Auf seinem langen Marsch ins Kanzleramt hat sich Laschet bisher zielstrebig gezeigt. Den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur eroberte er entschlossen gegen viele Widerstände. Die Hälfte seines Weges hat er hinter sich gebracht. Doch nun scheint ihm die Puste auszugehen.
Aus den Fugen geraten
Er rang sich zwar durch, nach Berlin zu wechseln, selbst wenn er nach der Bundestagswahl mit der Union in der Opposition landen sollte. Doch diese Entscheidung wirkt halbherzig. Laschet ließ offen, wann er seine Ämter als CDU-Landeschef und NRW-Ministerpräsident aufgeben wird.
Will er sein Wahlziel erreichen, kann er sich offen Flanken nicht leisten. Die Bedingungen, unter denen er antritt, sind extrem ungünstig. Die Union ist zerstritten. Sie hat noch kein Wahlkampfkonzept. Ihre Hierarchien sind aus den Fugen geraten. Viele Parteifreunde haben sich als seine Gegner zu erkennen gegeben.
Andere, die nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten nun mit ihm kooperieren, werden ihm Misserfolge nicht unbegrenzt nachsehen. Politiker wie Schäuble, Söder, Spahn oder Merz werden ihre Wirkungskreise zu seinem Nachteil erweitern, sobald er Terrain freigibt.
Den Rücken stärken
Vieles wirkt sich gerade nachteilig für ihn aus. Seine Umfragewerte sind nicht respekteinflößend. Die Werte der Union stagnieren auf einem bisher nicht gekannten niedrigen Niveau. Viele Mandate sind in Gefahr. Ob die Sorge vor dem Verlust der Wahlkreise die Wahlkämpfer in den nächsten Monaten motiviert oder entmutigt, ist noch nicht abzusehen.
Mit den Grünen ist der Union eine Konkurrenz erwachsen, die in die politische Mitte hineinreicht, bürgerliche Kreise anspricht und junge Leute anzieht. Noch ist nicht zu erkennen, wie es Laschet schaffen kann, die Grünen zurückzudrängen und Gelände in der Mitte zurückzugewinnen.
Viele Stellschrauben für einen erfolgreichen Wahlkampf kann Laschet nur drehen, wenn ihm andere in der Union helfen. Eine Schraube kann er ganz alleine bewegen. Es liegt in seiner Hand, ob sein Abschied aus NRW geordnet verläuft und die Landes-CDU stabil hält. Wenn schon manches wankt, sollte zumindest sie in der Lage sein, ihm bei seiner Kandidatur den Rücken zu stärken und die Bundestagswahl im Herbst wie die Landtagswahl im Mai 2022 erfolgreich zu bestehen.
Die Wahlen abschreiben
Will Laschet mit der Union im Bund Tritt fassen, muss er sein Feld bestellen, ehe der Bundestagswahlkampf auf Touren kommt. Laschet hat sich zum Ziel gesetzt, die Union zu einen und die Republik zu modernisieren. Sollte er in seinem Landesverband und seinem Bundesland Machtkämpfe begünstigen, würde er seinen Integrationskurs ad absurdum führen und sein Entwicklungsvorhaben gefährden.
Je länger sich Laschet mit dem Abschied aus NRW Zeit lässt, desto größer wird das Risiko, dass der größte CDU-Landesverband, der rund 30 Prozent aller CDU-Mitglieder vereint, sich im Wahlkampf vor allem mit der Frage befasst, wer Laschet als Ministerpräsident und CDU-Landeschef beerben soll.
Wird diese Frage nicht zügig beantwortet, kann die Lage für Laschet und die Union noch ungemütlicher werden, als sie es ohnehin schon ist. Bei den Wählern in NRW wird sich schnell der Eindruck festsetzen, Laschet und die NRW-CDU seien unwillig und unfähig, für Stabilität zu sorgen und alle Kraft darauf zu konzentrieren, das Land zu erneuern. Die Union könnte dann die Bundes- und die Landtagswahl für sich abschreiben.
Ambitionen nachgesagt
Aus der Luft gegriffen sind diese Gefahren nicht. Als Aspiranten auf den Vorsitz der Landes-CDU sind seit Monaten Innenminister Reul, Bauministerin Scharrenbach und Verkehrsminister Wüst im Gespräch. Wüst hat sich auch als Anwärter auf das Amt des Ministerpräsidenten zu erkennen gegeben. Bauministerin Scharrenbach werden ebenfalls Ambitionen nachgesagt.
In NRW können nur Landtagsabgeordnete Ministerpräsident werden. Im Unterschied zu Wüst hat Scharrenbach kein Mandat. Sie könnte erst nach der Wahl 2022 zum Zuge kommen. Bis dahin würde sie einen Platzhalter benötigen.
Aus diesen Konstellationen können sich bei unbedachtem Handeln sehr leicht viele kleine und manche große Reibereien und Konflikte entwickeln, die imstande wären, den Bundestagswahlkampf der Union und ihres Kanzlerkandidaten Laschet zu belasten.
Als Sprungbrett benutzt
Er hat auch zu bedenken: Wer immer zur NRW-Wahl 2022 als CDU-Spitzenkandidat antritt, hat mit Handicaps zu kämpfen. Bis zur Wahl ist es nur noch ein Jahr hin. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, einen Spitzenkandidaten und und seine Ziele bekannt zu machen. Das wird auch deshalb schwer genug, weil er sich aus Laschets Schatten herausarbeiten muss.
Es würde der NRW-CDU sicher helfen, wenn Laschets Nachfolger in der kurzen Spanne bis zur NRW-Wahl möglichst früh die Autorität nutzen könnte, die das Amt des Ministerpräsidenten zur Profilierung bietet. Je eher Laschet das Amt aufgibt, desto leichter wird es für den Nachfolger, sich zur NRW-Wahl 2022 in Position zu bringen.
Laschets Nachfolger wird jeden Vorteil brauchen, den er bekommen kann. Laschet ist nicht einmal vier Jahre Ministerpräsident. Fast eineinhalb Jahre brachte er damit zu, an seiner Karriere in der Bundespolitik zu arbeiten. Die Wähler könnten auf die Idee kommen, er habe das Amt des NRW-Ministerpräsidenten nur als Sprungbrett nach Berlin benutzt. Diese Vorstellung verbreitet einiges Unbehagen, das seinem Nachfolger, der NRW-CDU und letztlich auch Laschet selbst beträchtlich schaden kann.
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