Beueler-Extradienst

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Kein Impfstoff, kein Plan, leere Worte

Nach wie vor fehlt der Impfstoff, ist die Versorgung katastrophal. Die Hausärzt*inn*e*n zum Beispiel im Rhein-Siegkreis, meldet der Kölner Stadtanzeiger, bekamen in dieser Woche eine Dosis pro Praxis und Woche. Hausärzt*inn*e*n und ihre Vorzimmer bekommen jetzt den Unmut ab, den Jens Spahn und die regierungsamtlichen Impfstoffbeschaffer redlich verdient hätten. Aber was tut die Bundesregierung, um mehr Impfstoff zu besorgen? Nichts! Stattdessen kündigt man an, ab der nächsten Woche auch Jugendliche unter 12 Jahren impfen lassen zu wollen. Es ist zuwenig Impfstoff da und deshalb erweitern sie drastisch die Zahl derer, die geimpft werden sollen, – um etwa 8 Millionen. Aus Sicht von Markus Söder und Jens Spahn aber ein probates Mittel, um den Unmut, den Bürger*innen wegen der mangelnden Impfstoffversorgung empfinden, elegant Anderen und Unschuldigen in die Schuhe zu schieben.

Länderchefs ducken sich (wieder mal) weg

Erstaunlich, dass sich die Ministerpräsident*inn*en darauf eingelassen haben, denn allein dem Protest des  grünen Landeschefs Kretschmann und des roten Landeschefs Ramelow war deutliche Enttäuschung zu entnehmen, dass nicht mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Schon gar nicht zusätzliche Impfdosen für diejenigen Gruppen, die keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Impfstoff haben. Wieder einmal hat die Bund-Länder-Kommission Jens Spahn abgewatscht, der sich im Vorfeld mit den Impfungen von Schüler*inne*n in die Öffentlichkeit gemogelt hat, ohne nur einen minimalen Beitrag zu leisten, oder auch nur irgendetwas in diesem Zusammenhang zu bestimmen oder positiv zu korrigieren. Ergebnis: Es gibt immer noch akute Impfstoffnot und die Bundesregierung hat null Beitrag geleistet, um das zu ändern.

Impfen in sozialen Brennpunkten scheitert am Impfstoffmangel

Ein weiteres hat dieser Impfgipfel gezeigt: wir kümmern uns nicht um die wirklichen Probleme, wie zum Beispiel die katastrophale Versorgung und Aufklärung der sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen, wie sie durch Maßnahmen wie die mobilen Impfinitiativen in Köln-Chorweiler und anderen Problemvierteln der Millionenstadt offensichtlich geworden sind.  Klar ist, dass gerade in sozial schwachen Zentren die Impfkampagne stockt. Köln musste mangels Impfstofflieferungen des CDU-regierten NRW mehrfach seine Aktionen abbrechen oder unterbrechen. In der Praxis scheint sich auch in unserem Land etwas einzuschleichen, was kürzlich in Israel zu erheblichen Spannungen in Gemeinden mit überwiegend palästinensischer Bevölkerung geführt hat: für Israelis war genügend Impfstoff vorhanden, während in Palästinenservierteln Impfstoffknappheit herrschte. Die Fehleinschätzung bestand darin, zu unterschätzen, dass das Virus sich unter der ungeimpften Bevölkerung schneller verbreitet, und damit auch mehr noch nicht geimpfte Personen – auch jüdische Israelis – anstecken würde.

Statt Impfstoffbeschaffung Diskussion über Schnickschnack

Statt zu erklären, wie die Bundesregierung für mehr Impfstoff sorgen könnte, wurde auf dem letzten Gipfel erneut am Kernproblem vorbei diskutiert.  Die Bürger*innen – und auch die Arztpraxen – wurden durch völlig überflüssigen digitalen Schnickschnack wie den Impfpass auf Smartphone, natürlich präsentiert von der unvermeidlichen Firma IBM, unterhalten, hingehalten und abgelenkt. Das größte Problem in der Corona-Krise scheint nicht zu sein, dass Corona in den sozial abgehängten, bildungs- und informationsfernen Stadtbezirken besonders viele Opfer findet, und deshalb tunlichst dort durch Impfungen vordringlich bekämpft werden sollte. Sondern stattdessen beschäftigen sich die Ministerpräsident*inn*en mit den Luxusproblemen besserverdienender Schichten, die endlich wieder ihren Urlaub per Ferienflieger antreten wollen, und am liebsten zweimal gleichzeitig fliegen würden. Wofür natürlich die Kinder geimpft sein sollten, um die Zollformalitäten zu beschleunigen. So jedenfalls muten die Auswirkungen der Beschlüsse an, die auf dem Impfgipfel besprochen wurden. Kein Impfstoff in sozialen Brennpunkten, zuwenig Impfstoff in Arztpraxen, bei gleichzeitiger Aufhebung der Alters- und Gesundheitsprivilegierung – man wundert sich, dass TUI, Condor und andere Reisekonzerne noch nicht die passende Familienimpfung zum Pauschalurlaub als “Spahn-Bonus” mit anbieten. Aber das ist vielleicht nur eine Frage von Tagen.

Wahlkampf mit der Impfspritze

Könnte das sein,  womit Jens Spahn spekuliert?  Er könnte der Minister sein, der den CDU-wählenden Mittelschichten ihren schönen Urlaub ermöglicht hat – zulasten sozial schwächerer, zulasten der von den Anstürmenden, der von der aufgehobenen Priorisierung überrannten Arztpraxen und zulasten der bisher funktionierender Impfzentren – weil es nach wie vor nicht ausreichend Impfstoff gibt. Jens Spahn macht seine Hausaufgaben nicht und es gibt derzeit niemanden, der sein Versagen thematisiert, weil sich alle mit seinen neu hingeworfenen Ködern, wie der Impfung für Schülerinnen und Schüler, beschäftigen. Dabei entbehrt gerade dieses Thema jedweder Strategie: es könnte ja Sinn stiften, bereits jetzt die Strategie der Schulöffnungen für den Herbst zu entwickeln, zu diskutieren und zu planen, damit nicht dasselbe Chaos wie 2020 entsteht, als die Schulminister*innen eine Woche vor Ferienende überrascht merkten, dass ja die Schulen bald wieder öffnen – ohne dass irgend etwas vorbereitet war – weder Waschbecken zum Händewaschen, noch Laptops, geschweige denn Lernsoftware für den Hybridunterricht oder gar Luftfilter für Klassenräume.

Keine Schulstrategie, aber Buckeln vor den Impfherstellern

Teil einer solchen Schulstrategie könnte auch die Impfung bestimmter Gruppen von Jugendlichen sein – aus sozial schwachen und bildungsfernen Stadtteilen, etwa.  Oder die Sicherstellung, dass alle Lehrer*innen und Erzieher*innen geimpft sein können. Und natürlich aller vorerkrankten Kinder, von denen es nicht wenige gibt.  Aber statt überlegter Strategie herrscht nun für alle das Recht des Schnelleren und Drängelnden. Die Impfzentren könnten all das richten, sie zu errichten war eine logistische Meisterleistung der Kommunen und Hilfsorganisationen. Sie ohne Impfstoff in die Bedeutungslosigkeit abgleiten zu lassen, war eine politischer Offenbarungseid der Gesundheitsminister und der Zahnlosigkeit der EU-Regierungen gegenüber der Pharmaindustrie, die bis heute ihre Zusagen nicht einhält und nicht pünktlich liefert. Die Patentaufhebung “könne die Forschung zum Erliegen bringen” plapperte Spahn der Pharmaindustrie nach – dabei waren es die über eine Milliarde Euro staatliche Forschungsgelder, die die schnelle Entwicklung der europäischen Impfstoffe bei Biontech und AstraZeneca ermöglichten. Entwickelt von Mittelständlern, während die Riesen wie Pfizer, Merck, Bayer und Sanofi keinen Cent in die Hand nahmen.

CDU 2021: Zu doof, um ihre Macht zu gebrauchen

Während Joe Bidens Drohung und laute Befürwortung, die Patente aufzuheben, aller Welt zeigte, wie man Konzernen durch ernst gemeinte Drohungen Beine macht, üben sich Spahn, von der Leyen, Merkel und Altmaier weiterhin in Blutgrätschen und Verbeugungen vor den säumigen Lieferanten, und ließen sich  von Astrazeneca öffentlich am Nasenring durch die Arena schleifen. Konrad Adenauer würde sich vor soviel Hilflosigkeit an den Kopf gegriffen und etwa so formuliert haben: “Se haben eben nich bejriffen, dat diese Leute ohne de staatliche Förderung un Zulassung ja jarnix machen können! Da war ich mir schon damals mit dem Pferdmenges, Robert einich! (Privatbankier und Mitautor des Ahlener Programms der CDU). Un deshalb müssen wir die Wirtschaft ja auch von Zeit zu Zeit erinnern, wem sie ihre Aufträge für den Impfstoff verdankt hat un wer se bezahlt. Dat hat schon der Erhard nich befolcht, deshalb wollt ich den ja nich als Bundeskanzler un d’r Altmaier ist nich besser.”  “Mehr sach ich Ihnen heute nich, dann könnense morjen noch über de Gerüchte berichten, die mich als Altkanzler umranken…” **
Selten gab es in der jüngeren Geschichte einen Moment, in dem der äußerst wache “SleepyJoe”, ein erfahrener Politiker des Mutterlandes der Monopole, den Lehrlingen und Stümpern im Regieren des Kapitalismus in Europa so klar gezeigt hat, welche ausschließliche Sprache die internationalen Pharmakonzerne verstehen und wie man mit ihnen umgeht.

 

* Zitat aus einem Exklusivgespräch des Autors über ein fiktives Raum-Zeit Portal im Hyperraum mit dem Altbundeskanzler.
**Frei erfunden im Geiste Konrad Adenauers

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Chris

    Ein hervorragender Artikel.

    “mit den Luxusproblemen besserverdienender Schichten, die endlich wieder ihren Urlaub per Ferienflieger antreten wollen, und am liebsten zweimal gleichzeitig fliegen würden. Wofür natürlich die Kinder geimpft sein sollten, um die Zollformalitäten zu beschleunigen. ”

    Das mutet nicht nur so an, das ist auch tatsächlich so. Wenn ich mal im näheren Umfeld schaue, sind es genau DIESE Leute die schon ihre Imfungen haben um ihrem Grundrecht auf eine Flugreise nachkommen können.
    Gleichzeitig gibt es Menschen, die obwohl sie nicht zu den sozial abgehängten gehören, keine Impfung bekommen trotz den vorhandenen Indikationen. Und das sind Menschen die diese Impfung brauchen um ihre Arbeit die sie für ihren Lebensunterhalt benötigen endlich wieder vollumfänglich ausführen zu können.
    Diese Personen sind psychisch am Ende weil sie keine große Hoffnung mehr haben und sich allein gelassen fühlen.
    Vom Imfzentrum bekommen sie seit Monaten kein “Angebot” und die Hausarztlisten sind bis Ende September voll.
    Und jetzt sollen die Leute die sowieso schon geschwächt sind auch noch bei dem großen Hauen und Stechen mitmachen.
    Das schaffen die nicht mehr…

    Und wenn die dann noch mitbekommen das Kollegen die Mitte 20 sind mal eben so beim Hausarzt geimpft worden sind, obwohl keine Indikation vorliegt, ja das macht gute Laune.

    Ich persönlich als Prio3 50er mache mir sowieso keine Hoffnung mehr dieses Jahr überhaupt noch was zu bekommen.
    Ich finde es auch sehr interessant wie Menschen die in meinem Alter sind sich plötzlich jeden Tag bis zur völligen Erschöpfung um die Pflege ihrer alten Eltern kümmern müssen. Die Eltern die sie vorher irgendwo haben verrotten lassen. Aber was tut man nicht alles um eine Impfung zu bekommen.

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