Bestimmt Karlsruhe die Richtlinien der Politik? Noch vor dem abschließenden Entscheid des Bundesverfassungsgerichts über die Corona-Notbremse mit ihren Ausgangssperren wurde selbige durch eine Verordnung aufgeweicht, die genau jene formulierten, die Tage zuvor das Gesetz durchgepeitscht hatten. Ähnlich beim Klimaschutz. Selten waren Regierungspolitiker so begeistert über ein „So nicht!“ der Richter wie jetzt zu ihrem Klimaschutzgesetz.
Schuld sind die Umfragen, denen zufolge CDU/CSU und SPD nicht da stehen, wo sie stehen wollen, und auch deren Angst vor der grün-gelben Konkurrenz. Da wollen die Wahlkämpfer der Koalitionsparteien nicht auch noch einen Konflikt mit der höchstrichterlichen Instanz Deutschlands ausfechten.
Dabei war die Maßgabe des Gerichts, der Gesetzgeber müsse bis Ende 2022 eine Neuregelung zur Minderung von Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 verabschieden, eine parlamentarische Zumutung. Die Richter kennen die Praxis der Politik. Vor der Bundestagswahl gibt es nur noch drei Sitzungswochen des Bundestags. Danach wird es erfahrungsgemäß dauern, bis eine neue Regierung handlungsfähig ist. Zur Erinnerung: Nach der Wahl 2017 brauchte es ein gutes halbes Jahr. Überdies scheint sicher, dass die künftige Regierung aus neuen Koalitionspartnern zusammengesetzt sein wird, und zwar gewiss mit einem neuen Kanzler oder einer neuen Kanzlerin. Das Klimaurteil genau zu prüfen, wäre die übliche, angemessene Reaktion gewesen. Stattdessen machten sich CDU/CSU und SPD mit Höchstgeschwindigkeit ans Werk. So etwas geht selten gut aus.
Schon die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative ist im politischen Alltag auf die Minderheit im Parlament reduziert, ansonsten aber kaum existent. Löst sich nun auch noch das Spannungsverhältnis zur dritten Gewalt, der Judikative, in Wohlgefallen auf?
Ehedem machten Regierende – teils anonym – abschätzige Bemerkungen über die Richter in Karlsruhe. Auf deren Konto geht auch mindestens zur Hälfte das kaum zu vermittelnde Wahlrecht und die Aufblähung des Bundestages auf mehr als 700 Mitglieder. Öffentlich stritten einst dessen Repräsentanten mit der Spitze des Verfassungsgerichts über Europapolitik. Wer Politik machen wolle, solle sich dem Votum der Wähler stellen, sagten Parlamentarier über die Träger der Roten Roben. Im 70. Jahr seines Bestehens aber treibt Karlsruhe Regierung und Parlament in Berlin vor sich her.
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