh- und Radiostationen, aber auch Tageszeitungen, Reiseunternehmen, eine Lufttaxigesellschaft, Holzfabriken, Supermärkte, Immobilienunternehmen, Banken und Verlage gehören heute zu Record TV Brasil. Dazu Record TV UK, Record TV Europa, TV Miramar für das portugiesischsprachige Afrika (Mosambik, Angola, Guinea-Bissau, Cabo Verde und Sao Tomé e Principe), TV Japan oder seit 2019 TV Israel. Und kein Ende. In Berlin existiert ein „Hilfszentrum“ für elf Filialen in Deutschland. Seit September 2020 kann man RecordTV indessen in Deutschland nicht mehr über den Astra-Satelliten empfangen. „Hilfe, meine Frau ist immer schlechter gelaunt, seit Record nicht mehr zu empfangen ist. Was soll ich tun?“ und ähnliche SOS-Rufe stehen seither im Netz. Nun, es wird schon ein Wunder geschehen, sollten Gläubige, wie der Name schon sagt, glauben.
Forbes nennt Edir Macedo den „mit Abstand reichsten Pastor Brasiliens“. Sein Vermögen wird auf eine Milliarde Dollar geschätzt. Wikipedia beschreibt ihn als „Unternehmer und Begründer der Igreja Universal“, in dieser Reihenfolge. Macedo lebt heute mit seiner Familie in New York.
Brasilien zum Gottesstaat verwandeln
Wie geht das zusammen? Den Schlüssel liefert Macedos Autobiographie von 2008. Er wolle Brasilien in einen Gottesstaat verwandeln, sagt er darin, die Evangelikalen entschieden Wahlen.
Macedo tat, was er sagte. Zunächst schwor Macedo vornehmlich seine Gemeinde auf heile Heterofamilie in Hochglanz und eiserne (Spenden-)Moral ein, dann schickte er seine Leute handverlesen in die Politik. Das ideologisch wie ökonomisch erfolgreichste Mittel der evangelikalen Unterweisung wurden seine tugendgetränkten Telenovelas aus dem – weit ausgelegten – biblischen Milieu. Warum (wohl schon eine Mehrheit der) Brasilianer*innen aller Klassen dem frommen Charme erliegen, sei an dieser Stelle dahingestellt. Den Anfang machte parallel zu den quotenintensiven Winterspielen in Vancouver 2010 A História de Ester (Die Geschichte der Esther). 2018/2019 war Jesús mit rund 200 Kapiteln der Renner. Von Montag bis Freitag um 20:45 Uhr sahen nach hauseigenen Angaben in jeder Minute sechs Millionen Zuschauer*innen, wie Jesus züchtig leibte und lebte. Ob die Zahlen stimmen, weiß niemand. Auch in Argentinien war Jesús 2020 mitten in der Quarantäne angeblich die Top-Telenovela, trotz des bemängelten harten (also europäisch-spanischen) Akzents der Synchronisation.
In diesem Jahr sind bei RecordTV in Brasilien vier Telenovelas am Start, die meistbeworbene darunter biblisch. Aber auch die anderen drei stehen fest auf dem Boden konservativ-reaktionärer Sittsamkeit. Neben Topíssima, einer Wiederholung einer Daily Soap aus dem Leben der Superreichen von 2019, wird seit dem Frauentag (!), dem 8. März, Belaventura von 2017 wiederholt. Erzählt wird die herzerweichende Geschichte des armen Mädchens Pietra, wie sie enttäuscht von der Bosheit der Menschen vom reichen Prinzen Enrico gerettet, geliebt und geheiratet wird. Die Geschichte mit den Stichworten Ehre, Tugend, Kampf um den Thron, Königreich, spielt im Mittelalter. 2017, die sozialdemokratische Präsidentin Dilma Rousseff ist in Brasilien gerade vom Thron verstoßen, eine Clique weißer, alter Männer regiert Brasilien, ist die Botschaft: Es gibt einen Weg ins Glück jenseits von Intrigen, Schwertern und Blutvergießen. Kann man 2021 durchaus wieder aufwärmen. Prädikat des Senders: „Eine Telenovela für die ganze Familie“. Kapitel verpasst? Kein Problem, ist abrufbar auf der Record-Website. Da ist dann auch der Link zum Blog „Bispomacedo“ (Bischof Macedo) und zu vielem Erbaulichen mehr.
Wer sich noch an die Telenovela Escrava Isaura erinnert (als „Sklavin Isaura“ auch in der ARD ausgestrahlt), freut sich sicher auf Escrava Mae (Die Mutter der Sklavin). Die Zeitreise geht zurück in die Epoche der Sklaverei, in der die Mutter Isauras ein, nun ja, Sklavinnen-, aber auch irgendwie hübsches Leben führt. Botschaft: „Mit wahren Freunden, Prinzipientreue und Gottesfurcht kommt man durch dick und dünn.“
Gênesis – wohlgeschminkte Barbie-Figuren
Die Superproduktion aber ist Gênesis, mit mehr als 250 Schaupieler*innen, 8500 Statist*innen, 800 direkten und indirekten Jobs. Eine unendliche Daily Soap voller wohlgeschminkter Barbiefiguren in gut geschneiderten Fantasykostümen mit verstecktem Reißverschluss. Sieben Staffeln sind vorgesehen. Nach Criaçao (Schöpfung) läuft aktuell die zweite, Dilúvio (Zeitalter der Sintflut).
Beworben wird Gênesis nicht nur auf der Record TV Website, sondern auch über Facebook, Instagram, TikTok und Twitter. Anfang März konnten die Zuschauer*innen an den „Genesis Awards“ teilnehmen und über Instagram die besten Schauspieler*innen der „Dilúvio“-Phase auswählen (damit der Sender weiß, wer und welche Art von Handlung von der Bildfläche verschwinden muss). Schon jetzt sind sechs CDs mit den schönsten Soundtracks der Serie erhältlich, ebenso die Gênesis-T-Shirts. Während diese mit 20 Reais (ca. 3 Euro) eher preisgünstig sind, weil sich der Sender davon einen Werbeffekt verspricht, haben andere Produkte durchaus ihren Preis. Das Merchandising geht über den Record-eigenen Lieferanten arcacenter.com.br.
Eine Perle auf der Record TV Website zur Telenovela ist Gênesis Responde (Genesis antwortet). Etwa auf die Frage: „Warum gibt es Geschichten in der Telenovela Gênesis, die sich nicht in der Bibel finden, zum Beispiel, was Abraham in der Schule machte?“ Antwort: „Das kann man zwischen den Zeilen der Bibel lesen.“ Ehrlicher wäre gewesen: „Weil auf diese Weise noch viel mehr Kapitel ausgestrahlt werden können.“
Mit der Wahrheit nimmt es das fromme Record TV, wenn das bei der Genesis überhaupt ginge, paradoxerweise nicht so genau, auch nicht mit der wahren Historie und Archäologie. Vor gut zehn Jahren drehte Record TV die 2011/2012 ausgestrahlte Bibelserie Rei Davi (König David). Einer der Drehorte waren Höhlen in Serra do Pasmar bei Diamantina im Bundesstaat Minas Gerais. Weil sie für den Film störte, wurde Höhlenmalerei einfach weiß übertüncht. Ein Gericht verurteilte Record TV deswegen zu 429000 Euro Strafe. Bis heute fühlt sich Record TV unschuldig und behauptet, die Höhle sei überhaupt kein archäologisches Zentrum gewesen.
Regierung zahlt
Die Strafe ist für Record TV ein Klacks. Die „Universal“ zahlt allein für die Übertragung von Messen und Predigten zwischen null und sechs Uhr, eigentlich keine Superzeit, zwischen 300 und 400 Millionen Reais (ca. 45 bis 60 Millionen Euro). Eine weitere Finanzquelle sollte die brasilianische Regierung werden. Nach der Messerattacke gegen Bolsonaro im September 2018 verkündete Edir Macedo öffentlich, Bolsonaro zu unterstützen. Als Dankeschön gab der frischgewählte Bolsonaro nach seiner Wahl im Oktober 2018 Record TV sein erstes Interview. Darin stellte er nicht nur eine, in der Konsequenz eher unchristliche, Liberalisierung des Waffenrechts in Aussicht. Er forderte auch die Abschaffung der öffentlichen Medien. Die Regierung sollte Sendezeit kaufen, wenn sie etwas verkünden wolle. Die Abschaffung gelang nicht, aber die Regierung bezahlt heftig für Sendezeiten bei Record TV, dem „Bolsonaro-Sender“. Die Privatisierung ist auch eigentlich überflüssig. Bolsonaros Vorgänger Michel Temer hatte Vorstände und Formate des Öffentlichen längst auf Linie gebracht.
Der Katholik Bolsonaro hatte sich vor den Wahlen von einem Pastor der Assembléia de Deus, (Versammlung Gottes), um sich dann aber Macedo zu nähern. Die Evangelikalen (der dritte Pfeiler der BBB neben Agrar- und Waffenlobby – Boi, Bala, Biblia) stellen heute 195 der Abgeordneten in Brasília, dazu acht Senator*innen – 1994 waren es nur 21 Abgeordnete). Deren sicherste Bank ist die der (von Macedo kommandierten) PRB, die heute schlicht REP-Republicanos heißt. Alle REP-Abgeordneten stammen aus Macedos Igreja Universal. Die anderen evangelikalen Kirchen, auch die größte, die Assembléia de Deus, verteilen ihre Abgeordneten auf verschiedene rechte Parteien (PTB, PMDB, DEM usw.), was stromlinienförmiges Abstimmungsverhalten erschwert. Und prompt gibt es da auch welche, die Schwule „und andere Gotteslästerer“ verteidigen.
“Bischof”, Bürgermeister und Schwiegersohn wg. Korruptionsverdacht festegenommen
Bis Herbst 2020 lief es rund und immer runder. Dann wollte Macedos Schwiegersohn und freigestellter Bischof der Igreja Universal, Marcelo Crivella, in Rio de Janeiro, dem Stammsitz der Igreja, als Bürgermeister wiedergewählt werden. RecordTV unterstützte ihn, wurde aber vom Wahlgericht zurückgepfiffen. Unterschwellige Werbung sei verboten (Record TV Moderator*innen etwa zeigten stets alle zehn Finger – die „Zehn“ war Crivellas Wahlzettelnummer). Crivella verlor gegen einen anderen Rechten, Eduardo Paes. Bolsonaro distanzierte sich nach den Wahlen von Crivella. Weihnachten 2020 wurde Crivella wegen Korruptionsverdachts festgenommen.
Lula allergiefrei
Unternehmer sind flexibel. Einst unterstützte Macedo Lula. Der hatte 2002 den Evangelikalen José Alencar, der 2006 zur PRB, heute REP wechselte, zu seinem Vizepräsidenten gemacht – vielleicht die Ursünde, die die Evangelikalen in der Politik hoffähig machte. Wenn Bolsonaros Stern vor den Präsidentschaftswahlen 2022 sinkt, könnte Macedo zum Wohle seiner Firmen auch auf ein anderes Pferd setzen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 444 April 2021, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.
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